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Kitsch mit Szenenapplaus

Das Staatsballet tanzt den Weihnachtsklassiker.

Klassisches Ballett zu Tschaikowsky ist das Kitschigste, was ich mir vorstellen kann. Und gerade deswegen ist es jedes Jahr ein Ding der Unmöglichkeit Karten für den Nussknacker in der Version von Patrice Beart zu bekommen – zumindest in der Vorweihnachtszeit.

19.30 & 19 Uhr | 21. & 26. Dezember 2010 | Deutsche Oper | Bismarckstraße 35 | Berlin Charlottenburg

 

Tanz zwischen den Welten

© Rain Kencana

Der HipHop-Choreograf Kadir Memis inszeniert am HAU Hüzün – Ein schmerzlicher Verlust.

Mit dem Breakdance begann Kadir Memis aka Amigo, als seine Eltern den damals Zehnjährigen nach Deutschland holten. Heute choreografiert er Tanztheater. Die Stücke handeln von Memis Versuch, die eigene Identität zu erfassen.

Hüzün basiert auf Memis autobiografischer Erfahrung als Junge, der in zwei Kulturen aufwächst. Er reflektiert darin die Rolle des Mannes in patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen.

Inspiriert von Orhan Pamuks Buch Istanbul geht der Choreograph aus von einem spezifisch türkischen Gemütszustand: Hüzün. Im Gegensatz zur deutschen Kultur mit ihrer einsamen Tristesse, kennt die türkische eine kollektive Schwermut. Als kultureller Grenzgänger musste auch Memis diese Melancholie erst für sich definieren. Seine Eindrücke hat er mit Hüzün nun in HipHop-Tanztheater übersetzt.

Das hört sich doch tatsächlich mal vielschichtig an.

20 Uhr | 16-19 Dezember 2010 | HAU 2 | Hallesches Ufer 32 | Berlin Kreuzberg

 

Tanz vor fluoreszierender Kulisse

© Loge

Die Künstlerin Renate Wolff nimmt den Projektraum Loge auseinander.

Die Loge ist ein winziger Projektraum in einer ehemaligen Pförtnerloge am Checkpoint Charlie und funktioniert eher wie ein Schaufenster. Die Kuratoren Martin Mlecko und Wolfgang Schöddert laden regelmäßig Künstler ein, Arbeiten für die sehr speziellen Räumlichkeiten zu fertigen. Die Ergebnisse reichen vom Ein-Mann-Opern-Erlebnis bis hin zur klassischen Installation.

Mit Checkpoint Inter Wall schafft die Künstlerin Renate Wolff nun eine neue Raumsituation in der Loge, indem sie unzusammenhängende Farbflächen im Schwarzlicht schweben lässt. Zur Eröffnung improvisiert darin außerdem Bettina Thiel, Solistin am Berliner Staatsballett. Und das Alles auf gerade mal 4 Quadratmetern.

19 Uhr | 11. Dezember 2010 | Loge | Friedrichstraße 110 | Berlin Mitte

 

Verwirrt in Berlin

© Koen Broos

Gesamtkunstwerk oder Tanztheater-Kitsch? Sidi Larbi Cherkaoui bringt „Babel“ auf die Bühne.

Mit Babel [words] beschließt der belgisch-marokkanische Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui seine Trilogie zum Thema des Göttlichen. Nach Foi und dem, wie die Zitty findet, „albernen“ Myth nimmt sich Cherkaoui nun den Turmbau zu Babel vor und das große Thema Verständigung der Kulturen. Natürlich ist das Ensemble multilingual und der Co-Choreograf Damien Jalet Musikethnologe. Und es wird auch nicht einfach getanzt. Babel sei ein Gesamtkunstwerk aus Tanz, Theater, Konzert und Skulptur, versprechen die Berliner Festspiele. Die Bühne gestaltet im übrigen der Turner-Preisträger Antony Gormley.

Wenigstens steht Cherkaoui dem Publikum am Freitag Rede und Antwort.

