Nein. Mit Rassismus hat der Wahlerfolg der EU-Skeptiker im Norden wenig zu tun
Das Missverständnis beginnt schon beim Namen. Die „Wahren Finnen“, die bei den Parlamentswahlen am Wochenende beachtliche 19 Prozent der Stimmen holten, heißen im wahren Finnischen mitnichten so. Das perus im Parteiname Perussuomalaiset bedeutet soviel wie bodenständig, erdverbunden, basisnah. Die „Basisfinnen“ also werden aller Voraussicht nach der neuen finnischen Regierung angehören. Der Spiegel zeigt eine erschreckend braun gefärbte Europakarte mit Ländern, in denen jetzt „Rechtspopulisten“ in den Parlamenten sitzen. Was Le Pen in Frankreich, so die Insinuation, ist Timo Soini, der Chef der Basisfinnen, im hohen Norden. Rassistische EU-Feinde überall.
Ach, wenn die Welt so einfach wäre. Es stimmt ja, die Basisfinnen ziehen rechte, man darf sogar unterstellen, hier und da rassistische Wähler an. Aber Finnland besteht nicht plötzlich zu 19 Prozent aus Rassisten. Zumal die waschechten Rassisten, die es gibt, ganz andere Parteien wählen. Mit der niederen Ansprache des Protolappen, kurzum, ist der Erfolg der Basisfinnen nicht zu erklären. Er muss andere Gründe haben.
Einer davon besteht darin, dass es eben nicht einfach „rechts“ ist, gegen Euro-Hilfszahlungen an Griechenland und Portugal zu sein. Die Sozialdemokraten in Finnland (und Deutschland!) sind es ebenfalls – jedenfalls in der bisherigen Form ohne Bankenbeteiligung. Es ist auch nicht rechts, sich darüber zu erregen, dass das Parlament bei den Zahlungen zu wenig mitzureden hat. Das tun die Grünen in Deutschland auch. Ebenso wenig rechts ist es, darauf zu beharren, dass die Volkswirtschaften im Euro-Raum ihres eigenen Glückes Schmied sind und nicht auf die Solidarität anderer bauen dürfen. Darauf haben sich sämtliche Regierungen der Europäischen Union geeinigt, nachzulesen in Artikel 125 des Lissabon-Vertrages.
Die 19 Prozent, die gestern in Helsinki auf den Bildschirmen aufleuchteten, stehen also für ein neues, lagerübergreifende politisches Motiv. Sie stehen für einen Unmut, für ein Rest-Unverständnis, das die Menschen bei allem guten Willen für die europäische Integration mit der Art und Weise befällt, wie diese EU funktioniert. Oder fehlfunkioniert. Es sind 19 Prozent, die nicht glauben wollen, dass die gegenwärtige Art von Europapolitik „alternativlos“ ist. Solche Skepsis ist nicht demokratiefeindlich. Im Gegenteil. Von Zweifeln wie diesen leben europäische Demokratien.
Dass sich der kritische Unmut nun ausgerechnet im politisch sonst so stillen und konsensorientierten Finnland Bahn bricht, hat zum einen mit Timo Soinis Person zu tun. Selbst seine schärfsten Gegner gestehen ihm zu, ein sympathischer, einnehmender und durchaus liberaler Kerl zu sein. Zum anderen hat es mit der tiefen protestantischen Grundierung des Landes zu tun. Die Finnen sind ein recht legalistisches Volk. „Wenn es Regeln gibt, dann müssen diese Regeln eingehalten werden“, sagte mir der bisherige Außenminister Alexander Stubb, „wir sind, was das angeht, ein Mini-Deutschland. Sehr streng.“
Die protestantische Grundierung beschränkt sich nicht nur auf die Gesetzestreue, sie umfasst auch den Arbeitsethos. Finnland steckte selbst einmal in einer Lage wie Griechenland. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1990/91 verlor Finnland schlagartig seinen wichtigsten Handelspartner für Rohwaren. Das Bruttosozialprodukts sankte um 10 Prozent ab, die Banken wackelten, die Arbeitslosigkeit schoss auf 20 Prozent. Was taten die Finnen? Freilich, sie erhielten auch Hilfen vom IWF. Aber parallel dazu werteten sie die Finnmark ab, kürzten ihren Sozialsektor dramatisch zusammen und schworen das Land auf einen radikalen Strukurwandel ein. Sie investieren Geld in den High-Tech-Sektor, die IT-Branche und Bildung. In Finnland arbeiten heute pro Kopf mehr Menschen in der Forschung als in jedem anderen OECD-Land.
Warum, fragen sich jetzt mehr als 19 Prozent aller Finnen, sollen andere Länder so etwas nicht auch hingekommen? Nun, könnte man antworten, akut muss man diesen Ländern, Griechenland und Portugal, eben helfen, überhaupt noch irgendwas hinbekommen zu können.
Aber was, wenn sie es trotz all der Milliarden nicht schaffen?
Tja.
Dieser Zweifelsbereich bleibt die Erfolgszone der Timo Soinis.