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„Klare Botschaft“ an Peking

 

Interessant: Da leitet Peking eine diplomatische Zeitenwende ein, womöglich als Erfolg gesamteuropäischen Verhandlungsgeschicks – und was macht Brüssel?

Es übt sich in geradezu buddhistischer Bescheidenheit.

Natürlich, heißt es aus der Kommission, könne die EU den Erfolg des chinesischen Einlenkens gegenüber dem Dalai Lama nicht allein für sich verbuchen; vergangene Woche hatte sich die Regierung bereit erklärt, mit einem Vertreter des geistigen Oberhaupts Tibets zu sprechen.
Ja, nun ja, aber, lässt sich die EU-Zentrale vernehmen, natürlich pflegten die großen Mitgliedsländer Deutschland, Frankreich und Großbritannien jeweils auf ihre Arten den Dialog mit China. Und jeweils auf ihre Art hätten sie zum guten Gelingen beigetragen.

Dass die EU einen gewissen Anteil am Erfolg hatte, steht allerdings außer Zweifel – und sei es nur als Postadresse.

Bereits am 16. April nämlich erhielt der derzeitige slowenische Ratspräsident Janez Jansa in Brüssel einen Brief aus Peking. Darin, so teilte er erst jetzt mit, habe ihm der chinesische Premierminister „ausdrücklich seine Bereitschaft“ signalisiert, mit einem Vertreter des Dalai Lama ins Gespräch zu kommen.

Wessen Verdienst dies nun genau war, darüber rätseln allerdings auch die Slowenen. „Wohl eher das der internationalen Gemeinschaft“, antwortet ein slowenischer Diplomat in Brüssel eher fragend als selbstbewusst. Mit der chinesischen Regierung sei immerhin vereinbart worden, die Neuigkeit bis zum Gipfeltreffen von Wen Jiaboa mit José Manuel Barroso in der vergangenen Woche geheim zu halten. Die beiden sollte sie feierlich verkünden können.

Als spontane Reaktion auf den Barroso-Besuch kam der Erfolg also nicht – auch wenn der Kommissionspräsident, wie aus seiner Umgebung zu hören ist, durchaus Klartext mit dem chinesischen Premier geredet habe.
Im Zweiergespräch mit Wen habe er betont, dass Europa China als Partner in einer Reihe von globalen Fragen brauche; beim Klimaschutz, bei der Energiesicherheit und bei der Entwicklungszusammenarbeit in Afrika. Barroso habe aber auch die „klare Botschaft“ überbracht, dass die EU mit der Lage in Tibet und der Achtung der Menschenrechte in China nicht einverstanden sei. So müssten Journalisten künftig ungehindert aus Tibet berichten können.

Barroso kam mit einer alten Haltung und mit einer neuen Mahnung. Die eingespielte Haltung der EU gegenüber China lautet: Isolation ist keine Option. Zu augenfällig sind dafür die Zukunftschancen zwischen der konsolidierten und der kommenden Wirtschaftsweltmacht, zu ausgeprägt längst die Verflechtung. China ist eben nicht nur der größte CO2-Produzent der Welt, sondern hinter den USA auch der größte Handelspartner der EU. Seine Ressourcen sichert es sich unter anderem in Regionen, in denen die Europa – wenngleich periphere – Sicherheitsinteressen ausgemacht hat, zum Beispiel im Sudan.

Die innovative Mahnung aus Brüssel indes lautete: Kritik ist kein feindlicher Akt. Barroso, berichtet ein EU-Diplomat, der die Verhandlungen in Peking begleitet hat, habe Wen gesagt, europäische Regierungen würden die ganze Zeit kritisiert. Was sei daran so schlimm? Kritik sei nicht als Beleidigung, sondern als Möglichkeit zu betrachten, die Dinge in Zukunft zu verbessern. Dieser „praktische Ansatz“ Barrosos sei von den Chinesen durchaus geschätzt worden, heißt es. Der Druck, die Olympischen Spiele zu einem Erfolg werden zu lassen, laste spürbar auf ihnen.

„Die Chinesen“, sagt ein Mitglied der EU-Reisedelegation, „wissen, dass sie in der Tibetfrage so nicht weitermachen können bis August.“

Vielleicht kam im Falle des Kommissionspräsidenten aber auch die besondere Eigenschaft der Brüsseler Meta-Diplomatie hinzu, die darin besteht, für Viele und für Keinen zugleich zu sprechen.

Der Kommissionspräsident ist der Kopf einer supranationalen Behörde. Von Natur aus hat er viel mehr Verknüpfung als Verhandlung zu bieten. Aus Sicht der Chinesen also dürfte das Kooperationspotenzial des Brüsseler Abgesandten maximal, sein Demütigungspotential minimal sein. Um Barrosos Teilnahme an der Eröffnungsfeier der Spiele beispielsweise kümmert sich die Weltöffentlichkeit kaum (er habe ohnehin nie vorgehabt, im Stadion zu sitzen, sagen seine Mitarbeiter). Die Debatte hingegen, ob Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy, der im Juli der EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, oder Angela Merkel und Gordon Brown nach Peking reisen oder nicht, sorgt seit Wochen für Schlagzeilen.

Was lehrt das? Dass Gäste aus Brüssel in Peking willkommene, weil nur semipolitische Handelsvertreter sind. Der EU Zugeständnisse zu machen, kommt selbst den Neo-Comms deshalb vergleichsweise günstig.