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Ein Treffen mit arabischen Bloggern und Journalisten

„Noch niemals wurde die Meinungsfreiheit in Ägypten so eingeschränkt.“ „In unseren Ländern gibt es nach der Arabischen Revolution eine absolute Freiheit der Presse.“

Die letzten drei Tage habe ich in Barcelona verbracht, bei einem Treffen mit arabischen Journalisten, Bloggern, Menschenrechtlern (gefördert von der Mittelmeer-Union und der Anna-Lindh-Stifung). Zwischen den beiden oben genannten Sätzen oszillierte die Selbstdarstellung der Kollegen. Wahrscheinlich stimmt beides.

Frustration, Wut und Erschöpfung konnte man aufseiten der Aktivisten erleben. Lina Ben Mhenni, die mit ihrem Blog „A Tunisian Girl“ maßgeblich am Beginn der Revolte beteiligt war, wirkte extrem desillusioniert und ausgepowert. Sie sprach von zunehmenden Attacken, auch von physischen Bedrohungen gegen selbstbewusste, freiheitsliebende Blogger wie sie. Ganz offensichtlich hat die Ermordung Belaids sie mitgenommen.

Hani Shukrallah aus Kairo, eine der wichtigsten säkularen Stimmen der ägyptischen Debatte, berichtete von Hetze in salafistischen und MB-nahen Medien gegen ihn und andere Liberale. Es seien unter Mursi mittlerweile mehr Journalisten und Blogger wegen „Beleidigung des Präsidenten“ belangt worden als unter Mubarak. Rasha Abdullah, die an der Uni Kairo über Journalismus forscht, sprach ebenfalls davon, die Meinungsfreiheit sei „auf dem Rückzug“ in Ägypten. Zwar seien die Bürger heute schwerer einzuschüchtern als vorher und lehnten sich gegen die Autoritäten auf, aber der Preis dafür sei hoch, und dies sei eben nicht mit Pressefreiheit zu verwechseln.

Der aus Tunesien stammende Journalist Noureddine Fridhi (für Al-Arabya in Brüssel) sagte, es gebe in Tunesien keine staatliche Zensur und somit eine beispiellose Pressefreiheit. Doch sei die Medienlandschaft extrem polarisiert und tendenziös. Unternehmer und politische Kräfte unterhalten Medien als Propagandamittel zur Beförderung ihrer jeweiligen Agenda. der so entstehende Pluralismus sei extrem verwirrend für das Publikum, weil die immer gleichen Positionen auf einander treffen.

Um ein realistisches Bild von der Lage im Land zu bekommen, sei man auf ausländische Medien angewiesen (was wiederum vor allem Eliten nutzen können). Das bestätigte die Leiterin der Auslandsprogramme von France 24, Karin Osswald: Frankreichs internationaler Sender ist heute in Tunesien die Nummer Eins, vor Al Jazeera und Al Arabya – auch eine erstaunliche Ironie.

Der Kollege Lotfi Hajji von Al Jazeera in Tunesien, der zusammen mit Noureddine Fridhi auf meinem Podium saß, erging sich lange in Anschuldigungen gegenüber dem Westen, der „den Islam“ falsch darstelle. Selbst wenn dem (immer noch?) so wäre (was ich bestreiten möchte), muss man fragen: Ist das Tunesiens Problem? Fridhi hingegen beschuldigte Al Jazeera, „der Sender des Islamisten“ zu sein, jedenfalls werde das in der tunesischen Gesellschaft so wahrgenommen. Hajji schüttelte zwar den Kopf, wich aber aus, er sei kein Sprecher und dürfe sich zur Redaktionspolitik nicht äußern.

Die beiden entscheidenden Networks der arabischen Welt haben unterschiedliche Rote Linien: Al Jazeera kann nicht über katarische Interessen in der Region berichten, über die Politik des Emirs, überall die Muslimbrüder und ihre Ableger an die Macht zu bringen – es ist ja ein Instrument dieses Kampfes. Al Arabya blendet saudische Interessen aus, und infolge dessen etwa die Niederschlagung des Aufstands in Bahrein.

