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Wir lassen Jungen in einer Popkultur der Gewalt versumpfen

 

Neue Studie: Computerspiele gefährden den Schulerfolg /
Medienverwahrlosung der Jungen, vor allem in den Unterschichten

Du schleichst dich von hinten an die Frau heran und schneidest ihr die Gurgel durch. Du erschlägst eine weitere mit der Schaufel und stampfst durch die Blutlache. Wenn du diese Aufgaben erledigt hast, darfst Du zur Belohnung später Fußgänger mit der Motorsäge zerlegen.

So geht es zu in dem Spiel GTA San Andreas, einem der beliebtesten Computerspiele der letzten Zeit. Und so klingt die Werbung für das Computerspiel „Der Pate“: Ein Gangster zu sein, hat sich nie zuvor so gut angefühlt. Das Kampfsystem gibt dir die Möglichkeit, deine Gegner mit Schlägen, Tritten und Grabs niederzustrecken – du kannst sie sogar strangulieren.

Ein drittes Beispiel: Das populäre Spiel Backyard Wrestling – Prügelei im Hinterhof. Hier ist der Spieler gefordert, seine Gegner mit allen Mitteln fertigzumachen. Der Körper des Feindes darf durchbohrt, verbrannt und zerstückelt werden – je blutrünstiger, desto besser. Am Ende winkt eine Belohnung von einer Million Dollar.

Der Kriminologe und Medienforscher Christian Pfeiffer hat mit seinem Team einige der beliebtesten Computerspiele nachgespielt. Die Brutalität der Spielhandlungen ist atemberaubend. Alle diese Spiele sind völlig legal ab 16 Jahren beziehungsweise 18 Jahren zu erwerben. Sie werden aber natürlich auch an jüngere Kinder weitergegeben. Weil die Killer-Spiele als cool gelten, setzen Jungs viel Ehrgeiz und Energie darein, an sie heranzukommen. Die Hälfte aller zehnjährigen Jungen, so Pfeiffer, nutzt Spiele, die erst ab 16 Jahren freigegeben werden.

Ein Jugendschutz, der solche Zustände hinnimmt, ist ein Witz. Die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle, die für die Freigaben zuständig ist, weiß entweder nicht, was sie da eigentlich bewertet – oder sie ist vollkommen zynisch. Spiele, in denen der Ehrgeiz von Jugendlichen auf das möglichst grausame Töten, Foltern, Erpressen gerichtet wird, gehören auf den Index, damit sie nicht mehr offen verkauft werden können und für sie nicht mehr geworben werden darf. Damit wäre die Spiele-Industrie, die an solchen Widerlichkeiten verdient, empfindlich zu treffen.

Wie kann es sein, dass jede Zigarettenpackung heute drastische Hinweise trägt, dass Rauchen krank macht und tötet – während ein Zehnjähriger so genannte Spiele, die eigentlich Lehrgänge für eine Massenmörder- und Foltererkarriere sind, ganz einfach bei Amazon bestellen kann? Wir wissen lange schon, dass Killer- und Folterspiele Nachahmungstaten anregen. Man denke nur an Robert Steinhäuser, den Massenmörder von Erfurt, der seine Nachmittage als Ego-Shooter verbrachte, bevor er 16 Menschen an seiner Schule ermordete, so wie er es spielend gelernt hatte.

Doch selbst wenn es nicht zum Äußersten kommt, ist die schädliche Wirkung der Gewalt-Computerspiele enorm. Christian Pfeiffer hat in einer breit angelegten Studie erforscht, wie die Mediennutzung mit dem Schulerfolg zusammenhängt. Schüler, die über einen eigenen Fernseher und eine Spielekonsole verfügen, haben signifikant schlechtere Schulergebnisse als diejenigen, die über solche Geräte nicht verfügen. Das ist eigentlich banal: Wer stundenlang vor dem Fernseher und dem Computer sitzt, hat schlicht keine Zeit für Schularbeiten und geistig anregende Hobbies.

Es kommt aber noch etwas hinzu: Das emotionale Erlebnis von Gewalt, Action, Horror als virtueller Akteur stellt andere Erlebnisse in den Schatten und entwertet sie. Schulerlebnisse und Lernerfolge werden durch das drastische Geballere am Bildschirm regelrecht verdrängt. Horror als Lebensstil macht vergesslich und dumm. Die Daueraufgewühltheit der Spieler am Nachmittag löscht die Bildungsfortschritte des Vormittags.

Es ist ein Teufelskreis: Vor allem bildungsferne Eltern erlauben ihren Kindern den Konsum von Gewaltmedien. Dieser Konsum macht dumm und verhindert den Ausbruch aus der Bildungsmisere. Durchschnittliche zehnjährige Jungen in Dortmund verbringen pro Jahr sage und schreibe 1430 Stunden vor dem Fernseher und der Play Station – das ist fast ein Drittel mehr als im Schulunterricht.

Der Konsum von virtueller Gewalt ist fast ausschließlich ein Jungen-Problem. Mädchen spielen generell weniger am Computer, und sie mögen keine Gewaltspiele. Gewaltspiele sind ein Schlüssel zur Erklärung der Bildungskrise junger Männer hierzulande. Jungen fallen in Schule und Ausbildung immer weiter zurück, während die Mädchen an ihnen vorbeiziehen. Mehr Jungen als Mädchen gehen auf die Hauptschule, bleiben sitzen und brechen die Schule ohne Abschluss ab. Die Nutzung von dumm und roh machenden Gewaltmedien ist eindeutig ein Risikofaktor für die Bildungskarriere.

Es ist Zeit, dass die Medienverwahrlosung weiter Teile der Jungen hierzulande als Skandal angeprangert wird. Dabei darf es nicht darum gehen, männliche Aggressivität unter Verdacht zu stellen und zu tabuisieren. Im Gegenteil: Jungen brauchen reale Möglichkeiten, ihre ganz normale männliche Aggressivität kreativ einzusetzen und lernend abzubauen. Wir können uns aber nicht leisten, sie in den widerlichen virtuellen Horrorwelten verkommen zu lassen, die ihre Phantasie vergiften.

„Politisches Feuilleton“ im Deutschlandradio vom 14.10.2006