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„Wer das Gesetz bricht, muss sich dafür verantworten“

 

Es wäre die Gelegenheit gewesen, den Atomstreit zu entschärfen. Als der iranische Außenminister Manuschehr Mottaki gestern das Podium der Münchner Sicherheitskonferenz betrat, hoffte der Saal, er würde den neuesten, hoffnungsvollen Vorschlag seines Präsidenten erläutern. Ahmadinedschad hatte angekündigt, Iran könne Uran künftig im Ausland anreichern lassen. Damit würde die Gefahr, dass das Land mit Hilfe eigener Zentrifugenanlagen Atomwaffen entwickelt, deutlich schwinden. Doch statt die Chance zur Annäherung zu nutzen, stieß Mottaki dem Münchner Publikum vor den Kopf.

Im Gespräch mit dem schwedischen Außenminister Carl Bildt behauptete er, nicht Iran habe ein Problem mit der Demokratie, sondern Europa. Wer der mitternächtlichen Diskussion im Königssaal des Hotels Bayerischer Hof lauschte, konnte nicht anders als Mitleid zu entwickeln für all jene Politiker, die seit Jahren mit einer Figur wie Mottaki verhandeln müssen. Die Runde führte emblematisch vor Augen, worin das anhaltende Problem mit der islamischen Republik liegt. Die Beziehungen zwischen dem Westen und Iran bestehen darin, dass der Westen Fragen stellt und Iran sie nicht beantwortet.

Die Hauptfrage, die Mottaki unbeantwortet ließ, stellte Carl Bildt gleich mehrmals. „Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat Iran aufgefordert, die Urananreicherung auszusetzen. Warum kommen Sie dieser Forderung nicht nach?“

Nicht-Antwort Mottaki: „Ich arbeite seit 26 Jahren als Diplomat.“ Mit Carl Bildt, „meinem guten Freund, habe ich immer klar und offen geredet.“ Es müsse gleiches Recht für alle gelten. Iran habe nun einmal, wie alle anderen Nationen auch, das Recht auf friedliche Nutzung der Kernenergie.

Neuer Versuch Carl Bildt: „Sie betreiben ein Anreicherungsprogramm, ohne ein Energieprogramm zu betreiben. Wozu brauchen Sie Uran, wenn Sie gar keinen Kernreaktor besitzen? Das wirft Verdachtsmomente auf.“

Nicht-Antwort Mottaki: „Wir brauchen Kernforschung und Isotope für medizinische Zwecke.“

Gänzlich zur Farce geriet die Veranstaltung, als Carl Bildt und andere Mottaki auf die Menschenrechtsverletzungen in Iran ansprachen. „Wir können diese Frage nicht vermeiden“, sagte Bildt (der, nebenbei bemerkt erneut bewies, dass er eine glänzende Wahl für das Amt des Europäischen Außenministers gewesen wäre. Hart in der Sache, freundlich im Ton, konfrontierte er den Iraner mit den entscheidenden Sorgen des Westens und erntete mehrmals Beifall für seine klare, unirritierte Art.) Der Schwede warnte Mottaki vor den Konsequenzen, die es mit sich brächte, wenn die iranische Justiz in den nächsten Tagen tatsächlich neun Oppositionelle hinrichten würde. Sie waren wegen der Unruhen nach der Präsidentenwahl am 12. Juni zum Tode verurteilt worden.

Darauf entgegnete Mottaki, es habe sich um „freie und faire Wahlen“ gehandelt. Wer Iran wirklich kenne, wisse: „Alles, was die Regierung tut, entspricht dem Willen des Volkes.“ Die iranische Führung, ließ der Außenminister durchblicken, sei demokratisch besser legitimiert als beispielsweise das Europäische Parlament. „In einigen EU-Staaten haben sich nur 25 Prozent der Menschen an dessen Wahl beteiligt. Bei uns waren es 85 Prozent!“

Was die Todesurteile betreffe, so träfen sie keine Oppositionellen, sondern Verbrecher. „Sind Sie in Ihren Ländern“, fragte Mottaki ins Publikum, „etwa tolerant gegenüber Gewalttätern?“ Im Übrigen könnten die Verurteilten Berufung einlegen, wenn sie wollten.

Darauf platzte der Grünen-Chefin Claudia Roth, die ebenfalls an der Konferenz teilnahm, der Kragen. In einer couragierten Intervention fragte sie Mottaki, wie er die willkürlichen Verhaftungen, die Misshandlungen durch Revolutionswächter und die Knebelung von Journalisten rechtfertige, die seit dem 12. Juni in Iran geschähen.

Nicht-Antwort Mottaki: „Wir sollten uns auf gemeinsame Grundlagen verständigen. Vor dem Gesetz sind alle gleich. Wer es bricht, muss sich dafür verantworten.“

Ganz am Ende, schon nach Mitternacht, hatte Mottaki allerdings noch eine Frage an Carl Bildt. Es gebe im Nahen Osten, sagte er unter Anspielung auf Israel, nur ein Land, das Atomwaffen besitze. „Was hat der Westen eigentlich getan, um diese Waffen abzurüsten?“

Und diesmal war es Bildt, der mit einer Nicht-Antwort reagierte: „Unser Ziel bleibt eine Welt ohne Atomwaffen.“

Vielleicht wäre eine andere Entgegnung ehrlicher gewesen. Der Westen betrachtet das israelische Atomarsenal aus drei Gründen nicht als akut bedrohlich. Weil Israel, erstens, nicht, wie Iran, mit der Auslöschung anderer Staaten droht. Weil Israel, zweitens, keine islamistischen Terrorgruppen in anderen Ländern unterstützt. Und weil, drittens, im Gegensatz zu Iran, keine Zweifel daran bestehen, dass seine Regierungsvertreter für die Mehrheit des Volkes sprechen.

Der Westen, ja, verhält sich doppelmoralisch. Aber der gestrige Abend lieferte einen weiteren Beweis dafür, dass er es zu Recht tut.

Foto: Harald Dettenborn / MSC