Immerhin wurde dies in Barcelona angesprochen, von einer super mutigen jungen syrisch-polnischen (!) Kollegin namens Rima Marrouch. Es war ein bisschen erschütternd zu sehen, wie die beiden etablierten Kollegen von den mächtigen arabischen TV-Sendern einfach passen mussten, als Rima sie fragte, warum Al Jazeera nichts über die Exzesse der Islamisten (auch in Syrien) berichtet und Al Arabya nichts über den Hintergrund des Aufstands in Bahrain.

Trotz aller Rückschläge vermittelten die Kollegen – sehr viele unter ihnen übrigens Frauen – den Eindruck, dass sie nicht klein beigeben werden. Hani Shukrallah wurde auf Druck der Muslimbrüder in eine frühere Pensionierung gedrängt. Seine Leitung des Internetauftritts des staatlichen Al Ahram Medienkonzerns war offenbar zu unabhängig.  Er ist zuversichtlich, dass er seinen Job in die Hände von leuten übergeben kann, die ebenso aufmüpfig sind wie er selbst.

Die freiheitsliebenden arabischen Blogger und Journalisten richten sich auf einen langen Kampf ein.

 

Wo der Innenminister recht hat

Im „Spiegel“ von heute sagt Hans-Peter Friedrich:

„Politisch motivierte Täter wie Breivik finden heute vor allem im Internet jede Menge radikaler, undifferenzierter Thesen, sie können sich dort von Blog zu Blog hangeln und bewegen sich nur noch in dieser geistigen Sauce. Irgendwann kann sich das zu einem geschlossenen Weltbild zusammenfügen. Aber daran sieht man: Das Internet stellt uns vor ganz neue Herausforderungen. Die Grundsätze unserer Rechtsordnung müssen auch im Netz gelten. In der demokratischen Auseinandersetzung streiten wir mit offenem Visier auf der Basis unserer verfassungsmäßigen Spielregeln. Warum sollte das im Internet anders sein? Ich weiß, dass mir das in der Netzgemeinde wüste Beschimpfungen einbringen wird, aber warum müssen Fjordmann und andere anonyme Blogger ihre wahre Identität nicht offenbaren? Normalerweise stehen Menschen mit ihren Namen für etwas ein. Warum nicht auch ganz selbstverständlich im Internet?“

Ja, warum eigentlich nicht? Viele hier in diessem Blog tun es, und darunter die substantiellsten Beiträger. Das ist kein Zufall. Mit seinem Namen einzustehen schützt nicht vor Irrtum, aber es diszipliniert und macht eine Entgegnung eigentlich erst recht möglich. Darum halte ich Anonymität auch nur dort für vertretbar, wo mit Sanktionen und Repressionnen zu rechnen ist. In Deutschland entfällt also diese Begründung grundsätzlich, wenn es nicht um Fälle von Whistleblowing oder konkrete Gefährdung durch repressive Regime geht, die auch hierzulande ihrer Opposition nachstellen.

Ein Argument der Befürworter des Burka-Verbots hat mich immer überzeugt (ob es zur Begründung eines Gesetzes ausreicht, ist eine andere Frage): Der freie Austausch in der Öffentlichkeit setzt voraus, dass ich mein Gegenüber erkennen kann, dass ich ihm (ihr) buchstäblich und auch im übertragenen Sinn „in die Augen schauen kann“. Die Analogie zum Burka-Verbot ist die Ächtung der Anonymität im Internet unter den oben genannten Einschränkungen.

Ich wäre froh, wenn wir das hier durchsetzen könnten. Ein Gesetz braucht es dazu nicht, und ich bin froh, dass auch der Innenminister keines fordert.

 

Großstadtwerte

(Mein Text aus der ZEIT dieser Woche.)

