Warum es Vertrauen schaffen kann, wenn die politische Macht vom Bürger wegrückt
Große Worte rauschen diese Tage durch Brüssel. Was die Welt jetzt brauche, sei eine „neue Finanzmarktverfassung“ heißt es während des Treffens der 27 Staatschefs und ihrer Außenminister. Sprich: Die EU allein ist zu klein für die Aufgabe, in Zukunft eine ähnliche Finanzkrise wie die derzeitige zu verhindern.
Nicht nur die G8-Staaten, da sind sich die EU-Chefs einig, müssen jetzt zusammenkommen, um sich neue Verkehrsregeln für die Kapitalflüsse um den Globus zu überlegen, sondern auch die Schwellenländer China, Indien und Brasilien. Der „internationale Finanzgipfel“, so Außenminister Frank-Walter Steinmeier, solle außerdem die Golfstaaten und Singapur einschließen.
Steinmeier im O-Ton bei der Abschlusspressekonferenz (gut 7 Minuten)
Am besten noch im November, so der Wunsch der Europäer (die Schlussfolgerungen ihrer Sitzung hier), sollen die mächtigsten Repräsentanten der Menschheit zusammenkommen, um neue Weltfinanzgesetze zu beschließen. Sie könnten beispielsweise regeln, welche Liquiditätsreserven Banken aufweisen müssen, um besser vor Insolvenz geschützt zu sein. Sie könnten regeln, dass Steueroasen, vor allem in der Karibik, geschlossen werden. Sie könnten beschließen, dass ein Teil des Verfallsrisikos von Derivaten bei den Banken bleibt, die sie verkaufen.
Ähnlich wie die Welthandelsorganisation (WTO) könnte der Internationale Währungsfonds (IWF) diese Verkehrsleitaufgabe übernehmen – vorausgesetzt, die Mitgliedsstaaten übertragen der Organisation dafür die Kompetenzen.
Das, was sich hier entwickelt, ist bemerkenswert. Denn es ist ein Beispiel dafür, dass Subsidiarität (der Vorrang der unteren Ebene) unter den Bedingungen der Globalisiertheit auch bedeuten kann, Souveränität an die nächsthöhere supranationale Instanz zu übertragen. Was wir da beobachten, ist, mit anderen Worten, nichts anders als ein neues Stückchen Weltföderalismus.
Vielleicht lohnt es sich, daran zu erinnern, woher das Wort „Föderalismus“ stammt. Es leitet sich vom Lateinischen „fidere“, vertrauen, ab und ist verwandt mit „foedus“, Vertrag. Der wohl erste Vertrauensvertrag, den die Menschen als solchen benannten, war der „Bund“, den das Volk Israel mit Jehova schloss: sie erkannten ihn als einzigen Gott an, er im Gegenzug machte seine Anhänger zu Auserwählten.
In der Neuzeit säkularisierte vor allem der schottische Philosoph David Hume die Föderalismusidee. Ist es nicht ganz natürlich, fragte er, wenn der Mensch sich wünscht, dass die Entscheidungen, die über ihn gefällt werden, von Autoritäten getroffen werden, die ihm nahe stehen, die er kennt? Also am besten auf lokaler Ebene? Gleichzeitig, so Hume, weiß der Mensch natürlich auch, dass es Probleme gibt, die nur von einer höheren, mächtigeren Autorität gelöst werden können.
Kleine Republiken, schreibt Hume schon im 18. Jahrhundert, sind „schwach und unsicher“, während „eine große Regierung, die meisterlich aufgestellt ist, Bewegungsspielraum und Kompass besitzt, um die Demokratie zu verbessern, indem sie sie von unteren Leuten auf höhere Schiedsmänner überträgt, die alle Bewegungen steuern.“ (Hume, The Idea of a Perfect Commonwealth, in: Selected Essays, 1996, S. 314)
Föderalismus bedeutet, kurz gesagt, Vertrauen notwendigenfalls auf eine mächtigere, wenn auch entferntere Stufe zu übertragen.
Ist es nicht interessant, wie Humes Prinzip heute auf einer Dimension funktioniert, die er selber sich wohl nie hätte vorstellen können? Da überträgt die ohnehin schon bürgerferne und schwach demokratisch legitimierte EU Souveränität an eine noch distanziertere, noch expertenhaftere Weltorganisation – und der Bürger? Er fasst tatsächlich neues Vertrauen.