Lesezeichen
 

Liebe Leser, der Filter ruht bis auf Weiteres.

ZEIT ONLINE bleibe ich als Autorin für Kunstthemen erhalten. Die E-Mail-Adresse filter(at)zeit.de ist weiterhin aktiv und ich freue mich nach wie vor über Anregungen.

Ich möchte mich bei allen Impulsgebern, Lesern und Kommentatoren bedanken – ich habe viel entdeckt.

Bis bald, Nele Heinevetter

 

Schonungslos und direkt

Wozzeck (Roman Trekel), Doktor (Pavlo Hunka) © Foto Bernd Uhlig

Daniel Barenboim und Andrea Breth bringen ein letztes Mal Wozzeck auf die Bühne.

Barenboim hat Alban Bergs (1885-1935) atonale Oper bereits 1994 mit der Staatskapelle Berlin aufgeführt. Diesmal hat die Regisseurin Andrea Breth das Kriegsdrama inszeniert – und schafft beklemmende Bilder für das Elend auf der Bühne. Die letzte Aufführung in dieser Spielzeit ist unbedingt sehenswert.

An der Produktion fasziniert, dass sie in jeder Hinsicht ein Konzentrat ist: die Handlung bedrückend, die Musik fordernd, die Bilder grausam. Wozzeck rackert sich für den Unterhalt des uneheliches Kindes ab. Vom Umfeld schikaniert und von der Freundin mit einem Tier von Mann betrogen, sieht er keinen anderen Ausweg als Marie zu erstechen. Seine Misere spielt sich vor minimalistischer Kulisse ab. Ob klaustrophobische Kammer, gespenstisches Karussell oder angedeuteter Waldsee – immer zeichnen sich die Figuren gestochen scharf vor der Dunkelheit ab. Die Kontraste sind so hart wie die Handlung und vor allem stürzt dazu diese ungewohnt komplexe Komposition von Alban Berg auf einen ein. Und so verlässt man das Schillertheater nach nicht einmal zwei Stunden sichtlich mitgenommen – und um eine wichtige Erfahrung bereichert.

P.S.: Der ZEIT fehlt bei der Premiere trotz aller Abgründe der Schwindel: Breth habe sich bei der Inszenierung zu wenig eingemischt, Barenboim müsse noch an den Details feilen. Die Sueddeutsche Zeitung (N° 90) spricht hingegen „von voluminöser musikaler Intensität“ und einer Inszenierung, die „Mitfühlen szenisch glaubhaft“ macht. In jedem Fall lohnt sich der Besuch.

18 Uhr | 24. April 2011 | Staatsoper im Schillertheater | Bismarkstraße 110 | Berlin Charlottenburg

 

Fallada Abend am Gorki

© Aufbau Verlag

Die Schauspieler Regine Zimmermann und Jan Josef Liefers stellen die Originalversion von Hans Falladas letztem Roman Jeder stirbt für sich allein (1947/2011) vor.

Als 1947 das Buch des gerade verstorbenen Schriftstellers Hans Fallada über den deutschen Widerstand veröffentlicht wurde, scherte das im Ausland niemanden. Als der Penguin Verlag 2010, mehr als 60 Jahre später, dann doch noch eine englische Version von Falladas letztem Roman herausgab, wurde Jeder stirbt für sich allein plötzlich zum internationalen Erfolg.

Der Aufbau Verlag veröffentlicht nun erstmals eine ungekürzte Fassung des Originalskripts. Außerdem enthält die Neuausgabe zeithistorische Dokumente. Der Roman basiert auf dem Schicksal des Berliner Ehepaars Hampel, das 1943 wegen seines Kampfs gegen das Nazi-Regime hingerichtet wurde. Fallada hatte die Gestapo-Akte des Falls gelesen und verfasste daraufhin in nicht einmal vier Wochen seine Erzählung über den Widerstand der einfachen Leute. Anna und Otto Quangel verlieren ihren Sohn im Krieg und verteilen daraufhin Flublätter in Berlin. In seinem Eifer merkt das Ehepaar nicht, dass ein Kommissar ihnen auf der Spur ist.