In der neuen Serie von David Simon, dem wohl größten Erzähler des zeitgenössischen Fernsehens, geht es wieder um eine Stadt. In dem Polizei-Drama „The Wire“ – das Simon zur Legende gemacht hat – war das arme Baltimore, geschlagen mit Drogen, Korruption und Verbrechen, die eigentliche Heldin. So diesmal New Orleans, genauer gesagt Treme (Tre-mäy gesprochen), das älteste schwarze Viertel Amerikas, ganz nahe am berühmten French Quarter gelegen. Der Jazz, die erste genuin amerikanische Kunst, Amerikas Geschenk an die Weltkultur, hat dort seine tiefsten Wurzeln.

Es geht aber um mehr als New Orleans, so tief Simon auch diesmal wieder in lokale Szenen eintaucht. Obwohl es gewiss die untypischste Stadt des Landes ist, firmiert New Orleans hier paradoxer Weise als die amerikanische Stadt schlechthin, samt Hoffnung, Fluch und Versprechen. „Kleinstadtwerte helfen uns nicht weiter“, hat Simon kürzlich gesagt, „wir brauchen Großstadtwerte… New Orleans war Französisch, Spanisch, Amerikanisch, die Musiker von dort nahmen afrikanische Rythmen und europäische Arrangements und schenkten dies der Welt… Das Konzept der amerikanischen Stadt – mit all diesen unterschiedlichen Kulturen, das ist es, was wir der Welt gegeben haben.“

Clarke Peters als Albert Lambreaux in seinem Mardi-Gras-Kostüm  Foto: HBO

Nun ist die Stadt allerdings lebensgefährlich verwundet, als die Handlung beginnt – im Winter 2005, wenige Monate nach dem Hurricane Katrina. Der elegante Vorspann macht schon klar, dass Simons Kunst aus dem Verfall erblüht. Wenn man genauer hinsieht, erkennt man, dass die wunderbar eleganten, abstrakten Muster auf den Wänden der Häuser in Wahrheit Schimmelpilze und Reste vom Schlamm sind.

Wir finden uns unmittelbar unter den Überlebenden der Katastrophe. David Simon wirft uns unter die Musiker, Lebenskünstler, Discjockeys, Handwerker, Barfrauen, Anwälte und Arbeitslosen, die ihr Leben über die Folgen des Sturms hinweg zu retten versuchen. Manche würden besser daran tun zu gehen, doch keinem fällt es leicht, diese Stadt aufzugeben. Nicht allen wird das Bleiben gut bekommen, das ahnt man gleich.

Jede der Hauptfiguren trägt eine Frage mit sich herum. Wird Antoine Batiste (gespielt von dem großen Wendell Pierce, einem gebürtigen New Orleanian, der in „Wire“ der Polizist Bunk Moreland war) jemals von seiner Musik leben können? Kann seine Ex-Frau LaDonna (die schöne und strenge Khandi Alexander) ihren Bruder aufspüren, der während der Flut im Polizeigewahrsam war und nie wieder auftauchte? Kann Albert Lambreaux (Clarke Peters), „Häuptling“ eines traditionellen Mardi-Gras-Indianerstamms, seine Leute dazu bringen zu bleiben und bei der Parade mitzumachen? Wird Creighton Bernette (John Goodman), der wütende und depressive Englischprofessor, endlich seinen Schlüsselroman über die Flut von 1927 zu Ende schreiben? Wird sich die schöne Geigerin Annie (Lucia Micarelli) von ihrem Straßenmusikpartner Sonnie trennen, der wieder mit den Drogen angefangen hat? Diese und noch viel mehr Geschichten sind auf eine lose, an Robert Altman erinnernde Weise, verwoben. Und die Musik der Stadt ist der Webfaden.

