p.p.p.s. (12. Oktober) Die Schleier-Debatte überspringt den Atlantik: ein exzellenter Essay der britischen Journalistin Yasmin Alibhai-Brown im Time Magazine unterstützt Jack Straws Kritik.
Die britische Integrationsministerin Ruth Kelly hat am Mittwoch, den 11. Oktober, eine Neuausrichtung der Förderpolitik angekündigt. In Zukunft werde man nur solche muslimischen Organisationen fördern, auf die man in Kampf gegen den Extremismus zählen könne. „Wir werden Sie nach Ihren Worten und Taten beurteilen“, sagte Kelly.
Dies zielt auf den Muslim Council of Britain, der sich denn auch prompt angesprochen fühlte. Kelly setzt damit um, was sie vor einigen Wochen ankündigte. Siehe meinen früheren Post.
Bill Rammell, der Bildungsminister, sagte unterdessen solchen Universitäten seine Unterstützung zu, die den Vollschleier verbieten. Kürzlich hatte das Imperial College den Nikab verboten.
p.p.s. Salman Rushdie hat sich nun in der BBC ebenfalls hinter Straw gestellt. Der Schleier „nervt“ („sucks“), sagte Rushdie: „Als jemand mit drei Schwestern, der aus einer stark weiblich dominierten muslimischen Familie stamm, muß ich sagen, daß es kein einzige Frau in meiner Familie gibt, die das Tragen eines Schleiers akzeptieren hätte. Der Kampf gegen den Schleier ist eine lange und andauernde Schlacht gegen die Beschränkung der Frauen, und in diesem Sinn bin ich voll auf seiner (Straws) Seite. Ich glaube der Schleier ist ein Mittel, um den Frauen Macht zu nehmen.“
Der Dramatiker David Edgar gibt hingegen im Guardian vom 11.10. zu bedenken: „Ja, der Schleier kann befremdlich sein für Menschen, die mit seiner Trägerin zu kommunizieren versuchen; er wird manchmal (wenn auch nicht immer) unfreiwillig getragen, und für mich ist er Ausdruck der Verehrung eines nicht-existierenden übernatürlichen Wesens, dessen Anbetung alle möglichen Barbareien entschuldigt. Aber wenn wir ein Standbein haben wollen, wenn wir uns für die Satanischen Verse (…) einsetzen, dann müssen wir das Recht es zu tragen bis zum Tode verteidigen.“
p.s. Heute, Dienstag, 10.10.2006, hat sich Tony Blair ausdrücklich hinter Jack Straw gestellt. Muslimische Frauen dürften selbstverständlich tragen, was sie wollen. Trotzdem sei es legitim und vernünftig, die Frage der Gesichtsverhüllung anzusprechen, „wenn wir die Barrieren zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen und Religionen niederreissen wollen“.
Auch auf der Website islam-online.net, die dem sunnitischen Prediger Jussuf Al-Karadawi nahesteht, wird intensiv über die Debatte berichtet.
Das Kopftuch (Hidschab) sei religiöse Pflicht, heißt es dort, der Gesichtsschleier (Nikab) werde von den meisten Gelehrten ins Belieben der Frau gestellt.
Die Organisationen der britischen Muslime fürchten, dass die Debatte über den Nikab mit einem Verbot des Hidschab enden wird.
In der letzten Woche hat der ehemalige britische Aussenminister Jack Straw in einem Zeitungsbeitrag die Meinung vertreten, dass die vollständige Verschleierung des weiblichen Gesichts (durch den „Nikab“) nicht hilfreich sei zur Verständigung in einer multiethnischen, multireligiösen Gesellschaft.
In seiner regelmässigen Kolumne im „Lancashire Telegraph“ hatte Straw geschrieben, er fühle sich nicht wohl dabei, mit jemandem zu sprechen, dessen Gesicht er nicht sehen könne. In der BBC sagte er später, er würde es bevorzugen, wenn die Frauen den Nikab ablegen, ohne jedoch das Recht der Frauen auf Verschleierung in Frage zu stellen. In Straws Wahlkreis leben viele Muslime. Straw kandidiert für einen stellvertretenden Leitungsposten in der Labour Party.
Der Muslim Council of Britain, die größte islamische Interessenvertretung, fiel über Straw her: Seine Kritik sei „rassistisch“.
Das ist unhaltbar. Straw hatte ausdrücklich das Recht zum Tragen eines Kopftuchs bekräftigt, das in England auch in Schulen und Ämtern unbestritten ist. Er hat auch erklärt, das Tragen des Vollschleiers sei nicht gegen das Gesetz.
Er beschreibt allerdings, dass er Frauen in seiner Sprechstunde bitte, den Schleier abzulegen, weil dann das Gespräch über Sorgen und Nöte besser vonstatten gehe. Die Frauen seien damit einverstanden, manche offensichtlich erleichtert.
Straw macht keinen Hehl daraus, dass er den Vollschleier als Integrationsverhinderungsinstrument sieht – als Hindernis für Frauen, ihre Rechte in der Gesellschaft gleichberechtigt wahrzunehmen.
Hat der Abgeordnete Straw nicht die Pflicht, seine Sorge zu Protokoll zu geben, daß Teile seiner Wählerschaft de facto nicht an der Gesellschaft partizipieren können? Er hat es auf eine ruhige und gerade nicht „rassistische“ Weise getan. Der Muslim Council of Britain – und nun auch konkurrierende Parteifreunde – wollen das nicht gelten lassen und blasen zur Jagd.
Viele britische Muslime, die auch den Vollschleier ablehnen, stimmen Straw zu. Der Muslim Council aber zeigt sich wieder einmal als eine Institution, die Debatten verhindern will, Muslime immer nur als Opfer darstellt und den Extremisten in den eigenen Reihen Schutz bietet.