Die „Basisfinnen“ wollen sämtliche EU-Hilfszahlungen stoppen. Bei den Wahlen im Norden werden sie dafür wohl kräftig belohnt
Helsinki
Angesichts der Sondersitzung des Kabinetts, aus der der Außenminister gerade kommt, nimmt Alexander Stubb recht gefasst in seinen Dienstwagen Platz. Der drahtige 43jährige, der im Privatleben gern Ironman-Wettkämpfe absolviert, legt sein I-Pad beiseite und greift nach einer Packung Menthol-Bonbons. Nein, wimmelt er ab, über konkrete Summen für Portugal sei nicht geredet worden, dafür sei es zu früh. Fest steht für ihn, den nordischen Politstar und größten EU-Fan Finnlands, im Moment nur, „dass wir die europäische Wirtschaft retten müssen.“
Dass nach Griechenland und Irland jetzt ein drittes Land unter den Euro-Rettungsschirm schlüpft, verpasst dem Wahlkampf, der gerade in Finnland tobt, einen heißen Endspurt. Ausnahmsweise nämlich ist diese finnische Wahl am 17. April einmal spannend. Sie wird beherrscht von einer Grundsatzfrage, die sich über Finnland hinaus stellt und die immer weniger Menschen mit solcher Großzügigkeit beantworten wie Außenminister Stubb. Sie lautet, wie viel Solidarität sich der Euro-Bund leisten kann.
Weniger EU, mehr Christentum
Gar keine mehr!, fordert eine aufstrebende, bekennend populistische Partei am anderen Ende des politischen Spektrums. Die so genannten „Basisfinnen“ rufen dazu auf, die Wahlen zu einem Referendum gegen Stützungskredite für pleitegehende Euro-Staaten zu machen. In Umfragen liegen die aus der Finnischen Bauernpartei hervorgegangenen Protestler mittlerweile zwischen 15 und 18 Prozent, empor geschnellt von gerade einmal 4 Prozent bei Wahlen 2007. Ihr finnischer Name Perussoumalaiset wird oft ungenau mit „Wahre Finnen“ übersetzt; perus bedeutet eher soviel wie bodenständig. Neben weniger EU fordern die wahrlich finnischen Finnen unter anderem weniger Einwanderung, mehr Christentum und einen Stopp öffentlicher Fördergelder für Moderne Kunst.
Trotz offenkundiger Appelle an den rechten bis rassistischen Gesellschaftsrand ist der Chef der Partei, Timo Soini, zum populärsten Politiker des Landes aufgestiegen. Der 49jährige stammt aus demselben Wahlkreis im wohlhabenden Helsinkier Speckgürtel wie der bürgerliche Außenminister – bloß dass Soini seinen Erfolg darauf stützt, sich als das genaue Gegenteil des adretten Stubb in Szene zu setzen. Er bekennt eine Schwäche für Bier und Wurst, durchzieht seine Reden mit süffisanten Witzen und zoomt EU-Politik in einfachen Hauptsätzen auf Wohnzimmer-Niveau herunter. In einer dem letzten TV-Duelle vor der Wahl erklärte Soini, der von den Staatschefs vereinbarte „Mammut-Mechanismus“ könne nicht funktionieren, die Bail-out-Zahlungen wüchsen der EU über den Kopf. „Wir werden das alle auf unserer Stromrechnung sehen.“
Vermeintliche Alternativen zu vermeintlicher Alternativlosigkeit zu präsentieren, ist der eine Grund für die Beliebtheit der Basisfinnen. Ein anderer ist schlicht der Spaß-Faktor, den sie bringen. In einem Land, in dem der Konsens heilig ist und Polit-Talks traditionell so zuhörerfreundlich verlaufen wie Dermatologen-Kongresse, erhalten die Basisfinnen vor allem Zuspruch aus dem Pool der bisher Desinteressierten. Und diese Gruppe ist groß. Ein Drittel aller Finnen konnten in einer aktuellen Umfrage nicht sagen, welche Parteien gerade die Regierung stellen (es sind das Zentrum, die Nationale Sammlungspartei, die Schwedische Volkspartei und die Grünen).