Keine andere Serie hat so viel großartige Musik – kein Wunder bei dem Handlungsort. Die Musik wird nie nur zur Untermalung benutzt. Sie ist – oft live gespielt – organischer Teil der Handlung. Dr. John, Allen Toussaint, Kermit Ruffins, Steve Earle, McCoy Tyner und Elvis Costello und andere echte Stars treten in Gastrollen auf. Viele Figuren sprechen einen starken Dialekt und benutzen Insider-Begriffe wie „second line“ und „lower nine“, die nicht erklärt werden. Man muss sich eine Weile lang einhören in den Sound von Treme.

Diese zunächst abweisende Erzählweise hat einen Grund im kompromisslosen Realismus, den Simon-Fans schätzen. Er passt aber auch zu New Orleans, das hinter der touristischen Fassade immer eine unzugängliche Seite bewahrt hat. Nur durch Widerborstigkeit konnten französische Sprache, afrikanische Riten und schwarze Hipness vor dem Ausverkauf bewahrt werden. Nichts zu erklären ist aber schließlich auch ein Kunstgriff: Beim Zuschauer verstärkt er das Gefühl, man werde zum Zeugen einer realen Geschichte. Großartig, dass Drehbücher von solcher Schroffheit in Amerikas Kabelfernsehen nicht zuschauerfreundlich totredigiert werden. So wird das Fernsehen zur Kunstform, in der jene ein Exil finden, denen Hollywood zu langweilig, zu flach, zu unpolitisch ist.

David Simon ist (neben Ken Loach) der wütendste politische Filmemacher dieser Tage. Seine Weltsicht lässt sich im deutschen Koordinatensystem als vitaler Linkspopulismus verstehen: korrupte Eliten, kaputte Institutionen, eine verlogene öffentliche Moral, kleine Leute ohne Lobby bevölkern seine Welt. Es ist offenbar ein Vorurteil, dass man daraus keine große Kunst machen kann. Das kann man eben doch, wenn man diese Welt mit dem Reporterblick anschaut, den der gelernte Journalist Simon (er war Polizeireporter bei der Baltimore Sun) nie abgelegt hat.

Simon leidet an der Selbstzerstörung Amerikas, von der alle seine Serien erzählen. Aber er lässt seine Wut nie einer guten Geschichte in die Quere kommen. Auch in Treme geht es ihm nicht um die politische Anklage. Er hält sich nicht lange damit auf, dass Präsident Bush und seine inkompetente Regierung das Natur-Desaster erst zur Katastrophe haben auswachsen lassen. Treme erklärt nicht, warum New Orleans beinahe zerstört wurde (so wie The Wire die Zerstörung Baltimores auf allen institutionellen Ebenen rekonstruierte). Simon ist für einen solchen analytischen Zugang zu verliebt in New Orleans. Und so handelt Treme von den Versuchen vieler einzelner, das Versprechen dieser Stadt aus dem Schlamm und dem Schimmel zu bergen.

So klingt es allerdings ein wenig zu kitschig. Die städtische Utopie von New Orleans zu retten, das kann in Treme nämlich nur ganz konkret geschehen: durch kreolische Küche, ein unvergessliches Zydeco-Konzert, einen umwerfendes Mardi-Gras-Kostüm aus lauter gelben Federn. Oder, in den unsterblichen Worten von Dr. John: makin‘ whoopee.

 

Im Reich des Widerlichen: kein Kommentar zu Sarrazin

Werte Mitblogger: Zur Sarrazin-Debatte fällt mir partout nichts Besseres ein als mein nun auch schon fast ein Jahr alter Text von der Seite 3 der ZEIT. Steht alles drin, was ich dazu denke.

Als ich ihn vorhin kontrollehalber wiederglesen habe, wurde mir deutlich, dass ich mich lieber weiter zurückhalte. Über Sarrazin II habe ich anläßlich von Sarrazin I (Lettre-Interview) alles gesagt, was mir dazu einfällt. Meine Schlußpointe steht: Die mutlose Politik lädt die Bürger geradezu  ein, sie zu verdächtigen und zu verachten.

