Vor sechzig Jahren, am 10. Dezember 1948, verabschiedeten die Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Sie definieren den Minimalschutz, der jedem Erdenbürger gegenüber staatlicher Macht zusteht.
Doch wie steht es um die Achtung der Menschenrechte in der praktischen Außenpolitik Europas? Am Beispiel des Umgangs mit dem Repressionsregime in Usbekistan zeigt sich eine zwiespältige Bilanz
Ein Report
Im Mai 2005 verübten usbekische Sicherheitskräfte in der Stadt Andischan ein blutiges Massaker. Mehrere hundert friedliche Demonstranten starben im Kugelhagel. Angeblich, so die usbekische Regierung, habe es sich um eine Veranstaltung von militanten Islamisten gehandelt.
Die Europäische Union verhängte als Reaktion im November 2005 ein Einreiseverbot gegen jene Politiker und Militärs, die für das Blutbad verantwortlich gewesen sein sollen.
Mitte Oktober diesen Jahres nun hob die EU die Reisebeschränkung auf. Treibende Kraft hinter diesem Schritt war die deutsche Bundesregierung. Andere Länder, unter ihnen Tschechien, Großbritannien, und Schweden, hatten Vorbehalte, schwänkten aber – mit Ausnahme der Niederlande – letztlich auf die Berliner Position ein. In Kraft blieb allerdings ein Waffenembargo, das nach dem Bluttag von Andischan ebenfalls gegen Usbekistan verhängt worden war.
Die europäischen Außenminister lobten am 13. Oktober in Luxemburg „die Fortschritte, die Usbekistan seit einem Jahr im Bereich der Achtung der Rechtstaatlichkeit und des Schutzes der Menschenrechte erzielt hat“. Die Regierung in Taschkent habe nicht nur eine inhaftierte Dissidentin zur medizinischen Behandlung nach Deutschland reisen lassen, sondern auch die Todesstrafe abgeschafft und den Habeas-Corpus-Grundsatz (Schutz vor willkürlicher Inhaftierung) eingeführt.
Freilich gibt es auch weniger ideelle Motive für die Wiederannährung an das usbekische Regime. Ein wcihtiges ist die Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung.
„Natürlich können wir Leute treffen, denen Blut an den Händen klebt“
Gegenüber dem usbekischen Sicherheitsdienst verfolgt der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) eine „partner policy“ regelmäßiger Kontakte und punktueller Zusammenarbeit. Aus zwei Gründen haben die deutschen Geheimdienstler ein dringendes Interesse am Austausch mit dem usbekischen Apparat. Zum einen grenzt das islamische Land an Nordafghanistan, wo über 3000 Bundeswehrsoldaten stationiert sind. Im usbekischen Termes unterhält die Luftwaffe ein Drehkreuz, über das sie in speziell geschützten Transall-Flugzeugen Nachschub und Personal auf die südliche Seite des Hindukusch schafft.
Zum anderen hält der BND die Islamic Movement of Usbekistan (IMU) für eine potenzielle Bedrohung auch deutscher Zivilisten in der Heimat. Die Kämpfer der IMU sollen nicht nur enge Kontakte zu den Taliban im Nachbarland pflegen, sondern auch Beziehungen nach Europa.
„Usbekistan in ein gutes Beispiel dafür, dass man die Gesprächsfäden nicht abreißen lassen darf, auch wenn offizielle Kontakte schwierig sind“, erklärt mir ein ranghoher BND-Beamter. Politik und Diplomatie seien die offenen Etagen der Außenpolitik – die Geheimdienstarbeit dagegen die Arbeit im Keller.
„Natürlich kann man bei seinen Kontakten irgendwo in der Welt auch auf Leute treffen, die für Politiker nicht satisfaktionsfähig sind, denen manchmal vielleicht sogar Blut an den Händen klebt”, berichtet der Beamte. Ein unkeusches Geschäft, sicher. „Aber dafür”, sagt der Geheimdienstler, „sind wir nun einmal da.”
Nicht jeder Geheimdienstler ist zum Helden geboren
Wo aber verlaufen die Grenzen zwischen legitimer Auslandsaufklärung und zynischen Schmuddelspielen? Was, wenn die Informationen der usbekischen Geheimdienstoffiziere – wie man mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen muss – aus Foltersitzungen gewonnen wurden? Das wisse man im konkreten Fall so gut wie nie, lautet die Standardantwort des deutschen Geheimdienstes. Mit anderen Worten: lieber gar nicht erst genauer nachfragen.
„Natürlich vermeidet die Gegenseite, dass wir Gefängniszellen oder Verhörzellen zu sehen bekommen”, sagt ein BND-Mann, der selbst schon in Usbekistan war. „Letztlich ist es eine Frage des persönlichen Mutes, ob man Haftbedingungen anspricht.” Nicht jeder Kollege, gibt der Mann zu, sei zum Helden geboren.