Timo Soini, ein finnischer Peter Gauweiler
Die Basisfinnen stechen aus der Eintönigkeit heraus durch zum Beispiel Pertti Virtanen, Songwriter mit Baskenmütze und Dali-Bart, der als Psycho-Trainer das finnische Ski-Springer-Team betreute, bevor er ins Parlament einzog. Oder durch Tony Halme, einem bekannten Profi-Wrestler, der mit rassistischen Anwandlungen Anstoß erregte, bis er vergangenes Jahr an den Folgen einer selbst zugefügten Schussverletzung starb. Und natürlich durch Timo Soini, den Parteichef selbst. Sogar Soinis Gegner bescheinigen ihm, kein Rassist zu sein, sondern ein ausgesprochen netter Kerl. „Er zieht natürlich rechte Wählergruppen an“, sagt der ehemalige Außenminister Erkki Tuomioja von den oppositionellen Sozialdemokraten, der im Nieselregen in der Helsinkier Haupteinkaufstraße versucht, Wähler zu werben, „aber man kann ihn nicht als finnischen Le Pen dämonisieren. Das ist er nicht.“
Ein finnischer Peter Gauweiler vielleicht eher. An einem Dienstabend füllt Soini einen Hörsaal im Hereuka-Wissenschaftspark in Vantaa mit 150 Menschen. Aus allen Alterschichten stammen die Neugierigen, das Garderobenspektrum reicht vom Jogginganzug bis zum Dreiteiler. Der durchschnittliche Basisfinnen-Wähler, sagen Untersuchungen, verdient zwischen 50.000 und 70.000 Euro jährlich, fährt am liebsten Mercedes und ärgert sich über steigende Steuern. Betont lässig schlurft Soini ins Foyer. Über seinem stolzen Bauch spannt sich das gestreifte Tuch eines Marimekko-Hemdes (das finnische Label schlechthin), unter dem Kragen baumelt ein Goldkettchen, das Kinn darüber ist eher grobmotorisch rasiert.
Wer versucht, klare Antworten von Soini zu bekommen, dem wird seine Schwäche (oder Stärke?) schnell deutlich. Der Mann ist wesentlich besser darin ist, zu sagen, was er nicht will, als darin, was er will.
Herr Soini, was machen Sie, wenn Sie in der Regierung sind? Die Kreditzahlungen zurücknehmen? „Wir sind in einer rechtswidrigen Situation“, antwortet er. „Der EU-Vertrag verbietet, dass Euro-Länder einander helfen.“
Die anderen Parteien sagen aber, sie werden Sie nur in der Regierung akzeptieren, wenn sie dem Euro-Reformpaket zustimmen.
„Ja, aber wenn wir ein gutes Resultat bekommen, ändern sich die politischen Muster. In Deutschland gibt es doch auch immer größere Zweifel und sogar Verfassungsklagen gegen den Mechanismus.“
Zweifel darf man aber vor allem daran haben, ob die Rigorosität von Soini und seinen Basisfinnen eine Regierungsbeteiligung überlebt. Wahrscheinlich, sagen Beobachter, werde am Ende ein Arrangement stehen, wie es die finnischen Grünen in der Atomfrage eingegangen seien. Offiziell sind sie für einen Ausstieg. Gleichwohl gehören sie mit diesem Sondervotum einer Regierung an, die einen Ausbau beschlossen hat. So könnten auch die Basisfinnen halten: Im Programm Nein sagen zu EU-Hilfen, in der Praxis Ja.
Wir gewinnen Geld, kontert Minister Stubb
Außenminister Stubb schließt deshalb keineswegs aus, eine Koalitionsregierung mit den Basisfinnen zu bilden. „Timo Soini und ich gute Freunde“, erzählt er erstaunlicherweise, „wir haben großen Respekt vor einander.“ Auch mit den Basisfinnen im Kabinett, versichert Stubb, werde sich Finnland „auf keinen Fall“ in eine nordische Slowakei verwandeln, die die Rettungszahlungen für Euro-Partner verweigere. Da solle sich der Rest Europas ganz sicher sein. „Das Schöne ist doch: Regierungsbeteiligung schafft Verantwortung. Verantwortung schafft rationales Denken. Und rationales Denken schafft gute Ergebnisse.“
Im Falle der griechischen Hilfsdarlehen hießen die, dass Finnland bisher schon 10 Millionen Euro Zinszahlungen aus Athen bekommen habe. „Wir haben also gar nichts verloren!“ Sei dieser Gedanke, fragt Stubb mit leichter Besorgnis, eigentlich so schon in Deutschland angekommen?