Sarrazin hat seinerzeit mit einem Leserbrief darauf geantwortet, der schon von der gleichen urdeutschen Haltung der  „verfolgenden Unschuld“ geprägt war wie seine derzeitigen Reaktionen auf den von ihm selbst kalkuliert inszenierten Tohuwabohu. Peinlich, das. Alles sehr unbürgerlich und nicht sehr fein. Aber eben nicht neu und auch darum für mich nicht ergänzungsbedürftig.

Ich habe das Buch seit etwa fünf Wochen in einer mit Wasserzeichen versehenen Datei vorliegen. Jedermann, der das Gebaren des Verlages kennt, wusste von Anfang an, dass es sich um einen geplanten Krawall handelte. Durch den Wirbel um das Lettre-Interview ist man ja erst darauf gekommen, dass hier noch mehr geht. Ich bin froh, dass DIE ZEIT sich dazu nicht hergegeben hat, sondern mit einem kontroversen Interview in die Debatte eingestiegen ist.

Der SPIEGEL hat (parallel mit Bild) die Auszüge gedruckt. Jetzt aber stehen die Kollegen offenbar ratlos vor der Debatte, die „aus dem Ruder gelaufen“ (SPIEGEL von heute) sei. Ich zitiere aus der aktuellen Ausgabe: „Sarrazin hat die Debatte mit einem falschen Zungenschlag begonnen. Er beschrieb Mängel bei der Integration, die tatsächlich beklagenswert sind, aber er verknüpfte sie mit biologstischen Gedankenspielen. Er räsonierte über die Vererbbarkeit von Intelligenz und schwadronierte über ein ‚bestimmtes Gen‘, das ‚alle Juden teilen‘. Damit war er beim Biologismus und bei der Rassenlehre, und er war im Reich des Widerlichen… (…) , hat er sich für den Satz über ein jüdisches Gen entschuldigt. Aber erst einmal hatte ihm die Provokation gefallen, und manchem seiner Anhänger vielleicht auch.“

Tja. Hat dem SPIEGEL die Provokation nur 2 Wochen zuvor nicht auch „erst einmal“ gefallen? Im „Reich des Widerlichen“ – die Formel gefällt mir. Ach, man ist so recht froh, dass ihm das mit den Juden passiert ist (wie eine Art Tourette-Syndrom bei deutschen „Querdenkern“, nur dass die nicht „Penis“ rufen müssen, sondern „Jude“). So kann man den peinlichen Herrn jetzt entsorgen.

Im Lettre-Interview ist alles schon enthalten – die feine eugenische Note, die Unterschichtenverachtung, die Suggestion, dass Deutschland durch die Fruchtbarkeit der Türken und Araber immer dümmer wird. Das postume Erschrecken mancher Kollegen ist entweder Unkenntnis oder Heuchelei, ebenso wie die zahlreichen Versuche, das nun unter den Teppich zu kehren mit dem Hinweis, dass er doch bitteschön „kein Genetiker“ (Sarrazin) sei und es ihm primär um die Integration gehe.

Nur eins noch: Dass ein Mann erst in dem Moment ins „Reich des Widerlichen“ eintritt, in dem er etwas über Juden und Gene sagt, während er vorher ungestraft und unter großem Gejohle und bedächtigem Kopfwiegen des Publikums über türkische und arabische Gene bramarbasieren kann – das kann einem auch zu denken geben.

Ach, soviel zu bedenken…

 

Die nackte Brust des Herrn Cruise

Eigentlich bin ich ja Filmkritiker, tief in meinem Herzen. Heute durfte ich mal wieder fürs Feuilleton ins Kino:

