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MTV Deutschland zensiert South Park – auch ohne Drohung!

Mein Kollege Thierry Chervel vom Perlentaucher hat bei MTV Deutschland angerufen und nachgefragt, wie es eigentlich zu der Entscheidung gekommen ist, die umstrittenen Folgen 200 und 201 von allen Plattformen zu entfernen und auch nicht im Fernsehen auszustrahlen: Auskunft der Unternehmenssprecherin Daniela Schorn: „auf eigene Initiative“. Es gab also keine Anweisung aus den USA vom Mutterschiff. (Soeben erreicht mich ein Anruf von Frau Schorn: Es habe doch „eine konzernweite internationale Absprache gegeben.“

Thierry Chervel kommentiert im Perlentaucher: „Der deutsche Ableger des Viacom-Konzerns geht also noch einen Schritt weiter als die amerikanische Zentrale und verzichtet völlig auf eine Präsentation der beiden South Park-Episoden – sowohl im Fernsehen als auch im Internet.“

Eine konkrete Drohung gegen MTV Deutschland hat nicht vorgelegen. Womit sich meine These von gestern bestätigt, dass radikale Islamisten und Terroristen zwar schlimm sein können, wir es zu Not aber auch ganz ohne sie hinkriegen, uns in eine Hysteriespirale hineinzuhypen.

Daniela  Schorn erlärte dem Perlentaucher: ‚Bei uns selbst findet der Konflikt ja nicht wirklich statt. Wir selbst hier in Berlin haben keine Drohung erhalten, die Drohungen richten sich ja in erster Linie gegen Matt Stone und Trey Parker, die Macher.'“

Na dann: Gratulation an Revolution Muslim zu diesem (geschenkten) Sieg im Medien-Dschihad.

Ich fürchte, andere werden ihre Schlußfolgerungen daraus ziehen.

(Anmerkung des Autors: Dieser Post wurde um 16.15 aktualisiert und weicht in der Frage der konzernweiten Absprache von der ersten Version ab.)


 

Die Schande der South-Park-Zensur

Die Huff Post berichtet, dass die Website der islamistischen Irren, die South Park bedroht haben, gehackt worden sei. Wer sie heute aufruft, findet die Bestätigung meiner These, dass es den „born again muslims“ vor allem um Publicity ging.

„We received an overwhelming amount of media response due to one sentence included in a post last week.“

Und insofern muss man sagen: Chapeau, die Herren! Mit minimalem Aufwand die maximale Klickzahl erreicht. Das war’s denn aber auch.
Oder?
Auf Southpark.de ist die 200. Folge nicht mehr zu sehen. Am Freitag war das noch möglich. Folge 201 – auch ziemlich genial, denn dort wird die „Bärenkostüm“-Episode aufgelöst: im Fell steckt der Weihnachtsmann, nicht Mohammed – ist ebenfalls nicht zu sehen. (Mit ist es gestern gelungen, auf englischsprachigen Seiten beide anzuschauen.) Es war auch zu lesen, dass iTunes die Folgen nicht vertreiben will. Apple ist ja schon bekannt für seine Hasenfüßigkeit und seine Zensurmentalität. Und von diesen Leuten sollen wir demnächst voller Vetrauen per Ipad und Apps unseren „Content“ beziehen? So nicht.
Ich finde das alles langsam verachtenswürdig. Kein einziger Muslim von Gewicht, keine angesehene Figur, keine Regierung eines islamischen Landes, kein Sprecher eines Verbandes hat irgendetwas gegen diese Folgen vorgebracht. Nur die drei, vier New Yorker Spinner (über die ich hier bereits geschrieben habe)!
Vielleicht muss ich das noch einmal klarstellen: Es geht hier nicht um „die Muslime“. Es geht um uns. Es ist die präventive Feigheit der westlichen Medienkonzerne, die aus einer Handvoll durchgeknallter „Revolution Muslims“ erst eine islamistische Bedrohung der Meinungsfreiheit macht.
Seit der Rushdie Affäre – und verstärkt durch den Streit um die Karikaturen – haben manche westlichen Medien eine peinliche Unterwürfigkeit internalisiert – gegenüber einer „islamischen Bedrohung“. Dieser Fall hier zeigt – ähnlich wie die Affäre um die Berliner Idomeneo-Aufführung im Jahr 2006, dass wir eine reale Bedrohungslage schon gar nicht mehr brauchen.
Rushdie hatte noch den leibhaftigen Ajatollah Khomeini gegen sich, und bei den Karikaturen waren es reale Massen aufgeputschter Muslime, die vor den Botschaften Flaggen verbrannten. Menschen starben.
Die Erziehung hat funktioniert. Jetzt brauchen wir gar keine ernst zu nehmenden Gefährder mehr, damit eine der populärsten Shows – ein Meilenstein der Popkultur – von den größten Medienkonzernen der Welt im Stich gelassen wird, die viele Jahre fürstlich an ihr verdient haben.
Wir fürchten uns vor unseren eigenen Phantomen schon so sehr, dass jeder dahergelaufene Idiot unsere Reflexe abrufen kann: „South Park von Islamisten bedroht“ – diese Headline wird dieser Tage weltweit kopiert, ohne dass jemand mal nachschlägt, um wen es sich eigentlich handelt.
Am Ende sind dann aus ein paar Verwirrten große Medienhelden geworden, die tatsächlich für etwas zu stehen scheinen.
Wir haben sie dazu gemacht.

