Atheisten haben es schwer im Klima der neuen Religiosität. Der Glaube spielt weltpolitisch eine grosse Rolle – sei es in Form des Evangelikalentums, des revitalisierten Katholizismus oder des islamischen Bruderkampfes zwischen Reformern udn radikalen (oder zwischen Sunniten und Schiiten). Was wird da aus den Gottlosen?
Der vollständige Name Gottes, vom spanischen
Kabbalisten Abulafia grafisch aus 72 Kurzformen
zusammengestellt Abb.: Jüdisches Museum
Zwar glauben immer weniger Menschen an Gott, aber die meisten sind nur lauwarme Gottlose aus Metaphysik-Müdigkeit und könnten kaum begründen, warum sie nicht glauben. (Auch interessant, dass sich hier die Beweislast verschoben hat!)
Eine unzeitgemässe Betrachtung des Scharfdenkers Burkhard Müller im neuen Merkur (hier online) verspricht Abhilfe. Warum wir das Konzept Gott nicht brauchen, ist lange nicht mehr so selbstbewusst dargelegt worden:
„Daß es etwas gibt und nicht vielmehr nichts, ist das große Wunder überhaupt. Alle weiteren Merkwürdigkeiten, bis hin zum Dasein der Lebewesen und des Menschen, treten dahinter als dessen bloße Modifikationen zurück. Die Welt schreit nach einer Begründung und Erklärung. (…)
Alles was ist, will erklärt werden, und jede Erklärung dreht sich auf dem Absatz um und bietet sich als neues Rätsel dar.
Hier nun scheint es sich sehr zu empfehlen, daß man festsetzt: Es war Gott, der die Welt erschuf. Damit hebt die Heilige Schrift an. Welche Aufgabe fällt dabei Gott zu? Er soll den unendlichen Regreß der Fragen zum Stillstand bringen. Aber das vermag er letztlich nur dadurch, daß er als das begriffgewordene Frageverbot auftritt. Gott ist, was nicht weiter begründet werden muß und erklärt werden kann, was da ist. An Gott glauben, heißt das so haben wollen; Gott lieben, es als Erleichterung zu empfinden. Nimmt man die Sache aber einmal nicht psychologisch, sondern logisch und ökonomisch, so wird man bemerken, daß man dasselbe Ergebnis bedeutend preiswerter haben könnte: Man sieht Gott nicht, man muß eigens Mut zum Unsichtbaren fassen und ihn glauben. Das kostet Kraft. Bliebe man beim Sichtbaren und wäre man bereit, dessen starre Majestät anzuerkennen und auf sich beruhen zu lassen, so hätte man es ebenfalls mit der Unzugänglichkeit des Urrätsels zu tun, jedoch bei deutlich geringerem Aufwand an Ehrfurcht und Behauptungsenergie.
Wer an Gott glaubt, findet genau genommen nicht nur eine unerklärte Grundtatsache vor, sondern gleich deren drei: zunächst Gott selbst; dann den von ihm ausgehenden Schöpfungsimpuls (denn warum sollte der Erhabene sich zu dieser kleinteiligen Bastelei herablassen?); und schließlich das Mißverhältnis des vollkommenen Urhebers zu einem Produkt, das hängt und klemmt an allen Enden. Platon hat das Problem, daß ein vollkommener Gott die unvollkommene Welt geschaffen haben soll, gespürt und die Zwischeninstanz seines Demiurgen eingeführt, des Handwerkers, dem die Schaffung der Welt von Gott übertragen wurde – das heißt die Frage hierarchisch, gewissermaßen auf dem Dienstweg, überspielen wollen. Funktionieren kann es nicht.“