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Verschollen auf Google

 

Genau heute vor einem Jahr kam die erste E-Mail von Google, in deren Betreff stand: “Entfernung aus der Google-Suche”. Seitdem bekommt ZEIT ONLINE regelmäßig solche Mails. Etwa einmal in der Woche informiert uns Google darüber, dass ein weiterer Artikel von ZEIT oder ZEIT ONLINE in den Suchergebnissen ausgeblendet wird.

Google macht das nicht freiwillig, ein Gerichtsurteil zwingt das Unternehmen dazu. Im Mai vergangenen Jahres hatte der Europäische Gerichtshof Privatpersonen das Recht eingeräumt, Suchergebnisse zu ihrem Namen bei Suchmaschinenanbietern löschen zu lassen. Das Urteil hat ein “Recht auf Vergessenwerden” geschaffen, heißt es oft.

Seitdem sind fast 280.000 Anträge bei Google eingegangen. Diese Anträge enthalten meist mehrere Webseiten, die aus dem Suchindex entfernt werden sollen. Insgesamt hat Google in einem Jahr mehr als eine Million Webseiten überprüft und 356.000 Seiten aus dem Suchindex gelöscht. Darunter sind bis heute auch 48 Seiten von ZEIT und ZEIT ONLINE.

Anfangs waren es vorwiegend Geschichten aus dem Archiv der ZEIT, aus den Siebziger- und Achtzigerjahren: eine Firmenpleite, ein Unfall mit Todesfolge, ein Leserbrief. An größeren Skandalen wurden bislang mehrere Artikel über die Traumschiff-Affäre aus den Neunzigerjahren entfernt. Später kamen auch aktuellere Artikel hinzu, etwa ein Bericht über einen Plagiatsfall an einer Universität aus 2012, ein anonymes Protokoll einer Gymnasiallehrerin zur Work-Life-Balance aus 2014, eine “Kritzelei der Woche” des Sohnes einer Leserin aus 2011 oder zuletzt ein Bericht über Schönheitsoperationen ebenfalls aus 2011.

Diese Artikel sind weiterhin im Internet zugänglich. Wir haben sie nicht aus unserem Archiv gelöscht, denn juristisch wurden sie nicht beanstandet. Auch aus presserechtlicher Sicht enthalten diese Texte keine Falschinformationen oder andere unzulässige Inhalte. Wir dürfen sie weiterhin verbreiten und tun dies auch.

Auch aus dem Suchindex von Google werden diese Artikel nicht komplett entfernt. Google zeigt diese Artikel nicht mehr an, wenn man einen bestimmten Suchbegriff eingibt, zum Beispiel den Namen eines Menschen, der in einem Artikel über Griechenland erwähnt wird. Verwendet man hingegen einen anderen Suchbegriff, zum Beispiel “Griechenland”, ist der Artikel weiterhin gelistet. Welcher Suchbegriff betroffen ist und wer den Antrag gestellt hat, gibt Google wegen des Datenschutzes nicht bekannt.

Die Anträge werden bei Google von mehr als 100 Mitarbeitern geprüft. Sie wägen im Einzelfall ab, was höher wiegt: das Recht des Antragstellers auf Vergessenwerden oder das Recht der Öffentlichkeit auf Information. Ein Expertenbeirat hat dafür Kriterien entwickelt. Handelt es sich etwa um veraltete oder unzutreffende Informationen über eine Privatperson, oder sind Informationen über persönliche Finanzverhältnisse oder das Intimleben betroffen, so wird eher entschieden, zu löschen. Handelt es sich hingegen um korrekte Informationen über einen Politiker oder jemanden, der in der Öffentlichkeit steht, oder etwa um kriminelle Machenschaften, so überwiegt eher das öffentliche Interesse.

Der Begriff “Recht auf Vergessenwerden” stammt aus der Datenschutz-Grundverordnung, die gerade zwischen Europaparlament, EU-Kommission und den EU-Mitgliedsstaaten verhandelt wird. Das neue Recht soll den Datenschutz stärken. Der Spezialfall, Links aus dem Index von Suchmaschinen entfernen zu lassen, wird darin nicht im Detail geregelt – zumindest nicht in den aktuellen Entwürfen. Es gibt also zur Zeit keine genauen Regelungen, wie das Gerichtsurteil umzusetzen ist.

So ist etwa das Verfahren, nach dem Google derzeit entscheidet, wenig transparent: Ein Technologiekonzern befindet intern, dass eine Information überwiegend nicht im Interesse der Öffentlichkeit ist. Journalisten von ZEIT und ZEIT ONLINE müssen also akzeptieren, dass sorgfältig recherchierte Geschichten mit Suchbegriffen, die sie nicht erfahren, nicht mehr länger erreichbar sind – aus Gründen, die sie ebensowenig erfahren. Auch gibt es keine unabhängige Stelle, die bei der Abwägung hinzugezogen werden kann.

Bei ZEIT ONLINE machen wir zur Zeit drei Dinge:

  1. Wir informieren unsere Redakteure, wenn eine ihrer Geschichten aus dem Suchindex entfernt wurde.
  2. Wir schreiben Google, wenn wir eine Entscheidung nicht nachvollziehen können.
  3. Wir führen eine Liste von Artikeln, die entfernt wurden – und aktualisieren sie, sobald uns eine E-Mail von Google mit dem Hinweis auf eine neue Entfernung erreicht. Diese Liste finden Sie hier.

Nutzer, die alle Suchergebnisse sehen wollen, können statt der deutschen Variante “google.de“ auf die amerikanische Variante “google.com” ausweichen. Dort wird nichts gelöscht.

13 Kommentare

  1.   Basti

    Viel mehr gibt’s da nicht zu sagen. Was kann Google dafür, dass allerlei Informationen im Internet existieren.

    google.com statt google.de. Ach du meine Fresse.


  2. Entgegen des „Verschollen werden“ hattee ich letzten Sonntag ein bemerkenswertes Erlebnis, als eine Falschmeldung mit gleichem Link(!) von einer „großen“ Redaktion einige Minuten später geändert wurde und deswegen dennoch bei Google diese Falschmeldung auch Tage danach noch aufgerufen wird, wenn man bestimmte Suchbegriffe eingibt.

    Momentan dokumentiere ich, wie lange der Fehler bei Google mitgeschleppt wird…und Medien grundsätzlich mit Fehlern umgehen, die offenbar dauerhaft in der Suchmaschine hängenbleiben.

 

Kommentare sind geschlossen.