 

Die Wahrheit über South Park und die „Islamisten“

Als ich vor ein paar Tagen von der Drohung einer Gruppe New Yorker Islamisten gegen South Park las, dachte ich: Nein, das ist zu blöd, darüber schreibe ich nicht. Es ist wirklich zu blöd, aber nun muss ich doch darüber schreiben.

Wo beginnen? In der zweihundertsten Folge der Cartoon-Serie  South Park tritt der Prophet Mohammed in einem Bären-Maskottchen-Kostüm auf. Das hat sich eine Gruppe von Islamisten mit dem wichtigtuerischen Namen „Revolution Muslim“ auf ihrer Website zum Anlass genommen, den Machern von South Park in Erinnerung zu rufen, sie könnten wie Theo van Gogh enden. Die Gruppe ist für ihre lauten Strassenproteste bekannt und für ihren wilden Israelhass, den schon die Aufmachung der Homepage dokumentiert. Wie ernst ist sie zu nehmen?

Ich möchte es so zusammenfassen: Das ist eine Bande durchgeknallter Konvertiten zum Islam, die vor allem den radical chic suchen. Heißt nicht, dass sie nicht ernst zu nehmen seien, es gibt leider viele gefährliche Irre unter den Konvertiten. Aber wenn es jetzt überall heißt, eine „islamistische Gruppe“ bedrohe South Park, dann sollte das doch bitte mit einer gewissen Distanz behandelt werden: Dies hier ist eine Gruppe von spinnerten Freaks.

Interesanter Weise scheinen skurrile Figuren wie „Youssef al-Kattab“ in der Gruppe eine Rolle zu spielen – geboren als Joseph Cohen, ein amerikanischer Jude, der in Israel ein Rabbinerseminar besucht hatte, bevor er 2000 zum islamischen Glauben konvertiert ist. (Nein, das ist keine Erfindung von South Park, das ist die Wirklichkeit.) Auch der Mitgründer „Younes Abdullah Muhammad“ ist ein Konvertit. Und beide waren wiederum inspiriert von dem radikalen Scheich „Abdullah al-Faisal“, ebenso Konvertit, geboren als Trevor William Forest in einer evangelikalen Familie in Jamaika. In anderen Worten: Ein Haufen religiös Verwirrter, haltloser Irrer, die nichts dringender brauchen als die besorgte, erregte Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit. (Hier mehr Hintergrund von der Anti Defamation League.)

So, und nun wird es peinlich: Wegen der albernen Drohposts dieser Freaks hat Comedy Central nun das große Muffensausen bekommen und South Park zensiert. Unfaßlich.