Wie es sich für einen Bestseller gehört, gibt’s zur Veröffentlichung der Originalfassung nicht einfach nur eine Lesung, sondern auch ein interessantes Podium. Der Literaturkritiker Hajo Steinert diskutiert gemeinsam mit dem Gorki-Intendanten Armin Petras sowie René Strien vom Aufbau Verlag. Auch der englische Verleger Adam Freudenheim ist bei dem Fallada-Abend im Gorki mit dabei.

19.30 Uhr | 09. März 2011 | Maxim Gorki Theater Berlin | Am Festungsgraben 2 | Berlin Mitte

 

DAS Weekend

Heute startet das Digital Art + Sound (DAS) Weekend.

transmediale, club transmediale und Create Berlin haben DAS Weekend initiiert mit über 70 unabhängigen Organisationen, Ausstellungsorten und Teilnehmern aus Kunst und Kultur. Die Veranstaltung soll der nachlassenden Förderung von Medien-, Sound- und digitaler Kunst begegnen.

Drei Tage lang präsentiert DAS Weekend Künstler, Räume und Initiativen, die an der Schnittstelle von Kunst, Medien und Klang arbeiten und experimentieren. Entsprechend abwechslungsreich ist das dichte Programm: Ob offene Lesungen im Villém Flusser Archiv, Ausstellung wie Reflective Interventions 2011 bei Art Claims Impulse oder Songs of Love and Hate im Grimmuseum oder das Projekt The Sound of No-One im Stadtbad Wedding – wer sich durch das Angebot liest, findet garantiert etwas Spannendes.

ab 10 Uhr | 28.-30. Januar 2011 | siehe Karte

 

20 Jahre City Slang

© S. Greuner

Das Indielabel City Slang feiert sein Jubiläum mit einem Festival.

Drei Abende in Folge spielen ihre Bands im Admiralspalast. Den Anfang machen Get Well Soon und Calexico am Freitag. (The Notwist holt das Konzert Ende Januar nach.) Am Samstag treten Menomena, Tortoise und Broken Social Scene auf. Und Sonntag stehen Alexi Murdoch, Lambchop und Yo La Tengo auf der Bühne. Außerdem findet Samstag im Cookies die Kraut & Raven – Aftershowparty statt.

Wer gerade keine 90 € erübrigen kann, darf sich mit der Gratis-Compilation von Tonspion begnügen.

19.30 Uhr | 19-21. November 2010 | Admiralspalast | Friedrichstraße 1010 | Berlin Mitte

 

Sind die Berliner Ignoranten?

Installationsansicht Breaking the Windows © Feinkost Gallery

Berlin verliert seine Besten – vom Projektraum bis zur internationalen Galerie.

Was passiert eigentlich in dieser Stadt? Im Ausland schwärmt man für die Berliner Kunstszene, liebt die kreative Energie, den chaotischen Charme. Aber anstatt das Potential auszubauen, übersehen wir die spannenden Akteure. Sind sie uns zu anstrengend? Die Galerie Haunch of Venison konzentriert sich künftig auf New York und London. Und es wundert niemanden. Berlin funktioniert nicht als Markt für Global Player. Aber jetzt verschwinden auch noch seine Kunsträume und die jungen Galerien, für die Berlin in der ganzen Welt gehypt wird.

Jüngstes Beispiel: die Galerie Feinkost. Drei Jahre lang zeigte sie exzellent kuratierte Ausstellungen. Die Besitzer Aaron Moulton und Mette Ravnkilde Nielsen haben sich mit ihren kritischen Positionen im vermeintlich versierten Berlin niedergelassen, um nun zu merken, dass die Berliner Anspruch, wenn überhaupt, nur im Museum suchen. Und dann gibt Samsa zum Ende des Jahres seinen Raum in Berlin auf. Der Projektraum hat es mit seinem extravaganten Programm zwar in den Galerieführer Index geschafft. Dennoch blieb Samsa ein Geheimtipp. Bald ist er Geschichte. Alex Müller und Shannon Boll wollen zwar weiter ausstellen, aber die nächste Show wird in Köln sein.

