Wer in diesen Stunden im Nato-Hauptquartier in Brüssel anruft, hört im Hintergrund manch einer Ländermission hektische Schritte und Rufe auf den Fluren. Der plötzliche Krieg zwischen Georgien und Russland hat die Diplomaten der Allianz aus der Sommerlethargie gerissen. „Hier wird eine Menge geredet im Moment“, lässt sich eine Vertreterin der Vereinigten Staaten vernehmen. „Aber auch viel zugehört.“
Entsprechend gelassen wird man denn wohl auch den Aufruf von Georgiens Präsident Micheil Saakaschwili zur Kenntnis nehmen, die USA sollten in den Krieg eintreten. Es sei im Interesse der USA, seinem Land zu helfen, sagte Saakaschwili dem Nachrichtensender CNN. „Es geht nicht mehr nur um Georgien. Es geht um Amerika und seine Werte. Wir sind ein Freiheit liebendes Land, das derzeit angegriffen wird.“ Russland führe auf georgischem Boden Krieg gegen sein Land.
Saakaschwili pflegt seit Studienzeiten in den neunziger Jahren enge persönliche und politische Verbindungen nach Washington. Er wurde nicht nur von Amerikanern außenpolitisch beraten, sondern auch als Protegé auf dem Kaukasus gehätschelt.
Gerade erst hat das US-Militär zusammen mit seinen georgischen „Verbündeten“ das Manöver Immediate Response 08 abgehalten.
Allerdings scheint Saakaschwili die Strahlkraft dieser Freundschaft regelmäßig zu überschätzten. Während des jüngsten Nato-Gipfels im April in Bukarest konnten ausländische Beobachter erleben, wie der 40-Jährige jede Contenance verlor, als sich abzeichnete, dass die Nato seinem Land trotz amerikanischer Unterstützung nicht den Nato-Kandidatenstatus gewähren wollte.
Georgien ist bis heute weder Mitgliedsstaat der Nato noch Teilnehmer des sogenannten Membership Action Plan (MAP), also des Nato-Beitrittsprozesses. Vor allem Deutschland hatte im April Vorbehalte gegen eine MAP-Eröffnung gehabt; zuerst, so die Position Merkels damals, müsse Georgien seine Regionalkonflikte lösen – damit genau dies nicht geschehe, was nun seit gestern Nacht geschieht. Beobachter munkelten schon damals, Saakaschwili, der als überspannt gilt, erstrebe nur deshalb die Nähe der Nato, um unter dem westlichen Sicherheitsschirm Streit mit Russland anzetteln zu können.
Eine Beistandspflicht des Bündnisses gegenüber Georgien gibt es im derzeitigen Konflikt also nicht.
Auch sei bisher, heißt es aus dem Nato-Hauptquartier, noch unklar, wer die Aggressionen in Südossetien tatsächlich begonnen habe. Aber was, wenn die Auseinandersetzung in der Region Ausmaße annimmt, die das Nato-Territorium betreffen könnten? Das sei unwahrscheinlich, heißt es aus dem Hauptquartier. Georgien grenzt zwar im Süden an das Nato-Mitglied Türkei, aber dass die georgisch-russischen Kämpfe um Südossetien auf der anderen Seite des Landes dorthin übergreifen, scheint ausgeschlossen.
Und auch über eine Friedenstruppe nachzudenken, ist derzeit noch viel zu früh. Offiziell bleibt dem Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer deshalb nichts anderes übrig, als zu sagen, er sei über die „Ereignisse in der georgischen Region Südossetien ernsthaft besorgt, und die Allianz wird die Situation genau verfolgen.“
Wie sich der Konflikt in den nächsten Tagen auch immer entwickeln wird – eines seiner Ergebnisse steht wohl schon heute fest. Saakaschwili wird seine Träume einer Nato-Aufnahme einstweilen beerdigen können.