Die Folge 200 – ich habe sie unterdessen mehrfach gesehen – ist dabei nahe an der Genialität. Die Geschichte geht ungefähr so: Einer der Jungs von South Park beleidigt Tom Cruise, der daraufhin den gesamten Ort mit einer Prozeßlawine überziehen will. Cruise sammelt 200 Promis, die auch schon von South Park beleidigt wurden – Bono, Hillary Clinton, Paris Hilton etc. Nur unter einer Bedingung will er sich abbringen lassen von seiner Klage: Er verlangt, dass die South Park Jungs – die einen Draht zu Jesus haben – ihm einen Kontakt zum Propheten Mohammed besorgen. Denn Mohammed hat eine geheime Kraft, von der alle Promis träumen: Er kann nicht mehr beleidigt werden. Niemand kann ihn auch nur abbilden ohne Gefahr an Leib und Leben. Ein Promi-Traum!

Wie wäre es, wenn wir diese fantastische Fähigkeit für uns gewinnen würden, lockt Cruise seine Mit-Celebrities. Man übt gemeisam druck auf die South Park Jungs aus, die kontaktieren Jesus, Buddha, Konfuzius, Moses und die anderen Religionsstifter, und die wiederum überreden Mohammed in langen Verhandlungen zu erscheinen. Da er aber nicht in menschlicher Gestalt sichtbar werden darf, endet der Prophet also in einem Bärenkostüm. Alles scheint gut zu laufen, da erschüttert eine Explosion South Park – ein Terrorakt? Ja, aber welche Extremisten stecken dahinter?

Es sei nur soviel verraten: Islamisten sind es nicht…

Es geht in dieser Episode offensichtlich nicht um Mohammed, sondern um Tabu, Angst und Einschüchterung, wie sie sich seit 2001 und besonders nach der Karikaturen-Affäre breit gemacht haben. Es geht um genau die feige Einstellung, die sich jetzt wieder zeigt. Sie hat, muss man leider sagen, in diesem Fall recht wenig mit den Muslimen zu tun. Sie ist eine Folge allzu bereitwilliger Projektionen, für die die konvertierten Irren von New York nur den Anlaß liefern mußten.

Die South Park-Macher wollten sich von dem feigen Meinungsklima seit der Karikaturenaffäre nicht beeindrucken lassen. Ihre 200. Folge ist ein Zeichen dafür, dass sie sich weder von weltlichen Mächtigen und Wichtigen noch von denen, die im Namen des Heiligen andere einschüchtern, etwas bieten lassen.

Und der feige Sender hat einfach nicht den Mumm, das so stehen zu lassen, sondern zensiert ausgerechnet dieses herrlich absurde Manifest gegen die Zensur. In der 201. Folge ist selbst die Erwähnung des Namens Mohammed mit einem Piepton überblendet worden.

Eine Schande ist das. Und eine Lächerlichkeit noch dazu angesichts der albernen Vögel, die sich angemaßt haben im Namen des Islam zu sprechen.

p.s. Eben erst fällt mir folgender Clip von Jon Stewart auf – aus der gestrigen Daily Show (auch Comedy Central!). Da wird einfach alles gesagt zum Thema. Und gesungen! Jon Stewart ist Gott:

The Daily Show With Jon Stewart Mon – Thurs 11p / 10c
South Park Death Threats
www.thedailyshow.com
Daily Show Full Episodes Political Humor Tea Party
 

Gar elump war der Pluckerwank

Superduper off-topic: Meine Kritik des neuen Films von Tim Burton (ZEIT Nr. 10, S. 50) – Alice im Wunderland:

Es ist einfach zwingend, dass der grosse Phantast des amerikanischen Kinos, Tim Burton, sich eines Tages an “Alice im Wunderland” versuchen mußte. Seine Welt waren immer schon die bizarren Alp- und Tagträume, die Freaks und Misfits. Und sein großes Thema ist die Würde derAußenseiter – von den Gespenstern in dem frühen Film Beetlejuice über seine beiden Batman-Variationen bis zu dem unvergesslichen “Edward mit den Scherenhänden”.
Wer nun Burtons “Alice” sieht, erkennt, was vor allem der wunderbare Edward bereits Lewis Carroll verdankt. Denn der Gothic-Punk-Frankenstein erlebte ja eine Umkehrung des Schicksals von Alice: Ein Wesen aus einer Märchenwelt fand sich plötzlich in der bizarr überspitzten amerikanischen Vorstadtnormalität wieder, zwischen fein gestutzten Hecken und hoch toupierten Fönfrisuren. Und siehe da, der Freak war im Herzen normaler als die Bürger. Immer schon war das Burtons Obsession: das Monströse im Normalen und das Normale im Monströsen zu suchen.

