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Papst nimmt Islamisten und Nationalisten in der Türkei den Wind aus den Segeln – er ist jetzt für den EU-Beitritt

 

Update 29.11.:

Nun ist die türkischen Öffentlichkeit perplex:

Der Papst ist für den EU-Beitritt!

Behauptet jedenfalls Erdogan nach seinem informellen Treffen auf dem Flughafen, das eigentlich eine Brüskierung darstellte.

Mehmet Yilmaz, Kolumnist der Hürriyet, spricht davon, dass Erdogan eine Chance für die Türkei verpasst habe. Man werde in der internationalen Berichterstattung trotz des Zusammentreffens weiterhin davon sprechen, dass Erdogan den Papst „gezwungenermaßen getroffen“ habe.

Der Kreuzzugspapst wünscht also den Türken alles Gute auf dem Weg in die EU! Wer hätte das gedacht.

Sehr peinlich für den lautstarken rechten Rand der türkischen Öffentlichkeit.

Der Papst hat sogar, wie die Zeitung Sabah vermerkt, auf das offene Tragen des Kreuzes verzichtet, als er in Ankara ankam.

Die islamische Zaman bescheinigt dem Papst nun eine „konstruktive Haltung“ und ferut sich über seine „warmen Worte“ über den Islam.

Millyet geht von der Hysterie vor dem Papst-Besuch gleich zum Selbstlob über:
Der bekannte Kolumnist Güneri Civaoglu fragt, welches andere muslimische Land der Papst derzeit besuchen könne, in welchem Land er vom Ministerpräsidenten einer muslimischen Partei empfangen werden könne. Und in welchem anderen muslimischen Land er sich mit den religiösen Würdenträgern zusammensetzen und auch Moscheen besuchen könne. Damit zeige die Türkei der westlichen Welt, welchen „enormen Unterschied“ das Land ausmache und wie es sich um einen „Ausgleich der Zivilisationen“ bemühe.

Da sollte man denn wohl auch den beitrag des Papstes erwähnen:

Er hat sich vor Atatürk verneigt (einem Säkularisten!), er hat den Islam eine „Religion des Friedens“ genannt, und er hat sich geduldig angehört, wie Ali Bardakoglu, der Chef des Dyanet (der türkischen Religionsbehörde), ihn noch einmal unverhohlen für die Regensburger Rede kritisierte.

Er hat seinen Willen zu einem „aufrichtigen Dialog“ bekundet und die Türkei für eine Religionsfreiheit gelobt, die es de facto in dem Land nur sehr eingeschränkt gibt. Sogra von einer „Liebe“ zur Türkei war die Rede.
Das sollte vielleicht vorerst reichen, um die „Kränkung der Muslime“ (Bardakoglu) auszubügeln.
Update vom 28.11.:

Heute versuchen alle massgeblichen türkischen Blätter, die Aufregung der letzten Tage wieder einzufangen (siehe unten). Nur die rechtsradikal-islamistische Vakit hetzt weiter. Und auch die Milli Gazete , die der Saadet Partei nahesteht, bläst weiter ins Horn. „Erzwungener Besuch“ titelt Vakit. „Wir wollen eine Entschudligung“, heisst es in der Milli Gazete.

Hürriyet, das grösste Massenblatt, geht hingegen bemerkenswert forsch auf Gegenkurs: Der Kolumnist Mehmet Yilmaz wundert sich über die neusten Verschwörungstheorien, die unterdessen im Umlauf sind: Der Papst werde während seines Besuchs der Blauen Moschee anfangen zu beten und damit die Moschee zu einer Kirche machen.

Dabei erinnert Yilmaz an den Besuch Papst Paul VI., der auch während seines Besuchs in der Moschee gebetet habe. Sehr bitter sei es zu sehen, was im Namen des Islam seit 1967 passiert sei, so dass den Menschen mit einem Gebet Angst gemacht werden könne.

Vor dem Hintergrund der „unsäglichen und fanatischen“ Demonstrationen freut sich Hürriyet-Chefredakteur Ertugrul Özkök in seiner Kolumne, dass Erdogan sich von solchen Leuten in den vergangenen Jahren losgesagt habe und sich sogar jetzt als einer der Vorreiter des Dialogs zwischen den Religionen profiliert.

Sabah macht heute mit einem freundlichen „Benvenuto“ auf und würdigt, dass der Papst die Blaue Moschee besuchen werde.

Allerdings meint der Chefredakteur der Zeitung, Fatih Altayli, dass Benedikt XVI. daran interessiert sei, dass es zu einer Frontstellung zwischen dem Islam und dem Christentum komme. Deshalb komme es dem Vatikan entgegen, dass es in der Türkei zu unschönen Demonstrationen gekommen sei. (So wird man dann schnell wieder zum Opfer!) Er sei „willkommen“, solle aber danach wieder gehen, so Altayli.

In der liberalen Zeitung Radikal wird immerhin vorgeschlagen, die Hagia Sophia für Gottesdienste sowohl von Christen als auch Muslimen zu öffnen.

In Türkiye wird der Justiminister Cicek zitiert, der den Papst-Besuch als Chance beschreibt und betont, dass es auch auf die Botschaften und Erklärungen ankommt, die „von hier abgegeben werden“.