Junge Künstler, Kuratoren und Galeristen in Berlin arbeiten an irgendwelchen „Projekten“ – und treiben sich an den Rand der Erschöpfung. Geld bringt das nicht, Spaß nur bedingt. Natürlich hat das viel mit Idealismus zu tun. Vielmehr gehört es in Berlin aber zum guten Ton, sich für seine Leidenschaft aufzureiben. Berliner Bohème bedeutet Kulturprekariat. Dass das Lebensmodell verbreitet ist, macht es nicht besser.

Es fehlt aber nicht nur an Geld, sondern vor allem an Wertschätzung. Der gemeine Berliner freut sich über die vielfältigen Angebote. Sein Alltag könnte eine ständige Eröffnung sein – aber diese Gewissheit reicht ihm auch schon. Wenn er sich tatsächlich blicken lässt, dann vor allem, um die Freunde auf ein Bier zu treffen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung wäre zu viel verlangt. Schade eigentlich.

Die Show Breaking Windows bei Feinkost endet am 21. November. Samsa verabschiedet sich am 17. Dezember aus Berlin.

Galerie Feinkost | Bernauer Straße 71-72 | Berlin Mitte

Samsa | Kollwitzstraße 10 | Berlin Mitte

 

Mädchenmusik


Warpaint tritt im Festsaal Kreuzberg auf.

Warpaint kommen aus Los Angeles und sind derzeit auf worldwartour. Die Band besteht mittlerweile aus den Musikerinnen Emily Kokal (Gesang, Gitarre), Theresa Wayman (Gesang, Gitarre), Jenny Lee Lindberg (Gesang, Bass) und Stella Mozgawa (Schlagzeug, Keyboards). Nach sechs Jahren stellt sich langsam aber sicher der Erfolg ein. Der Musikexpress feiert den „Post-Post-Punk“ des „Neo-Neo-Art-Rock“ und kürt das Warpaints-Album The Fool zur Platte des Monats.

20 Uhr | 1. November 2010 | Festsaal Kreuzberg | Skalitzer Straße 130 | Berlin Kreuzberg

 

Puppenweltkriegstheater

© Ulrike Gutbrod

„Und jetzt los, ihr Ärsche, Premierenfeier! Tanzen! – so beendet der Regisseur Patrick Wengenroth die erste Vorstellung des Weltkriegstheaters Die letzten Tage der Menschheit. Es ist der Abschluss einer  Inszenierung, die sich ohne falsche Scheu an Karl Kraus‘ monumentales Werk wagt.

Unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs beginnt Karl Kraus 1915 sein dokumentarisches Drama Die letzten Tage der Menschheit. Das Stück ist eine Satire, die den Krieg ad absurdum führt. Im Jahr 1922 umfasst es 1000 Seiten mit mehr als 500 Figuren in 220 Szenen. Es ist gespickt mit Artikeln, Befehlen, Protokollen, unzähligen Zitaten und surrealen Elementen. Angesichts des Werkumfangs empfiehlt Kraus von der Inszenierung abzusehen, erstellt selbst eine Bühnenfassung.

Der Regisseur Patrick Wengenroth kennt hingegen kein Erbarmen mit dem Publikum – aus Satire wird buchstäblich Karikatur: Mal rockt die Berliner Band Die Türen die Bühne, mal gehört sie alten Bekannten aus dem Kinderprogramm wie den Simpsons oder den Muppets und dann wieder Wengenroth selbst. Alles ist überzeichnet, die Szenen folgen dicht auf dicht und sind dabei inhaltlich nur lose aneinander gereiht. In diesem aberwitzigen Kontext gewinnen die ernsten Momente an Kraft. Den Zuschauern steht der Irrsinn des Krieges deutlich vor Augen – und genau das bezweckt Wengenroth mit seinem „intelligenten Klamauk“.

19.30 Uhr | 26. Oktober | Hebbel am Ufer 2 | Hallesches Ufer 32 | Berlin Kreuzberg