Kein Wunder also, dass er nun Alice um eine Lesart bereichert: Sie ist bei ihm nicht das gelangweilte, überschlaue kleine Mädchen, das mit merkwürdigen sprechenden Tieren durch die Unterwelt streift. Alice ist eine junge Frau um die 20, die der viktorianischen Vermählung mit einem reichen, aber langweiligen Bräutigam entflieht und sich nach dem Sturz durchs Kaninchenloch in einer Traumwelt voller Bewährungsproben wiederfindet. Die schöne Mia Wasikowska gibt dem erwachenden Eigensinn mit blonden Wallehaaren und mürrischem Blick ein neues Gesicht: “Dies hier ist mein Traum”, insistiert sie, als die Bewohner des Wunderlandes in Frage stellen, ob sie überhaupt die “richtige Alice” sei. Sie war schon einmal hier, als junges Mädchen. Nun, an der Schwelle zur Erwachsenenwelt, ist sie wiedergekommen, um den Drachen Jabberwocky zu erschlagen, der roten Königin (Helena Bonham-Carter) und dem Herzbuben (Crispin Glover) Paroli zu bieten, den Märzhasen und den verrückten Hutmacher (Johnny Depp) immer wieder auf den Teppich zu holen, wenn diese beiden völlig durchzudrehen drohen.
Es ist wohl der Drehbuchautorin Linda Woolverton zu verdanken, dass das Märchen bei aller anarchistisch-surrealen Treue zu Carrols Phantasie eine feministische Ertüchtigungsmoral bekommen hat: Am Ende, zurückgekehrt aus den Prüfungen des Wunderlands, steigt Alice gar ins Geschäft des Vaters ein, im Ostasienhandel. Nach China zieht es sie, in ein reales Wunderland also. Linda Woolverton war schon an Disneys Girlpower-Drama “Mulan” beteiligt. Alice gerät ihr zur Schwester der säbelschwingenden Chinesin.
Tim Burton hat diesen Film zwar nicht mit speziellen 3D-Kameras gedreht wie Cameron seinen Avatar. Alice wurde für die 3D-Vorführung nachträglich aufbereitet. Das mag die merkwürdige Flachheit mancher Aufnahmen erklären, in denen die Figuren scherenschnitthaft vor den Hintergründen kontrastieren. Aber das ist kein Unglück: Es gibt dem Film einen Touch von Laterna Magica, der wunderbar zum Stoff passt. Sich die 3D-Kassengestellbrille aufzusetzen bedeutet ein Einverständnis damit, dass das Kino wieder ein Stück weit zur Jahrmarktattraktion zurückkehrt, mit der alles einmal angefangen hat.
Burton hat einen unverklemmten Hang zu Trash, Rummelplatz und Krawall, wie er immer wieder bewiesen hat. Nicht zufällig hat er dem schlechtesten Filmemacher aller Zeiten – dem Scifi-Amateur Ed Wood ein filmisches Denkmal gesetzt. Aber er ist eben auch ein großer Stilist, der seine visuelle Schöpferkraft hier ganz ausleben kann. Es sind die kleinen Episoden, die den Film sehenswert machen: der verrückte Fünf-Uhr-Tee beim Hasen und Hutmacher oder die Szene, in der die eiskalte rote Königin (Helena Bonham Carter) ihre Diener in Froschgestalt verhört. Auch die alte Grinsekatze, die sich beim Rede in Luft auflöst, erfreut, besonders in der englischen Originalversion, in der die Cheshire Cat mit Stephen Frys Stimme .spricht.
Hätten die streckenweise sehr dominanten Action-Elemente sein müssen? Der Jabberwocky, den Alice schließlich erlegen muss, um die Terrorherrschaft der roten Königin zu brechen, ist aus den Alien-Filmen geliehen. Bei Carroll entstammt er bekanntlich einem Nonsensgedicht. Die lange Drachentöterszene ist eine Konzession an das durchschnittliche Gewaltniveau heutiger Phantasyfilme. Und sie dient natürlich der Bebilderung von Girlpower. Wie weit ist diese Alice in der Ritterrüstung doch von dem kitschigen blonden Mädchen entfernt, das man aus früheren Verfilmungen kennt! Gebraucht hätte man die Action aber eigentlich nicht, denn die beiden Antipoden von Alice in der Unterwelt – Depps psychotischer Hutmacher und Bonham Carters gnadenlose Königin – bringen schon genug Spannung in den Film. Sie sind bei Burton alptraumhafte Figuren des verfehlten Erwachsenseins, gegen das sich Alice stemmt in ihrem Versuch, endlich zu ihrem eigenen Leben aufzuwachen. Ihr gelingt es schließlich auch – anders als seinerzeit Edward, der aus der Menschenwelt zurück in sein Märchenschloss fliehen musste, weil seine Scherenhände auch bei bestem Willen lebensgefährlich für seine Umwelt blieben.
Und wer will, kann in diesen beiden Werken von Tim Burton ein Sinnbild für die Ungleichheit der Größenphantasien erkennen, die heute beiden Geschlechtern angeboten werden: Mädchen kommen heute überall hin (wenn auch erst einmal nur in Gedanken). Jungs aber bleiben in ihren Luftschlössern gefangen.