20 Uhr | 9-12. Dezember 2010 | Haus der Berliner Festspiele | Schaperstraße 24 | Berlin Wilmersdorf

 

Am lebenden Objekt

© Hermann Sorgeloos

Cédric Andrieux von Jérôme Bel ist Tanztheater der eindringlichen Art.

Mit dem Solo Cédric Andrieux knüpft Choreograph Jérôme Bel an seine Serie biografischer Tänzerporträts an. Andrieux ist der Fünfte, der gemeinsam mit Bel seine Karriere retrospektiv betrachtet. In enger Zusammenarbeit haben Bel und Andrieux ein sehr direktes Stück erarbeitet. Die Bühne am Hau1 ist bis auf den Protagonisten leer. Es gibt keine Musik, nur den Tänzer und sein auf Schlüsselszenen reduziertes Leben.

Da steht also Cédric Andrieux am Rand der Bühne. In Tennissocken, Jogging-Hosen und Kapuzenpulli sieht er aus, als käme er gerade vom Training. Andrieux sammelt sich kurz, dann setzt er an – und erzählt. Der 33-jährige rekapituliert seine aussichtslosen Anfänge als zeitgenössischer Tänzer in Brest, seine Ausbildung in Paris. Andrieux führt einen Ausschnitt aus Philippe Tréhet’s Nuit Fragile vor, mit dem er den Grundstein seiner Karriere in New York legt. Man hört seinen Atem, sieht die Anstrengung. Er kann nicht gleich weiter sprechen.

Seine Zeit in Amerika ist gewissermaßen das Herzstück von Andrieux Tanzbiographie. Der Liebe willen akzeptiert der Tänzer ein räudiges Engagement. Dann wechselt er zur Kompanie von Merce Cunningham. Andrieux lässt das Publikum die quälende Monotonie der täglichen Exercise erleiden. Er beschreibt welche Schmerzen die Arbeit mit dem Choreographen bedeutet, demonstriert das Übertragen von am Computer kreierten Choreographien auf die Körper der Tänzer, tanzt Ausschnitte aus Biped und Suite for 5.

Am Ende erlebt das Publikum Andrieux‘ Befreiung: Nach acht Jahren Cunningham geht der Tänzer ans Ballett der Opéra de Lyon, um dort ein neues Körpergefühl zu finden. Auch hier gibt es Hoch’s wie Trisha Brown’s Newark, Tiefs (nie tanzt er Forsythe) und Schlüsselmomente: In Jérôme Bel’s The show must go on konfrontiert er erstmals das Publikum. Dann richtet sich das Licht wieder auf den Tänzer und er verabschiedet sich.

Zurück lässt Andrieux ein Publikum, das sich nach den konzentrierten Einblicken in die Welt des zeitgenössischen Tanzes erst einmal sammelt.

19.30 Uhr | 3. & 4. Dezember 2010 | HAU 1 | Stresemannstraße 29 | Berlin Kreuzberg

 

Vietnam in Berlin

© Hebbel am Ufer

Vom 21. bis zum 27. November findet am HAU das Dong Xuan Festival statt.

Es ist ungewöhnlich, dass ein Festival nach einer Markthalle benannt wird. So geschehen beim Dong Xuan Festival, das sich auf den gleichnamigen Markt in Berlin-Lichtenrade bezieht, der das vietnamesische Zentrum Berlins ist.

Vordergründig ehrt das Festival die ehemaligen Vertragsarbeiter im Berliner Osten und die Boat People in Westberlin. Tatsächlich geht es aber nicht nur um Einblicke in das Leben der vermeintlichen „Vorzeigemigranten“. Vielmehr demontieren die Veranstaltungen auch unsere einseitigen Vorstellungen von Integration.

Begonnen hat das Programm mit Touren zum namensgebenden Markt. Unter dem Motto Dong Xuan oder Frühling in Lichtenberg stellen die Führungen noch bis Donnerstag die Markthallen und ihre unmittelbare Umgebung vor.

Heute startet das kritische Rahmenprogramm im HAU mit dem Ballett The white body von Ea Sola. Die französisch-vietnamesische Choreografin überträgt die Kampfschrift Von der freiwilligen Knechtschaft (1548) von Etienne de la Boétie auf das Diktat des Konsums. Ihre Tänzer hinterfragen den Stellenwert von Individuum und Kollektiv in der heutigen Gesellschaft.

