Ein interessantes Interview mit Fatih Akin auf Sueddeutsche.de. Fast so interessant ist aber die Aufmachung, die die Kollegen zuerst gewählt hatten. Während der Filmemacher nüchtern nach Gründen auf beiden Seiten für die Misere vieler Migrantenkinder in Deutschland sucht, suggeriert der Titel des Interviews etwas ganz Eindeutiges: „Lehrer haben mit Vorsatz Biographien zerstört“ steht da zu lesen. Und zwar haben sie dies angeblich getan, indem sie türkische Kinder einfach aussortierten.
Es gibt in der Tat ein Problem mit schlechter Förderung von Migrantenkindern im deutschen Schulsystem. Aber Akin selbst ist ja ein Gegenbeispiel. Und entsprechend vorsichtig äußert er sich auch dazu:
„sueddeutsche.de: Hatten Sie den Eindruck, dass Kinder mit ausländischem Hintergrund benachteiligt wurden?
Akin: Dieses Argument höre ich in der Bildungsdebatte häufig. Es heißt, ausländische Kinder werden von vorneherein nicht auf ein Gymnasium geschickt, sondern aussortiert. Bei uns traf das glücklicherweise nicht zu. Aber meine Mutter hat mir ständig Horrorgeschichten erzählt von deutschen Lehrern, die Kinder auf die Sonderschule geschickt haben – einfach, weil sie die Sprache nicht gut genug beherrschten. Ich will gar nicht wissen, wie viele Biographien da mit Vorsatz zerstört worden sind.“
Wohlgemerkt: Er hat es nicht selber so erfahren, im Gegenteil. Seine Mutter hat ihm „ständig Horrorgeschichten erzählt“ über die Verdrängung türkischer Kinder auf die Sonderschulen. Und dann läßt er es suggestiv offen – er wolle „gar nicht wissen“, wie viele Biographien zerstört worden seien. Daraus wird also der Website-Aufmacher (heute, 14.45h): Deutsche Lehrer zerstören vorsätzlich Biographien türkischer Kinder!
Ich finde das ziemlich ätzend, liebe Kollegen!
Genauso offenbar einige Leser, nach deren Protest soeben die Überschrift geändert wurde (heute, 14.52h) : „Meine Eltern wußten, wie wichtig Bildung ist“.
Bravo: passt schon viel besser. Das Internet ist doch manchmal ein Klassemedium. Wenn uns im Print eine falsche Überschrift passiert, liegt sie eine Woche lang peinlich herum.
In diesem Fall zeigt sich: Manchmal verstehen die Leser besser was man sagt, als man selbst.
Zurück zum Interview:
„sueddeutsche.de: Was ist da schiefgelaufen?
Akin: Ich glaube auch hier, dass es an den Eltern gelegen hat. Sie haben nicht reagiert, als bei den Kindern der Abstieg begann. Sobald eine Mutter sieht, dass die Leistung ihres Kindes abfällt, ist das ein Alarmzeichen. Sobald ein Schüler eine Fünf bekommt, müssen Eltern analysieren, was schiefläuft und wie sie helfen können. Meine Freunde von damals hatten nicht das Glück wie ich, dass sie Eltern hatten, die den Wert der Bildung verstanden haben.
sueddeutsche.de: Also gibt die Bildung der Eltern den Ausschlag?
Akin: Ja, außerdem ihre Herkunft und ihr soziales Netzwerk. Vielen ausländischen Eltern war die Bildung ihrer Kinder relativ egal – weil sie annahmen, sie würden irgendwann wieder in die Türkei zurückkehren. Meine Eltern haben auch so getickt. Bis ich Abitur gemacht habe, glaubten sie immer noch, dass wir später gemeinsam in ihrem Geburtsland leben würden. Die heutige, dritte Generation der Einwanderer-Kinder hat dieses Problem nicht mehr. Trotzdem schotten sich manche ab.“
Und schließlich lobt Akin den evangelischen Religionsunterricht, denn er freiwillig besucht hat. Der Interviewer fragt, ob er dort missioniert worden sei:
„Nein, ich habe nie Propaganda zu hören bekommen. Im Gegenteil: Ich habe vieles über meine eigene Religion, über den Islam gelernt – aus einem christlichen Kontext heraus. Diese positive Erfahrung hing natürlich auch mit den Lehrern zusammen. Aber es hat mir gezeigt: Ein Teil des Bildungssystems funktioniert.“