 

„Was Frauen wollen? – Wen kümmert’s?“ Über die geniale TV-Serie „Mad Men“

Meine DVD-Empfehlung aus der Zeit von morgen:

Ein Reiz dieser Serie – der besten seit dem Ende der “Sopranos” – liegt in ihrer detailbesessenen historischen Korrektheit. Man schaut den Menschen im New York der frühen sechziger Jahre beim Leben zu und muss sich immer wieder wundern, wie fern uns diese Zeit schon gerückt ist.
Und dabei fing doch damals vieles an, was bis heute unseren Lebensstil im Westen bestimmt: Autos und Flugreisen für jedermann, Pop als kultureller Mainstream, zaghafte erste Versuche mit der sexuellen Befreiung. Und als treibender Motor: die Vermarktung und Stilisierung eines bis dahin ungekannten und offenbar grenzenlos wachsenden Wohlstandes für die Massen der westlichen Welt.
Matthew Weiner, der Erfinder, Autor und Produzent  von “Mad Men” hatte darum eine großartige Intuition, diese Geschichte im Milieu der Werbung anzusiedeln, unter jenen (vorwiegend) Männern der Madison Avenue, die damals den gesellschaftlichen Umbruch zu Geld machten. Und es war auch goldrichtig, die fiktive Agentur Sterling Cooper nicht in der absoluten Avantgarde der so genannten Kreativen anzusiedeln. Die Männer um den gutaussehenden, rätselhaften Don Draper (gespielt von Jon Hamm) müssen zwar damit umgehen, dass die Welt zu neuen Fronten aufbricht. Aber sie gehören ganz offensichtlich selber noch zur alten Mentalität. Sie sind geprägt durch die Härten von Wirtschaftskrise, Zweitem Weltkrieg und Kaltem Krieg. Nun aber bricht eine Zeit an, in der die weichen Werte von Individualismus, Selbstverwirklichung und Gleichberechtigung das kulturelle Klima verändern werden. So sind Don Draper und seine Jungs beauftragt, eine BH-Reklame für Playtex zu entwickeln, die einem neuen, selbstbewußten Frauentyp entspricht. Jede Frau, sagt Don, will Marylin oder Jackie (Kennedy) sein. Nur wenige Jahre später werden BHs öffentlich verbrannt werden. Wir wissen das, aber für Don und seine Kollegen ist undenkbar, dass es jenseits ihrer Projektionen noch andere Modelle von Weiblichkeit geben könnte.
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Don Draper (Jon Hamm, Mitte) in einer typischen Pose, neben ihm die zauberhafte January Jones in der Rolle von Betty Draper   Foto: AMC