Anschließend diskutieren der Künstler Danh Vo und die Kritikerin Elena Filipovic Vo’s künstlerischen Beitrag zum Festival, 2.2.1861: Vo hat die Plakate für das Festival von Vietnamesen gestalten lassen. Sie haben die Ankündigung auf die Plakate geschrieben oder besser gesagt: gemalt. Vietnamesen seien zwar mit unserem Alphabet vertraut, erklärt Vo. Die wenigsten Einwanderer könnten jedoch westliche Sprachen schreiben. Der zweite künstlerische Beitrag besteht darin, dass V0’s Vater Phung einen Abschiedsbrief abmalt – und zwar den last letter of Saint Theophane Venard to his father before he was decapitated. Theophane Venard war ein christlicher Missionar, der am 2. Februar 1861 in Vietnam hingerichtet worden ist. Die Missionare hatten das lateinische Alphabet ins Land gebracht.

Außerdem gibt es amerikanisch-vietnamesische Filmbeiträge, die Themen wie Wahrnehmung, Identität und Geschlechterrollen behandeln. Der Klassiker Surname Viet Given Name Nam (1989) von  Trinh T. Minh-ha dokumentiert die Lage vietnamesischer Frauen. Außerdem präsentiert Filmkurator Marc Siegel aktuelle Avantgarde-Produktionen, die den westlichen Blick herausfordern, wie die Kurzfilme aus The Blindness series (1992-2006) von Tran T. Kim-Trang. Die Filmemacher diskutieren danach jeweils mit den Zuschauern. Mit seinen Arbeiten will Vo unter anderem auch auf die Absurdität eines solchen Festivals hinweisen, das die Einwanderer selber nicht erreicht.

Zugegeben, am Ende richtet sich das Dong Xuan Festival doch nur an ein westliches Publikum. Aber immerhin reflektiert es dieses Problem auch. Die Veranstaltungen erlauben einen differenzierten Blick hinter eine scheinbar erfolgreiche Integrationsgeschichte. Sie beleuchten nicht nur Facetten der vietnamesischen Kultur, sondern halten uns auch einen Spiegel vor, wie selbstgefällig wir uns mit der Forderung nach Anpassung aus der Verantwortung ziehen.

siehe Programm | 21-27 November 2010 | HAU 1, 2 & 3 | Stresemannstraße 29, Hallesches Ufer 32 &  Tempelhofer Ufer | Berlin-Kreuzberg

 

Neurotische Bewegung

© Chris Van der Burght

Alain Patel und les ballets C de la B lassen den Körper sprechen

Die Produktion Out of Context – for Pina huldigt dem Tanztheater und seiner Ikone Pina Bausch. Die Inszenierung ist schlicht, aber mitreissend. Choreograph Alain Patel konzentriert sich auf die Körper der unterschiedlichen Tänzer. Er überzeichnet ihre individuellen Strategien, Gefühle wie Unwohlsein physisch auszudrücken – oder zu überspielen.

Soviel Körperlichkeit gefällt wahrscheinlich nur aufgeschlossenen Tanzliebhabern.

19.30 Uhr | 5. November 2010 | Hebbel am Ufer – HAU 1 | Stresemannstr. 29 | Berlin Kreuzberg

 

Tutus statt Bier

Die Galerie DUVE Berlin zeigt The Scrying Trilogy der New Yorker Künstlerin Jen DeNike.

Die drei Werke Another Circle, Crystal Forest and Hydromancy vereinen Skulptur, Video und Choreographie. DeNike eröffnet die Ausstellung mit zwei Performances, die auf ihrem Ballett Scrying aufbauen, das bereits im MoMA sowie in der Julia Stoschek Collection zu sehen war. Einen wunderschönen Vorgeschmack gab es auf dem Art Forum Berlin.

19 Uhr | 22. Oktober 2010 | DUVE Berlin | Invalidenstraße 90 |  Berlin Mitte