Der neue Film von James Mangold ist eine Wette darauf, dass man einen Unterhaltungsfilm für Jungs und Mädchen machen kann, der kein fauler Kompromiss ist: eine romantische Screwball-Komödie mit Verfolgungsjagden, Schießereien und Explosionen. Getragen wird das Unternehmen von Tom Cruise und Cameron Diaz. Sie gibt charmant und mit stark überzeichneter Naivität das Fräulein in Nöten, das immer wieder gerettet werden muss, bis es selber Spaß am Ballern und Rasen bekommt. Er aber läuft und schießt und haut und springt – und zeigt dabei eine glatt rasierte, muskulöse Brust, die einem Dreißigjährigen auch gut stehen würde. Den Stauffenberg hat Cruise gründlich hinter sich gelassen. Die Augenklappe ist zurück im Fundus, und er kann auch wieder beide Arme bewegen. Frisch sieht er aus, durchtrainiert, beweglich und allzu bereit, seine Fitness unter Beweis zu stellen.

In Wahrheit geht Tom Cruise auch schon auf die fünfzig zu. Doch es scheint offen, ob er für das mittlere Alter jemals eine Form finden wird. In Knight And Day hat er sich für die fröhliche Regression entschieden: In jeder Hand eine Maschinenpistole, Todessprung an Todessprung setzend, Arme und Beine kreisend wie ein Hubschrauber, fliegt und hüpft Cruise durch dieses Abenteuer. Wenn man gemerkt hat, dass er das alles keinesfalls ironisch meint, ist es leider zu spät… (mehr lesen)

 

Das Islambild in den Medien

Mein Gastvortrag vom Dienstag, 6.7.2010, an der Goethe-Universität Frankfurt im Rahmen der Ringvorlesung: „Wieviel Islam verträgt Europa?“

Wo soll man bloß beginnen? Der Zugang der Muslime zu den Me­dien in Deutschland, das Bild des Muslims in den Medien, Muslime als Medienma­cher?
Woher nehme ich überhaupt die Berechtigung, über dieses Thema – Islam in den deutschen Medien – zu reden vor einem akademischen Publikum. Woher nehme ich das Recht, darüber zu schreiben? Denn: Islamwis­senschaftler wie viele von Ihnen hier bin ich nicht. Ich spreche weder türkisch noch arabisch und habe auch nicht Theologie oder Islamkunde studiert.
Trotzdem haben Sie mich ja eingeladen. Sie werden sich schon was dabei ge­dacht haben. Und ich fühle mich geehrt, in einer Reihe mit großen Fachleuten hier vor ihnen reden zu können. Sie werden von mir keinen wissenschaftlichen Vortrag er­warten, sondern eine Reflexion der Praxis, aus der ich selbst komme. Ich danke Ihnen für die Gelegenheit dazu, einmal innezuhalten und zu fragen: Wie über den Islam, die Muslime und islambezogene Themen berichten?
Immer mehr Muslime in Deutschland, Frankreich und Großbritannien glauben nicht, dass die Mainstream-Medien ausgewogen über sie berichten. Zu diesem Ergebnis kommt ein Pilotprojekt des Londoner Institute for Strategic Dialogue und der Vodafone Stiftung Deutschland.
55 Prozent der befragten Muslime vertraten die Auffassung, die großen Medien berichteten negativ über Muslime. Bei den nicht muslimischen Befragten waren es immerhin 39 Prozent.
Mehr als die Hälfte der Studienteilnehmer sind überzeugt, dass es in den meisten Berichten über Muslime um Terrorismus geht. Ein Drittel glaubt, dass vor allem Fundamentalismus eine Rolle spielt; ein Viertel nimmt als häufigstes Thema in der Berichterstattung über Muslime die Kopftuchdebatte wahr.
Natürlich haben diese Befragten nicht Recht in einem objektiven Sinn: Keineswegs geht es in der Mehrzahl der Berichte um Terrorismus. Und das Kopftuch ist immer noch ein Aufregerthema, aber das „häufigste“? Nein. Dennoch scheint es mir unbestreitbar richtig, dass die Intuition der Befragten stimmt, dass hier etwas im Argen liegt.
Ein jüngeres Beispiel: „Jung, muslimisch, brutal“ titelte Spiegel Online einen Bericht über die Studie des Kriminologen Christian Pfeiffer zum Zusammenhang von Religi­ösität und Gewaltneigung. Der Süddeutschen fiel zur gleichen Untersuchung die Zei­le ein: „Die Faust zum Gebet“.  blick.ch: „Macht Islam ag­gresiv? Jung, brutal — Muslim“, Tagesspiegel: „Allah macht hart“, heise.de: „Jun­ge männliche Macho-Muslime“, Financial Times Deutschland: „Studie zu jungen Muslimen — Je gläubiger, desto gewalttätiger“, Welt.de: „Studie — Gläubige Musli­me sind deutlich gewaltbereiter“, Welt: „Muslime — Mehr Religiosität = mehr Ge­waltbereitschaft“, Bild.de: „Junge Muslime: je gläubiger desto brutaler“, Hamburger Abendblatt: „Junge Muslime: Je gläubiger, desto brutaler“.
Das ist die Ausbeute der Schlagzeilen, und sie ist nicht einmal vollständig. In Wahr­heit steht in der Studie allerdings, Weiter„Das Islambild in den Medien“