Mad Men läßt uns unseren Vorsprung genießen. Wir sehen Schwangere, die bedenkenlos rauchen; weiße Mittelschicht-Männer, die ohne Reue sexistische Witze machen und stolz darauf sind, keine Vertreter irgendwelcher ethnischer Minderheiten in ihrer Mitte zu dulden. Eine Familie beim Sonntagsausflug mit dem neuen Cadillac – eine Idylle. Doch die Kamera ruht einen Moment auf dem Müllberg aus Einwegpackungen, den die Drapers am Ufer zurücklassen.  Matthew Weiner zelebriert die Ferne der frühen Sechziger. Aber er macht sich über niemanden lustig und dämonisiert nicht. Man erschrickt: Wahnsinn, so haben wir (oder unsere Eltern) damals gelebt. Und es schien doch völlig in Ordnung!
Weiner braucht  keine Finsterlinge, um sein Drama zu entfalten. Es gibt auch keinen reinen Sympathieträger. Viele der Charaktere haben eine dunkle, unerlöste Seite. Eben darum wachsen sie einem ans Herz. Sieben Jahre lang hat man Weiners Pilot-Skript abgelehnt, sogar beim Pioniersender HBO, der doch mit den Sopranos bewiesen hatte, dass auch die auf dem Papier denkbar unsympathischste Hauptfigur – der mordende und lügende Mafiaboss Tony – Millionen in seinen Bann ziehen konnte.
Während die Sopranos aber den neureichen Vulgärschick der Mobster von New Jersey zelebrierten, feiert Mad Men die letzte elegante Ära unserer Zeit. Die Männer tragen noch Hüte und Krawatten und kämmen ihre Haare mit Brillantine zurück. Die Frauen modellieren ihre Figuren noch nicht mittels Silikon, Botox und Fitness-Exzessen, sondern durch tadellos geschneiderte Kostüme und darunterliegende Korsagen aus Stoffen, die man offenbar im Mondprogramm erprobt hat. Die Dichte der authentischen Details der Ausstattung ist ein Fest für die Augen und wird manchem, besonders in der BluRay-Fassung, Grund zur Investition in einen besseren Flachbildschirm geben.

Aber die eigentliche Stärke der Serie ist nicht die fast schon fetischistische Reproduktion der Sixties-Oberfläche, sondern die Tiefe der Figuren. Bis weit in die dritte Staffel hinein rätselt man Don Drapers Identität hinterher. Denn offenbar hat er den Namen eines toten Kameraden im Koreakrieg angenommen. Es scheint ein dunkles Geheimnis über seiner Herkunft zu liegen. Warum verheimlicht er seiner Frau Betty, gespielt von der geradezu unheimlich an Grace Kelly erinnernden January Jones, sein früheres Leben? Warum betrügt er sie gewohnheitsmäßig? Betty ihrerseits möchte gerne die perfekte Ehefrau und Mutter sein, aber wir ahnen schon, dass dies immer schwerer wird, je mehr sie über das heimliche Leben ihres Mannes erfährt. Sie will eigentlich nicht hinaus aus dieser Ehe, aber es zerren Kräfte an ihr und ihrem Mann, die stärker sind als das, was dieses Paar zusammenhält.
Wenn Don mit seinem Chef Roger Sterling zum Drei-Martini-Lunch (Steak, Sahnesosse, Pommesfrites) geht und die beiden dabei rauchend über das andere Geschlecht reden (“Was genau wollen Frauen denn nun?” – “Wen kümmerts?”), genießt man diese Orgie der Unkorrektheit. Aber Mad Men zeigt in seinen anrührendsten Momenten auch, wer damals den Preis für die scheinbar unschuldige, von keinem Selbstzweifel ergriffene Ordnung bezahlte. Salvatore Romano, der Grafiker, kann sich selbst und seinen Kollegen die Homosexualität nicht eingestehen. Es gibt ganz einfach kein lebbares Modell für einen bürgerlichen Schwulen wie ihn. Herzzerreißend, ihm und seiner nichtsahnenden Frau zuzusehen, wie sie nicht herauskönnen aus dem Arrangement, in das sie sich verstrickt haben. Peggy Olsen (Elizabeth Moss) schafft es zwar von der Sekretärin zur Texterin aufzusteigen, aber um von ihren Kollegen akzeptiert zu werden, muss sie sich entsexualisieren. Spät erst taucht in der Romanze mit einem älteren, furchtlosen Mann eine Möglichkeit für sie auf, smart und sexy zu sein. Diese beiden finden sich, während die meisten der Mäner und Frauen in Mad Men  erst auseinanderdriften müssen, bevor sich neue Formen des Zusammenlebens finden. Kann das gelingen in dieser Zwischenzeit, wie der Dichter Philip Larkin schrieb “Between the end of the Chatterley ban and the Beatles‘ first LP”?  Die Antwort steht aus, auch heute noch, und darum ist “Mad Men” bei aller historischen Akuratesse die Serie unserer Tage.

