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Theaterwahnsinn

Lärm ist das Geräusch der Anderen © Promo

Das Theaterfestival 100° feiert das Freie Theater.

Bereits zum achten Mal stürzt das Festival Berlin ins Theaterchaos. Diesmal bespielen über 120 freie Theatergruppen vier Tage lang das HAU und die Sophiensaele.

Im Mittelpunkt dieses Marathons aus Theaterstücken, Performances, Musik, Kunst und Party stehen die Darbietungen, die im Stundentakt aufeinander folgen. Aber auch sonst gibt es Einiges zu sehen, hören oder spielen: Von den partizipativen Installationen von Olafur Eliassons Institut für Raumexperimente rund ums HAU, über das Videoartcar von Jan van Loh in der Großbeerenstraße und Hörstücke im kostenlosen Festival-Shuttle bis hin zur Sneak Prelude mit medientheatralen Streetgames in lebensechter Grafik von MachinaeX.

Aber zum Wesentlichen, dem Freien Theater: Im Grunde dürfen alle Teilnehmer machen, was sie wollen. Nur länger als eine Stunde darf ihre Inszenierung nicht dauern. Am Sonntag kürt dann eine Fachjury fünf Sieger und das Publikum zwei Lieblinge. Hier schon mal ein paar (skurrile) Highlights:

Küss mich, Freiwillige Selbstkontrolle (22 Uhr | Donnerstag | HAU 3) von Schlicht und Einfach unternimmt ausgehend vom Urvater des Filmkusses The Kiss (1896) einen Streifzug durch die Inszenierung der Intimität. Luhmann lässt grüßen. Ernst Busch-Studenten deklamieren in Lärm ist das Geräusch der Anderen (23 Uhr | Do | HAU 2) zwei trostlosen Gestalten (schwanger/krebskrank) einen richtig guten Tag.

Bei Kann ich deinen Diskurs mal in den Mund nehmen? Geborgenheit üben reloaded (21 Uhr | Do | Sophiensaele) vermeidet Malte Schlösser kitsch-anthropozentrische Theater-Laberei. Und die International Chicken Factory präsentiert eine hochbrutale Pornoversion vom Sommernachtstraum (23 Uhr | Sa | HAU 1).

Im Skype Duet (22 Uhr | Sa | HAU 2) sinnieren New York und Berlin über Einsamkeit und computervermittelte Kommunikation. Für Google Translate (23 Uhr | Sa | Hau 2) spielen sich die israelischen Performerinnen Hila Golan und Ariel Nil Levy durch einen deutschen beziehungsweise google-deutschen Theaterabend.

Das Stück S.A.V.E. (18-24 Uhr | Sa | Sophiensæle) dauert nur fünfzehn Minuten und richtet sich  jeweils an einen mutigen Teilnehmer. Der muss beweisen, wie weit er für die Rettung Berlins gehen würde. Und zwar nicht nur hypothetisch. Immerhin zehn Zuschauer durchleben bei Under Pressure (19.30-21.30 Uhr | So | HAU 1) von de la Brioskee gemeinsam einen betreuten Tiefsee-Extrem-Kapsel-Terror.

Und das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem fünfzigseitigen Programm (gibt’s hier). Eine Festivalzeitung gibt’s auch, außerdem blogt 100°.

Wem das Alles zu viel ist: Am 19. und 20. April präsentieren die Gewinner ihre Arbeiten ganz entspannt beim Best of 100°.

19, 18 & 16 Uhr | 24.-27. Februar  2011 | Sophiensaele und Hebbel am Ufer | Sophienstraße 18 & Stresemannstraße 29 / Hallesches Ufer 32 / Tempelhofer Ufer 10 | Berlin Mitte & Berlin Kreuzberg

 

Vater-Sohn-Desaster

© Suhrkamp

Der Schauspieler Boris Aljinovic liest aus dem Roman Im Schatten des Vaters von David Vann.

Der amerikanische Autor David Vann verarbeitet in seinem Buch die eigene tragische Familiengeschichte. Als er ein Kind ist, begeht sein Vater Selbstmord. Zuvor hatte er den Sohn eingeladen, einige Zeit mit ihm in der Wildnis Alaskas zu leben. Doch Vann lehnte ab. In Im Schatten des Vaters beschreibt der Autor das Abenteuer, das er und sein Vater nie hatten. Ein traurigeres Buch über eine Vater-Sohn-Beziehung sei kaum vorstellbar, schreibt die New York Times.

