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Vom Imitator zum Innovator

 

Die Nachlese des Reformprogramms der chinesischen Führung des Dritten ZK-Plenums hat begonnen. War unmittelbar nach Ende dieser viertägigen Parteisitzung zunächst lediglich von abstrakten und inhaltsleeren Formulierungen wie „eine entscheidende Rolle für die Privatwirtschaft“ die Rede, wird erst mit der intensiven Auseinandersetzung klar, welche Schätze dieses umfangreiche Dokument (bisher ist es nur auf Papier verfügbar; Zusammenfassungen auf Englisch hier) noch alles birgt.

Für die deutsche Wirtschaft dürfte der angekündigte Plan zum besseren Schutz vor Ideenklau von besonderem Interesse sein – ist der mangelnde Schutz des geistigen Eigentums doch eine praktische und reale Sorge der deutschen Firmen vor Ort. In der diesjährigen Geschäftsklimaumfrage der deutschen Handelskammer in Peking etwa gaben 52 Prozent der Unternehmen an, unter Rechteverletzungen zu leiden – zehn Prozentpunkte mehr als im Vorjahr.

Tatsächlich war das Bild von China als Land der Abgucker und Nachahmer zumindest bis vor Kurzem nicht unbegründet. Es ist traurig und amüsant zugleich zu entdecken, was hier alles nachgemacht wird. Gebrauchsgüter wie Taschenlampen sind noch der harmloseste Fall. Oft werden komplette Autos oder ganze Motoren  von Konkurrenten – oder sogar langjährigen Geschäftspartnern – eins zu eins abgekupfert.

Doch die Schauergeschichten von den diebischen Chinesen erzählen nur einen Teil der Geschichte. Vor allem sind sie nicht auf der Höhe der Zeit. Denn im Reich der Mitte laufen gerade zwei Trends nebeneinander: Auf der einen Seite nimmt die Zahl der Fälschungen ab, weil die Regierung das Problem ernsthaft angeht. Auf der anderen Seite sind die einheimischen Anbieter selbst viel innovativer geworden und auf den Schutz ihrer Ideen angewiesen. Das bringt einen tiefgreifenden Bewusstseinswandel.

Die Veränderung zeigt sich auch im Stadtbild der Hauptstadt Peking. Auf dem „Seidenmarkt“, einem Betonklotz mit Marktständen nicht weit vom historischen Stadtzentrum, sind Fälschungen wie Adidas-Turnschuhe und Boss-Poloshirts immer schwieriger zu bekommen. Regelmäßige Kontrollen verhindern, dass die Händler schon nach kurzer Zeit zurückkommen.

An Stelle der Anbieter von  kopierter Ware entstehen nun Geschäfte für junge chinesische Marken, die mit eigenem Design auffallen. Auch die Industrie ist inzwischen innovativ geworden. Chinesische Unternehmen melden sogar weltweit die zweitmeisten Patente an – nach Japan. Beiden ostasiatischen Ländern wird zwar nachgesagt, statt echten Innovationen auch winzige Veränderungen an einem bestehenden Produkt gleich zu patentieren. Doch die Richtung stimmt zumindest – rund ein Drittel der Schutzanträge betrifft echte eigene Erfindungen. Ausländische Firmen erhalten zudem vor chinesischen Gerichten zunehmend Recht, wenn sie auf Patentrechtsverletzungen klagen.

Firmen wie Lenovo mit Computern wie dem neuen Modell Yoga oder der Netzausrüster Huawei mit seinen Mobilfunkantennen, die mit ganz unterschiedlichen Übertragungsstandards zurecht kommen, gehören bereits zu den technisch versiertesten Unternehmen der Welt. Sie überraschen längst nicht mehr mit einem besonders günstigen Preis für Dutzendware, sondern mit pfiffigen und eleganten Produkten – für die sie durchaus einen Aufschlag verlangen.

Das dürfte erst der Anfang sein. Das dritte Plenum hat nun angekündigt, „die Patent- und Urheberrechte zu schützen, die Mechanismen zur Förderung der Innovation zu stärken und zu Prüfen, wie ein Gerichtshof für Urherrechtssachen einzurichten ist“. Die Umsetzung dürfte schnell erfolgen und der Wandel ebenso zügig greifen. China wandelt sich damit vom Weltklasse-Nachahmer zum Weltklasse-Innovator.