 

Wie unsere Kinder uns erziehen

Torsten Harmsen schreibt in der Berliner Zeitung über mein Buch:

In seinem Buch „Bekenntnisse eines schwer erziehbaren Vaters“ schreibt der Zeit-Autor Sätze wie: „Einer der schönsten Genüsse im Leben mit Kindern ist bekanntlich das Wochenende ohne sie.“ Was wie eine Gemeinheit klingt, ist dialektisch gedacht. Denn ohne Kinder hätte man diesen Genuss gar nicht. Das Glück, das man in der hin und wieder errungenen freien Zeit empfindet, wirkt auf die Beziehung zu den Kindern zurück. (…)

„Lieber Papa. Wen du mir nicht 1 Kegs apgipst. Dan Ferschteke ich. Deine Unter Hosen.“ Mit diesem Briefchen seiner Tochter Anna zeigt Jörg Lau, wie irrig die Vorstellung ist, man habe als Eltern die Erziehung im Griff. „Kinder verfügen ziemlich früh über ein ganzes Arsenal von Kniffen, mit denen sie uns steuern“, schreibt er. Doch während andere vor dem Heranwachsen lauter kleiner Tyrannen warnen, sieht Lau im Leben mit Kindern die Chance zu lernen.

(…)

Sein Buch mit dem Untertitel „Wie unsere Kinder uns erziehen“ ist ironisch, unterhaltsam – und zugleich ziemlich philosophisch. Lau schildert die Symbiose, die sich entwickelt, wenn man Familie hat – eine „riskante Lebensform“. Man werde verwundbar. Zugleich schützten einen Kinder bei Krisen. Man sehe die eigenen Eltern anders. Und der Umgang mit den letzten Dingen ändere sich.

Das Buch steckt voller Geschichten zu Fragen wie: Was ist kindgerecht? Wie kombiniert man Freiheit und Verbindlichkeit? Welche Rolle spielen Rituale? Wo darf man lügen? Wie vertragen sich Forderungen und Kritik mit bedingungsloser Liebe? Auch das Loslassen müsse man lernen. „Nur noch ein paar Jahre, und die rätselhaften kleinen Gäste, die eines Tages in unserem Leben auftauchten, werden das Weite suchen“, schreibt Lau am Ende. Doch trotz dieser Wehmut ist es ein ermutigendes, lebensfrohes Buch.

 

John Hughes ist tot

Der Regisseur, Autor und Produzent John Hughes ist tot.
Wenn ich einen seiner wenigen Filme – „Ferris Bueller macht blau“, „The Breakfast Club“ oder „Pretty in Pink“ – wieder ansehe, packt mich ein unbändiges Heimweh nach den großartigen 80er Jahren.
R.I.P.

 

Fast so schön wie Eigenlob

Das rahme ich mir ein! In der NZZ von heute schreibt Heribert Seifert:

„Bei der ‚Zeit‘ kann unter den reinen Text-Bloggern nur Jörg Lau überzeugen, der sich dort ein sachlich spannendes Forum für die disziplinierte argumentative Erörterung der Konfrontation zwischen der islamischen Welt und dem Westen geschaffen hat.“

Im übrigen ist das ja auch ein Kompliment an die zahlreichen Mitblogger hier.

 

DoS-Attacken gegen iranische Regierungs-Websites?

Die offiziellen Websites von Ahmadinedschad und Chamenei, sowie die der Nachrichtenagetur IRNA sind nicht erreichbar. Sie sind offenbar zum Opfer von DoS-Attacken geworden.
Im Netz kursieren Aufrufe der Opposition, sich daran zu beteiligen.
Unter diesem Link erfährt man mehr.

Das Resultat lässt sich besichtigen, wenn man eine der folgenden Websites aufruft:

http://www.khamenei.ir/

http://www.irna.ir/

http://www.leader.ir/

http://www.ahmadinejad.ir/

Alle sind „derzeit nicht erreichbar“.