Die Handlung im Buch: Jim zieht sich mit seinem dreizehnjährigen Sohn Roy auf eine abgelegene Insel zurück. Die Auszeit soll ihr Verhältnis entspannen. Doch der Vater ist von der Wildnis völlig überfordert und verzweifelt am Leben. Roy wünscht sich weg, bleibt nur aus Sorge um den desolaten Vater – und kann seinen Tod doch nicht verhindern. Im Schatten des Vaters beschreibt den Versuch des Sohnes, das Geschehene zu verstehen.

Zum Erscheinen der deutschen Ausgabe im Suhrkamp-Verlag liest der Schauspieler Boris Aljinovic aus der zentralen Novelle Sukkwan Island. Darin schildern sowohl Vater als auch Sohn ihre Sicht der Ereignisse.

20 Uhr | 21. Februar 2011 | English Theatre Berlin | Fidicinstraße 40 | Berlin Kreuzberg
 

Rebellen mit Geige

Genesis Breyer P-Orridge und Tony Conrad beschließen am HAU das Forum Expanded der Berlinale.

Die beiden Künstler, Musiker und Autoren lernten sich beim Dreh zu The Ballad of Genesis and Lady Jaye (2011) von Marie Losiers kennen und improvisieren seitden regelmäßig Violin-Duette. Tony Conrad und Genesis Breyer P-Orridge sind nicht nur für ihre Video- bzw. Performancearbeiten bekannt, sondern auch als Größen experimenteller Musik. Am HAU unterstützt sie der Percussionist Morrison Edley.

22 Uhr | 19. Februar 2011 | HAU 2 | Hallesches Ufer 32 | Berlin Kreuzberg

 

Hommage an Bob Mizer

Bob Mizer, Unknown (Marine), c. 1973 © Courtesy Bob Mizer Foundation und Exile Gallery

Nach einer umzugsbedingten Winterpause eröffnet die Galerie Exile mit der Ausstellung Bob Mizer: Select Private Works 1942-1992.

Der amerikanische Fotograf Bob Mizer gilt als Pionier der homoerotischen Aktfotografie. Seine Filme und Bilder von Hollywood-Größen, Pornosternchen und Strichern haben eine neue Bildsprache begründet. Bereits 1945 gründet Mizer die Athletic Model Guild. 1951 folgt Physique Pictorial, das erste bekennend schwule Magazin für Körperkultur. Die Prints (vintage und neu) aus Mizers AMG Studio werden heute als Liebhaberobjekte gehandelt.

Die Ausstellung umfasst 26 Abzüge aus dem riesigen Privatarchiv des Fotografen. Sie zeigen die künstlerische Entwicklung Mizers und die Bandbreite seines Werks. Ausgewählt haben die bisher unveröffentlichten Arbeiten die Kuratoren von Exile und der Bob Mizer Foundation.

19 Uhr | 19. Februar 2011 | Galerie Exile | Köpenicker Str 39 | Berlin Kreuzberg

 

Superhelden am Ballhaus Naunynstraße

© Ute Langkafel/Mai.Foto

Die akademie der autodidakten präsentiert Tod eines Superhelden.

Das Projekt akademie der autodidakten vernetzt meist jugendliche Protagonisten mit lokalen und internationalen Künstlern. Im Rahmen des Theaterworkshops entwickeln sie am und für das Ballhaus Naunystraße gemeinsam neue Produktionen. Am Wochenende hat der Tod eines Superhelden Premiere, inszeniert von Cem Sultan Ungan, nach einem Stück von Marianna Salzmann und Deniz Utlu.

Darum geht’s: In den Sechzigern war die Welt der Superhelden noch in Ordnung. Heute schimpft man sie unangepasst, die Wirtschaft nutzt sie als Werbeträger. Nachdem den Superhelden A auch noch seine Normalo-Freundin verlassen hat, möchte er seinem Leben ein Ende setzen – was bei Superhelden bekanntlich gar nicht so einfach ist.

Nach der Premiere läuft die experimentelle Dokumentation Fake Fiction Real über die „postmigrantische Identitätssuche“ junger türkischstämmiger Menschen in Berlin. Der Regisseur Neco Çelik suchte mit Jugendlichen nach Orten in Kreuzberg 36, die sie geprägt haben.

19 Uhr | 12.-14. Februar 2011 | Ballhaus Naunynstraße | Naunynstr. 27 | Berlin Kreuzberg

 

Jung und unerschrocken

James Franco, Videostill aus "Castle" © Courtesy Peres Projects Berlin

Peres Projects präsentiert die Einzelausstellung The Dangerous Book Four Boys von James Franco.