Das Geheimdienstgeschäft freilich ist eines des Gebens und Nehmens. Oft kommt es deshalb vor, dass die ausländischen Counterparts von ihren deutschen Kollegen verlangen, sie sollten ihnen Informationen über Oppositionelle im europäischen Exil zukommen lassen. In dieser Hinsicht, heißt es aus dem BND, sei man allerdings “absolut restriktiv” – niemand werde verpfiffen. Als Ergebnis, so Geheimdienstler, endeten manche Zusammentreffen mit Counterparts aus Unrechtsstaaten in gegenseitiger Frustration.
Die Arbeit im Keller kann allerdings auch die Fundamente für eine Annäherung legen, die die Bundesregierung später gern mit Stolz als erfolgreiche Wandelpolitik verbucht. Geheimdienstler gelten in Überwachungsstaaten oftmals als mächtige Regierungsakteure. Mit entsprechender Wertschätzung werden BND-Vertreter bisweilen auf ihren Missionen in der zweiten und dritten Welt hofiert. Unversehens können dann Geheimdienstler politische Anbahnungsgeschäfte betreiben, sie können das Eis brechen, das Außenminister nicht brechen dürfen, oder Botschaften und guten Willen übermitteln, die sonst womöglich nie in Berlin ankämen.
„Manchmal”, berichtet ein Geheimdienstler, „kann man persönliche Kontakte auch nutzen, um einen Gefangenen aus seinem Verließ zu holen.“ Und langfristig vielleicht sogar, um einen Kerker ganz zu schließen. Das jedenfalls ist das Ziel der, wenn man so möchte, “neuen Ostpolitik” der Bundesregierung.
Ein Pressefreiheitsseminar, das die EU als großen Schritt feierte, war eine Farce
„Die zentralasiatischen Länder fühlen sich zwischen Russland und China eingeklemmt. Und weil sie sich aus dieser Klammer lösen wollen, suchen sie die Nähe zu Deutschland“, sagt die CDU-Europaabgeordnete Elisabeth Jeggle. Die Baden-Württembergerin war erst kürzlich wieder in Usbekistan. Seit dem Einmarsch russischer Truppen in Georgien, berichtet sie, wachse dort die Angst, der große Nachbar könne auch die Usbeken mit Gewalt gefügig machen. „Wenn wir die Region für den Westen nicht verlieren wollen, brauchen wir gute Beziehungen zu Usbekistan und zu Zentralasien als Ganzes.“ Sicher, die Menschenrechtslage sei längst noch nicht befriedigend. „Aber es gibt Fortschritte“, beharrt Jeggle.
„Mit Befriedigung“ nahm der Rat der Europäischen Außenminister im Oktober etwa zur Kenntnis, dass Anfang Oktober in Taschkent ein Seminar über Medienfreiheit abgehalten wurde. Dies sei ein wichtiger Schritt zur Öffnung des Landes an westliche Standards gewesen.
Mehrere Teilnehmer der Veranstaltung indes können nicht erkennen, was an diesem Ereignis auch nur annähernd befriedigend gewesen sein soll. „Wir hofften, es wäre ein Signal für Wandel“, sagt Jacqueline Hale, die für das Open Society Institute von Brüssel nach Usbekistan reiste, um das Seminar zu verfolgen. „Tatsächlich waren wir NGO-Vertreter Teil einer Propaganda-Show. Die angeblichen usbekischen Journalisten waren Apparatschiks. Sie zeigten uns tolle neue Computer, aber als wir fragten, warum kein Reporter über Machtmissbräuche der Regierung oder die Kinderarbeit auf den Baumwollfeldern berichteten, leugneten sie, dass es so etwas überhaupt gäbe.“ Andrew Stroehlein, Pressechef der International Crisis Group, bestätigt: „Die Konferenz überstieg alle meine Erwartungen des Surrealen.“
Warum, fragen die Menschenrechtsgruppen, hat die EU die deutlichen Berichte der Seminar-Teilnehmer nicht zu Kenntnis genommen? Warum bekommen NGOs nicht die politischen Strategiepapiere der Brüsseler Außenpolitiker?
Es stimme, sagt die EU-Abgeordnete Jeggle, dass das Medienseminar nicht den Erwartungen der Europäer entsprochen habe. Doch die Haltung vieler NGOs findet sie schlicht zu ungeduldig. „Tatsache ist: Die Zahl der Gefangenen dort geht zurück. Dem Roten Kreuz wird Zugang zu Gefängnissen gewährt. Ich selbst habe mit Häftlingen gesprochen. Unsere Menschenrechtsarbeit“, versichert Jeggle, „ist nicht bloß Theorie – aber es ist halt elend zäh.“
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