 

Wie die Türkei über die Köpfe der Araber herrscht

Mit Kulturimperialismus! Durch den Erfolg türkischer Soap-Operas, die den arabischen Markt dominieren. Ein faszinierender Artikel in der New York Times zeigt, dass die Türkei auf allen Gebieten dabei ist, als Soft Power den Nahen Osten aufzurollen:

A Hamas leader not long ago was describing to a reporter plans by his government to start a network of Shariah-compliant TV entertainment when his teenage son arrived, complaining about Western music and his sister’s taste for the Turkish soap operas. Then the son’s cellphone rang.

The ring tone was the theme song from “Noor.”

If this seems like a triumph of Western values by proxy, the Muslim context remains the crucial bridge. “Ultimately, it’s all about local culture,” said Irfan Sahin, the chief executive of Dogan TV Holding, Turkey’s largest media company, which owns Kanal D. “People respond to what’s familiar.” By which he meant that regionalism, not globalism, sells, as demonstrated by the finale of “Noor” last summer on MBC, the Saudi-owned, Dubai-based, pan-Arab network that bought rebroadcast rights from Mr. Sahin. A record 85 million Arab viewers tuned in.

That said, during the last 20 years or so Turkey has ingested so much American culture that it has experienced a sexual revolution that most of the Arab world hasn’t, which accounts for why “Noor” triumphed in the Middle East but was considered too tame for most Turks. Even Mr. Sahin wonders, by contrast, whether the racier “Ask-i Memnu,” a smash with young Turks, threatens to offend Arabs unless it is heavily edited.

“You have to understand that there are people still living even in this city who say they only learned how to kiss or learned there is kissing involved in lovemaking by watching ‘Noor,’ ” explained Sengul Ozerkan, a professor of television here who conducts surveys of such things. “So you can imagine why the impact of that show was so great in the Arab world and why ‘Ask-i Memnu’ may be too much.

“But then, Turkey always acts like a kind of intermediary between the West and the Middle East,” she added.

Or as Sina Kologlu, the television critic for Milliyet, a Turkish daily, phrased it the other day: “U.S. cultural imperialism is finished. Years ago we took reruns of ‘Dallas’ and ‘The Young and the Restless.’ Now Turkish screenwriters have learned to adapt these shows to local themes with Muslim storylines, Turkish production values have improved, and Asians and Eastern Europeans are buying Turkish series, not American or Brazilian or Mexican ones. They get the same cheating and the children out of wedlock and the incestuous affairs but with a Turkish sauce on top.”

Ali Demirhan is a Turkish construction executive whose company in Dubai plans to help stage the next Turkish Emmys there. One recent morning he was at a sunny cafe in a mall here recalling a Turkish colleague who had just closed a deal with a Qatari sheik by rustling up three Turkish soap stars the sheik wanted to meet.