James Franco macht viel »Vielversprechendes«, aber für die große Begeisterung hat es noch nicht gereicht. Er ist nominiert für den Oscar als bester männlicher Hauptdarsteller und arbeitet selber als Drehbuchautor und Produzent. Franco schreibt in Yale seinen Literatur-PhD und veröffentlichte letzten Herbst Palo Alto, einen passablen Band mit Geschichten über gelangweilte, kleinkriminelle Jugendliche. Die Galerie Peres Projects holt jetzt sein künstlerisches Oeuvre nach Berlin, um es in ihren Räumen in Mitte und Kreuzberg zu präsentieren.

Die Einzelausstellung The Dangerous Book Four Boys umfasst Fotos, Zeichnungen, Skulpturen, Videoarbeiten, Installationen etc. aus den letzten vier Jahren. Formal inspiriert von Künstlern wie Paul McCarthy oder dem Underground-Cineasten Kenneth Anger setzt sich Franco darin mit adoleszenten Problemen wie Männlichkeit, Sexualität, Identität oder der Beziehung zu den Eltern auseinander. (Der Titel spielt an auf den Elternratgeber The Dangerous Book for Boys.) Und die Auseinandersetzung ist draufgängerisch, selbstbewusst, eben cool.

Und genau da liegt wohl das Problem der Kritiker: Franco arbeitet mit einer provokanten Nonchalance. Wo Andere klein anfangen, probiert er auf hohem Niveau – und unter den wachsamen Augen der Medien. Die New York Times hat sowohl die Ausstellung besprochen als auch das Buch rezensiert.

19 Uhr | 12. Februar 2011 | Peres Projects Mitte & Kreuzberg | Große Hamburger Straße 17 & Schlesische Straße 26 | Berlin Mitte & Kreuzberg

 

Das Grimmuseum startet eine neue Serie

Installationsansicht © Grimmuseum

Den Anfang macht Felisa Funes mit ihrer Ausstellung My Mare is Holding Down the Floor.

„Grimm Solo“ stellt von nun an im dreiwöchentlichen Rhythmus junge Künstler und ihre neuen Arbeiten vor. Für Felisa Funes ist es die erste Soloausstellung in Berlin; sie verwandelt die Räume des Grimmuseums in eine Installation aus großformatigen, sakral anmutenden Digitalprints und unwirklichen Objekten.

19 Uhr | 11. Februar 2011 | Grimmuseum | Fichtestraße 2 | Berlin Kreuzberg

 

Gestalten des Alltags

Franz Dobler © Florian Illing

Im Monarch lesen Jan Off, Franz Dobler und Klaus Bittermann.

Ein intellektueller Punk, ein Cowboy und eine Verleger-Legende mit Schildkröte berichten aus der Welt der Unterschicht, der einsamen Helden und ihres Kiez‘. In der Ankündigung ist von noch nicht veröffentlichten Texten die Rede. Nach Spaß klingt die Lesung allemal.

20 Uhr | 09. Februar 2011| Monarch | Skalitzer Straße 134 |Berlin Kreuzberg

 

Protest der Priviligierten

Wen kümmert schon Stuttgart 21?

An Protestkultur Interessierte sind am HAU gut aufgehoben. Das knüpft mit dem Vortrag Protest der Privilegierten? an die Veranstaltungen der Reihe Stuttgart 21 – Reflexiv. Gesellschaftstheorie eines lokalen Ereignisses an.

Diesmal geht es um die Protestanten, genauer um den hohen Anteil von Alten, Gebildeten und Grünen-Sympathisanten. Der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar untersucht die Hintergründe.

19.30 Uhr | 08. Februar 2011 | HAU 1 | Stresemannstr. 29 | Berlin Mitte

 

Zu den Hintergründen

Am HAU rekapitulieren der Musiker Morton Subotnick und der Künstler Kabir Carter die Anfänge elektronischer Musik.

Bei den Vorträgen der Pioneers geht es vor allem um das Live-Potential. Mit Tape Recorders, the Transistor and the Credit Card: a Personal History demonstriert Subotnick, wie sich die technologische Entwicklung in seinen Kompositionen niedergeschlagen hat. In Space and Body demonstriert Carter mit Hörbeispielen aus den siebziger Jahren das gemeinsame Interesse von Kunst und Underground Dance an Wahrnehmung und Räumlichkeit. Klingt nach einer informativen Mittagspause, oder?

12 & 14 Uhr | 03. Februar 2011 | HAU 1 | Stresemannstraße 29 | Berlin Kreuzberg