Das Phänomen existiert bundesweit: Die Hamburger sprechen von Elterntaxi, in Hessen ist von Helikopter-Eltern die Rede. Gemeint ist jeweils das gleiche: Väter und Mütter, die ihren Nachwuchs mit dem Auto fast bis vor die Schultür kutschieren. Das Resultat ist Stau vor der Schule kurz vor Schulbeginn. Gehalten oder geparkt wird in zweiter Reihe, auf dem Gehweg, dem Zebrastreifen oder dem Behindertenparkplatz.
Die Helikopter-Eltern meinen es gut oder trauen ihren Kindern den Weg einfach nicht zu. Doch gerade diese besonders besorgten Eltern gefährden diejenigen Schulkinder, die zu Fuß gehen oder mit dem Rad kommen. Viele Städte versuchen gegenzusteuern. In Frankfurt etwa beginnt die „Erziehung der einzuschulenden Eltern“, wie Rainer Michaelis es nennt, bereits in der Kita. Michaelis ist Leiter der Abteilung Straßenverkehrssicherheit beim Straßenverkehrsamt.
Schon im Kindergarten trainieren die zukünftigen Erstklässler ihren Schulweg; dafür kommen Verkehrserzieher regelmäßig in den Kindergarten und laufen mit ihnen den zukünftigen Schulweg ab. Zuvor beim Elternabend informieren sie die Eltern über ihre Arbeit. Seit diesem Jahr zeigen sie ihnen auch den kurzen Spot über die Elterntaxis, den das Frankfurter Verkehrsdezernat und das Straßenverkehrsamt in Auftrag gegeben haben.
Das Video stellt die Situation natürlich völlig überspitzt dar, aber gerade deshalb ist es eine ganz gute Diskussionsgrundlage. Denn Gesprächsbedarf ist da, Vorurteile sind es auch.
Der Klassiker aus Elternsicht ist: Der Schulweg ist gefährlich. Ihr Auto sehen sie offenkundig als sicheren Hort. Doch in Frankfurt zeigt die Unfallstatistik für 2013, dass der Anteil der Schulwegunfälle im Vergleich zu den Gesamtzahlen gering ist. 14 von 208 Unfällen mit Kindern sind auf dem Schulweg passiert; fünf der Kinder waren Fußgänger und neun Radfahrer. Die Experten schließen daraus, dass Kinder auf dem Schulweg sicherer sind als bei anderen Gelegenheiten, wenn sie am Verkehr teilnehmen.
Aus Sicht der Pädagogen ist es wichtig, dass Kinder den Schulweg alleine meistern. Für viele Jungen und Mädchen ist es der erste selbstständig zurückgelegte Weg. Sie schließen Freundschaften zu anderen Kindern, bekommen ein Raum-Zeit-Gefühl und kommen auch mal zu spät, wenn sie zu sehr trödeln. Außerdem bewegen sie sich – zu Fuß oder mit dem Rad.
Was Eltern oft vergessen: die Erfahrung, die sie ihrem Kind vorenthalten, wenn sie sie zur Schule fahren. Zum einen lernt es jeden Tag, Gefahren einzuschätzen. Gerade bei Grundschülern kann man immer wieder beobachten, wie gewissenhaft sie x-mal in jede Richtung schauen, bevor sie die Straße überqueren. Sie wollen alles richtig machen und lassen lieber das Auto am Zebrastreifen vor, ehe sie sich auf die Fahrbahn wagen.
„Elternhaltestelle“ in Herne
Die Kritik am Elterntaxi zielt gar nicht darauf, das Auto zu verteufeln. Michaelis sieht durchaus Situationen, in denen es angemessen ist, dass Kinder mal – oder auch jeden Tag – von den Eltern per Pkw zur Schule gebracht werden. Aber dann sollten die Eltern ein paar hundert Meter entfernt vor der Schule parken, um ihr Kind aussteigen zu lassen, rät Michaelis.
Alltag in Deutschland ist das noch nicht. Zum neuen Schuljahr haben in vielen Städten Polizisten Eltern, die verkehrswidrig parkten, vor den Schulen angesprochen. Eine dauerhafte Lösung gegen Elterntaxis gibt es nicht. „Man muss jedes Jahr neu anfangen“, sagt Michaelis. Nur mit der entsprechenden Aufklärung könne man versuchen, die Eltern zum Umdenken zu bringen.
In Herne im Ruhrgebiet hat eine Schule eine andere Lösung gefunden. Wie die WAZ berichtete, hat die dortige Schillerschule mit Eltern, Polizei, Stadt und einem Discounter im Frühjahr eine „Elternhaltestelle“ initiiert, etwa 400 Meter von der Grundschule entfernt. Schüler, die mit dem Auto gebracht werden, laufen von dem Elternparkplatz zur Schule, Eltern sichern als Lotsen täglich den Weg.
Die Idee ist gut, wenn auch nicht ganz neu. Bei unseren niederländischen Nachbarn läuft es ähnlich. Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto bringen, haben vor dem Schuleingang keine Haltemöglichkeiten. Parken können sie nur im Umkreis von etwa 300 Metern. Aber dort radeln die meisten Kinder sowieso alleine zur Schule.