Mr. Demirhan sipped Turkish coffee while Arabs shopped nearby. “In the same way American culture changed our society, we’re changing Arab society,” he said, then paused for dramatic effect. “If America wants to make peace with the Middle East today, it must first make peace with Turkey.”

 

71000 Kommentare

So sah es eben auf meiner WordPress-Seite aus.

Auch wenn ich mich manchmal aufrege und (wirklich nur) ganz gelegentlich Teilnehmer ausschließe, weil sie die offene Debattenatmosphäre kaputtmachen: Die meisten der Mitblogger liefern hier Beiträge ab, von denen ich immer wieder sehr profitiere – weil sie meine eigenen Reaktionen herausfordern, weil sie auf meine blinden Flecken hinweisen oder einfach weil sie aus eigener Erfahrung oder aus selbst erworbenem Wissen die Debatte erweitern. Vielen Dank dafür.

Wenn ich richtig rechne, kommen im Schnitt 51 Kommentare auf jeden Beitrag. Erfreulich viel.

Mittlerweile werde ich immer öfter auf das Blog angesprochen, das als journalistische Form eigenen Rechts von mehr und mehr Lesern erkannt wird. Gut so. Für mich ist das Bloggen eine Arbeitsform geworden, die sich gar nicht mehr fein säuberlich von der sonstigen journalistischen Arbeit trennen lässt. Ein Blog bietet die Möglichkeit, Dinge wie in einem Tagebuch kurz festzuhalten, Ideen und Meinungen auszuprobieren und Zusammenhänge herzustellen, die im gedruckten, unverlinkten Text so nicht funktionieren. Und man bekommt sofort Kontra für Dummheiten und Schwachheiten.

Der papierenen Zeitung gebührt allerdings der Dank dafür, dieses Forum hier mit zu finanzieren und mir die Zeit dafür zu lassen.

 

Warum die Zensur von South Park wichtig ist

Verschiedene Mitblogger hier haben Unverständnis bekundet für meine häufigen Posts zum Thema. Ich bleibe dabei: Es handelt sich bei der Selbstzensur von Comedy Central, MTV und Apple in Sachen South Park aber nicht um eine „Petitesse“.

Oder anders gesagt: Aus vielen solchen Petitessen ergibt sich die Selbstabschaffung der Freiheit. Sehr schön hat das in der New York Times der konservative Kolumnist Ross Douthat erklärt:

In a way, the muzzling of “South Park” is no more disquieting than any other example of Western institutions’ cowering before the threat of Islamist violence. It’s no worse than the German opera house that temporarily suspended performances of Mozart’s opera “Idomeneo” (…). Or Random House’s decision to cancel the publication of a novel about the prophet’s third wife. Or Yale University Press’s refusal to publish the controversial Danish cartoons … in a book about the Danish cartoon crisis.(…)

But there’s still a sense in which the “South Park” case is particularly illuminating. Not because it tells us anything new about the lines that writers and entertainers suddenly aren’t allowed to cross. But because it’s a reminder that Islam is just about the only place where we draw any lines at all.

Across 14 on-air years, there’s no icon “South Park” hasn’t trampled, no vein of shock-comedy (sexual, scatalogical, blasphemous) it hasn’t mined. (…) Our culture has few taboos that can’t be violated, and our establishment has largely given up on setting standards in the first place.

Except where Islam is concerned. There, the standards are established under threat of violence, and accepted out of a mix of self-preservation and self-loathing.

This is what decadence looks like: a frantic coarseness that “bravely” trashes its own values and traditions, and then knuckles under swiftly to totalitarianism and brute force.

Happily, today’s would-be totalitarians are probably too marginal to take full advantage. This isn’t Weimar Germany, and Islam’s radical fringe is still a fringe, rather than an existential enemy.

For that, we should be grateful. Because if a violent fringe is capable of inspiring so much cowardice and self-censorship, it suggests that there’s enough rot in our institutions that a stronger foe might be able to bring them crashing down.

(Dank an Chajm Guski für den Tip.)