Die europäische Fischereipolitik ist ein einziger Skandal.
Warum traut sich trotzdem kein Politiker an sie heran?
Markus Knigge und Mike Walker haben den vielleicht depremierendsten Job aller Brüsseler Lobbyisten. Aber dafür dafür erscheinen sie recht gut gelaunt.
In einem indischen Restaurant im Schatten des Kommissions-Gebäudes sitzen mir die beiden jungen Männer, ein Deutscher und ein Ire, gegenüber – und strahlen.
„Wir sind die Fisch-Retter!“, sagen sie.
Markus und Mike arbeiten für den PEW Environment Trust, einer Umweltschutzorganisation mit Stammsitz in den USA. In Brüssel hat die Organisationen vor gut einem Jahr eine Büro gegründet, und was Mike, Markus und ein halbes Dutzendes weiterer Mitarbeiter von dort aus versuchen, erscheint als ebenso nobler wie aussichtsloser Kampf gegen ein Bündnis von 26 sturköpfigen Regierungen.
Mike, Markus & Co. möchten Europa davon abbringen, pro Jahr mehr als vier Milliarden Euro auszugeben, um die Fischbeständen in den Meeren zu vernichten. Diesen Effekt, kurz gefasst, attestieren die beiden nämlich der Fischereipolitik der Europäischen Union.
„Die Details sind sehr technisch und kompliziert“, sagt Markus und bestellt ein vegetarisches Curry. „Aber das Grundproblem ist ganz einfach: Wir fischen zu viel. Es gibt zu viele Boote für zu wenige Fische.“
Jedes Jahr legen die Landwirtschaftsminister der EU-Mitgliedstaaten Fangquoten für Nord- und Ostsee fest. Und jedes Jahr, beklagen Kritiker wie Markus und Mike, überziehen die Minister die Grenzwerte, welche nicht nur die EU-Kommission, sondern auch Wissenschaftler gerne sähen. Zwar bemüht sich die EU-Verwaltung, die Fangquoten möglichst niedrig zu halten, doch den meisten Regierungen, klagen Umweltschützer, gehe das kurzfristige Wohlergehen ihrer Fischer vor den langfristigen Bestandschutz der Schwärme.
In den vergangenen Jahre haben laut PEW-Angaben die Fanggrenzen im Durchschnitt 48 Prozent über den wissenschaftlichen Empfehlungen gelegen. Die Quote für den schottischen Schellfisch allein sei 2007 achtmal höher festgesetzt worden als Meeresbiologen angemahnt hatten.
Schleppnetz-Trawler würfen außerdem zwischen 70 und 90 Prozent ihres Fanges zurück ins Meer, weil die Fische entweder zu klein sind oder schlecht verkäuflich. Immer wieder dokumentieren Umweltschützer mit Kameras von Booten aus, wie tonnenweise toter Beifang über Bord gespült wird – es ist eine unfassbare Vernichtung von Meeresleben. Der Kabeljau, eine vor wenigen Jahren noch stark verbreitete Art, ist in Nord- und Ostsee mittlerweile bestandgefährdet.
Allen voran Spanien, Italien, Portugal und Polen, berichten Mike und Markus, verlangten trotz alledem regelmäßig eine Erhöhung der Quoten. Denn erstens sichere die Fischerei Arbeitsplätze in den Küstenregionen, und zweitens würden die Fangtechniken immer moderner – nicht zuletzt infolge reichlicher Subventionen, welche die Fischer in neues Gerät investieren können. 4,3 Millionen Euro schüttet die EU im laufenden Sieben-Jahres-Haushaltsplan an Fischereisubventionen aus (Details hier). Ergebnis: Die Ausbeutung der Meere wird immer leichter – und leichtsinniger.
„Die technisch hochgerüstete Fischereiflotte von Schweden zum Beispiel braucht ganze zwei bis drei Wochen, um die erlaubte Fangmenge für ein ganzes Jahr aus dem Wasser zu ziehen“, sagt Mike und bestellt ein Hühnchen-Gericht. Dabei sei doch absehbar, welche langfristigen Folgen die Überfischung haben müsse: „Ohne Fisch gibt’s irgendwann keine Fischerei mehr. Ist doch eigentlich logisch, oder?“
Das Problem liegt also auf der Hand. Selbst die EU-Kommission räumt ein, dass die gemeinsame Fischereipolitik gescheitert sei, weil sie die Fischbestände bedrohe statt sie zu schützen. Warum also ändert die EU nicht den Kurs?
Weil sich zunächst einmal die Frage stellt, wer „die EU“ in diesem Fall eigentlich ist. Und es sind natürlich vor allem diejenigen Staaten, denen das Thema Fischerei aus geografischen Gründen am Herzen liegt. Warum sollten sich schon die Regierungen von Tschechien, Österreich oder Slowenien für niedrigere Fangquoten ins Zeug legen? Das verspricht nur politischen Streit. Die Initiativhoheit bleibt damit bei jenen Regierung, die ein Eigeninteresse an hohen Fangquoten haben. Daran, mit anderen Worten, die Fischer nicht als Wähler zu vergrätzen. Zwischen 1994 und 2006, rechnet PEW vor, habe allein Spanien die Hälfte aller EU-Fischereisubventionen bezogen. Warum sollte Madrid ein Interesse daran haben, diesen Zufluss zu stoppen, wenn dies das schnelle Aus für viele, viele Fischer bedeuten würde?
Dabei verspräche das Thema Überfischung jedem Politiker, der sich traute, es anzufassen und in die Öffentlichkeit zu tragen, potentiell breite Zustimmung. Grüne könnten den Umwelt-Skandal anprangern. Liberale den Subventionswahnsinn geißeln. Und Konservative beides. Warum trotzdem nichts passiert, dafür hat Mike seine eigene Erklärung:
„Fische sind einfach nicht so niedlich wie Pandabären. Sie riechen ziemlich komisch, und keiner will sie knuddeln.“
Stimmt. Wir essen sie lieber. Die Frage ist bloß: Wie lange noch?