Die regierungsnahe YENI SAFAK weiß zu berichten, dass Ali Bardakoglu, Präsident des Amtes für religiöse Angelegenheiten, dem Papst bei ihrem Zusammentreffen erläutern werde, dass der Islam eine „Religion des Friedens“ sei.
Die Proteste gegen den Papst-Besuch in Istanbul haben vor allem dies erreicht: Sie haben das Maulheldentum der türkischen religiösen Rechten mal wieder entlarvt.

Eine Million Demonstranten hatte die Saadet Partei (SP) angekündigt. Am Ende kamen nur etwa 15.000.

Die Zeitung Hürriyet, das größte Massenblatt der Türkei, machte sich denn auch gestern über den mickrigen Auflauf lustig.

Trotzdem bleibt die Erregbarkeit dieses Teils der türkischen Öffentlichkeit besorgniserregend: Viele der Parolen, unter denen die Demonstranten sich sehen liessen, waren unwürdig. Schon das Motto setzte den Ton: „Der Papst ist nicht willkommen!“

Der Ministerpräsident Erdogan scheint den Ernst der Lage – wenn auch spät – verstanden zu haben. Er kann den lautstarken Ultras im islamisch-nationalistischen Lager nicht überlassen, den Ton während des Papst-Besuchs zu bestimmen.

Und so entschloss er sich, Benedikt doch nicht die kalte Schulter zu zeigen (er hatte eigentlich seine Anwesenheit beim NATO-Gipfel in Riga vorgeschützt, um den Papst nicht empfangen zu müssen). Erdogan heisst den Papst heute am Flughafen willkommen.
Recai Kutan, Vorsitzender der Glückseligkeitspartei (SP) bezeichnete bei seiner Ansprache den Papst als „Vertreter des Imperialismus, der den Propheten Mohammed als Terroristen beschimpft“.

Daran ist aber auch gar nichts richtig. Wird einer der sonst so regen türkischen Staatsanwälte – jedenfalls wenn es um die „Beleidigung des Türkentums“ geht – Anklage wegen Volksverhetzung erheben?
Der frühere islamistische Ministerpräsident Erbakan behauptete, der Papst „missachte das türkische Volk“ und wolle mit seinem Besuch in der Hagia Sofia die „Eroberung Istanbuls leugnen“.

Wie bitte? Der Papst wird sich mit einem Besuch der benachbarten Blauen Moschee vor dem Islam Istanbuls verneigen.

Und natürlich durfte das Lieblingsmotto der Christenhasser-Propaganda nicht fehlen: Der Papst führe „die Allianz der Kreuzfahrer“ an.

Auf Plakaten war Benedikt in Ritterrüstung zu sehen – was ziemlich albern wirkt bei diesem typisch deutschen Professor, dessen einzige Lanzen und Pfeile historische Zitate und spitze Fussnoten sind.

Es ist in der Türkei offenbar vergessen, dass der Vorgänger dieses Papstes von der Hand eines Türken – Mehmet Ali Agca – beinahe ermordet worden wäre. Und dass Johannes Paul II. die fast übermenschliche Grösse hatte, seinem Attentäter bei einem persönlichen Gespräch zu vergeben.

Wenn nun der Nachfolger dieses Papstes zu einem Pastoralbesuch kommt, um die bedrängte orthodoxe Minderheit zu würdigen, sollte eigentlich statt hysterischer natiolnal-islamistischer Propaganda eine gewisse Demut zu erwarten sein – Regensburg hin oder her.

Stattdessen schreiben sich die Kommentatoren in Rage. Sie fühlen sich wohl, wenn sie Türken und Muslime als verfolgt, missverstanden und bedrängt hinstellen können.

So meint der Kolumnist der Zeitung SABAH, Erdal Safak, dass „wir es mit einem kriegerischen Papst zu tun haben“. Seit der Eroberung Konstantinopels durch Fatih Sultan Mehmet habe es keine derart wichtige Begegnung gegeben, wobei der Papst in seinen Vorurteilen dem Islam gegenüber den Kreuzzüglern nicht nachstehe.

Auch der ehemalige Ministerpräsident Demirel, der in der Kolumne Yavuz Donats in der SABAH zitiert wird, bemüht den historischen Vergleich. So habe Fatih bei der Eroberung Konstantinopels nur sechs von 26 Kirchen zu Moscheen umfunktioniert, „die anderen hat er nicht angerührt. Das ist Toleranz!“

Und wie sieht es heute aus: In Istanbul stehen zwei zum Christentum Konvertierte vor Gericht, weil sie durch Ihren Akt die „Würde des Türkentums“ beleidigt haben sollen.

Auch wenn die Demonstranten nur wenige waren: Die immer engere Verbindung von Nationalismus und Islamismus in der derzeitigen Aufgeregtheit der türkischen Debatte ist Anlass zur Sorge.

Das nationalistische Boulevardblatt AKSAM zitiert Ali Bardakoglu, Präsident des Amtes für religiöse Angelegenheiten, der den Besuch des Papstes als „wichtig“ empfindet, aber nicht dran glaubt, dass dadurch die „Kränkung der islamischen Welt“ aufhören wird.

Ach ja, die Kränkung der Muslime! Man kann es einfach nicht mehr hören! Wie kann man nur einerseits immer auf Stolz, Ehre und Würde setzen – und andererseits immer wieder den Gekränkten und Beleidigten geben – eine reichlich unwürdige Haltung?

Übrigens ist dieser Herr Bardakoglu, der da mit der „Kränkung der islamischen Welt“ herumzündelt, als türkischer Religionsminister – vermittelt durch die Ditib – auch für die Mehrzahl der Moscheen in Deutschland zuständig.