Zaghaft, vorsichtig, aber immerhin beginnt eine Debatte unter deutschen Muslimen über die Mißstände, die ihnen seit langem von aussen vorgehalten werden.
Einen mutigen Ansatz zur Selbstkritik und zur Öffnung der innerislamischen Streitkultur macht Mohamed Laabdalloui, der Redakteur des Internet-Auftritts des Zentralrats der Muslime, www.islam.de. „Wovor fürchten wir uns?“ fragt er, „um das Kopftuch geht es längst nicht mehr“:
„Wir müssen einräumen, dass es Zwangsverheiratung, Entmündigung, Benachteiligung gibt. Auch wir beobachten die Frauen, die im Abstand von fünf Metern ihren Männern folgen, manchmal dabei auch noch die schwere Einkaufstüte tragend, während der Mann außer einem Rosenkranz oder einer Zigarette nichts trägt. Auch wir müssen zugeben, dass die Zustände im Afghanistan der Taliban voller Entwürdigung und Demütigung der Frauen war. Es stimmt, dass wir sagen, dass diese Verhältnisse uns Muslime zutiefst schmerzen, dass wir sie ablehnen, gerade weil wir Muslime sind. Und es stimmt, dass wir uns in einem ungleichen Kampf gegen die Macht der Medien und Vorurteile dagegen wehren, dass der Islam, den wir so lieben und verehren, oft gegen besseres Wissen mit diesen Zuständen gleichgesetzt wird. Es stimmt, dass die Berichterstattung oft sensationsfixiert übertreibt, aus Einzelfällen algemeingültige Bilder produziert, die Dinge einseitig darstellt und verzerrt. Aber der Islam ist zu anspruchsvoll, als dass wir alles damit abtun könnten. Wir machen es uns zu einfach, viel zu einfach, wenn wir behaupten, das eigentliche Problem bestehe in den Medien, nicht in unserer Wirklichkeit.“
Und weiter:
„Zum Beispiel die unselige Zeit der Taliban in Afghanistan: Wir Muslime waren nicht diejenigen, die sich die Widerherstellung der Menschenwürde der Frau – und auch des Mannes – auf die Fahnen geschrieben hätten. Hatten wir Angst, unseren Brüdern am Hindukusch in den Rücken zu fallen, wo sie sich noch wenige Jahre zuvor so vorbildlich gegen den russischen Imperialismus gestellt hatten? Oder hatten wir gar Angst, uns und der Welt einzugestehen, dass ein Volk, dass sich für den Islam entschieden hat, nicht gleich auch eine ‚beste Umma‘ ist?
Zum Beispiel die Zwangsverheiratung türkischer Mädchen mit Männern, die sie nicht kennen und nicht wollen. Wir, ich meine damit die praktizierenden Muslime und seine Apologeten, die Moscheen, Prediger und islamischen Organisationen, wir waren es nicht, die das Problem aufgegriffen hätten, zum Beispiel in Freitagspredigten, wo wir es wahrscheinlich effektiver als Andere hätten bekämpfen können. Wir haben darauf gewartet, dass darüber von anderen Romane und Studien verfasst und Reportagen ausgestrahlt wurden. Erst dann riefen wir, der Islam kenne die Zwangsheirat nicht. Zu spät. Pfiffigere Leute waren da längst sogar mit erlogenen Autobiografien zu Helden im Kampf gegen den ‚archaischen Islam‘ geworden.
Schließlich noch das Beispiel des Siebenmeterabstands: Wir haben zu diesem Thema keine Satiren verfasst, keine Theatersketche aufgeführt und keine statistischen Erhebungen gemacht. Wir warten darauf, dass das Thema im Kabarett des deutschen Fernsehens aufgegriffen wird, vielleicht so unsensibel, dass es uns verletzt und wir auch dazu aufgeregt Stellung beziehen und sogar demonstrieren. Diese Beispiele haben zwar nicht alle etwas mit dem Kopftuch zu tun, sind aber das, was andere in die Welt des Kopftuchs projizieren und was wir uns anrechnen lassen müssen, weil wir es so gern verdrängen.“
Ich finde zwar, man hätte den kleinen Tritt gegen die „pfiffigen Leute“ lassen sollen, die mit ihren Zwangsverheiratungsbüchern Geld verdienen, aber davon abgesehen sind das bemerkenswerte neue Töne. Vor allem lässt die Tatsache hoffen, dass Satire hier ausdrücklich erwünscht wird.