Wird denn nun bald eine Kopftuchträgerin zur Deutschen Islamkonferenz gehören? Und warum ist nicht längst eine dabei?
Diese prickelndste Frage wussten die Teilnehmer des zweiten Plenums unter Vorsitz von Innenminister Wolfgang Schäuble nicht zu beantworten. Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu, der heute selbst durch Abwesenheit glänzte, hatte sie aufgeworfen, indem er seinen Sitz einer „Neomuslima“ zur Verfügung stellte, die „das Schamtuch“ trägt, wie der Autor vornehm formulierte.
Sein Sitz blieb leer, und die Frage, wo denn die Kopftuchträgerinnen sind, wanderte hinüber zu Ayyub Axel Köhler, dem Sprecher des neuen „Koordinationsrates der Muslime“. Warum bietet seine Organisation, die immerhin beansprucht, die Mehrheit der Muslime zu vertreten, keine Frau, gerne mit Kopftuch, als Repräsentantin auf? Oh, man habe tatsächlich viele Frauen im Zentralrat, dem er vorstehe, so Köhler. Aber ein schweres Amt wie das eines Sprechers bringe ja viele Reisen mit sich, und da müsste eine Frau ja ihre Familie vernachlässigen…
Danke, Herr Köhler, keine weiteren Fragen.
Ayyub Axel Köhler und Wolfgang Schäuble
McDougall/AFP/Getty Images
Die Deutsche Islamkonferenz zeigte sich auch nach der zweiten Plenarsitzung als Glücksfall: Nicht etwa, weil nun schon sehr viele konstruktive Ideen vorgestellt werden konnten, wie die Einbürgerung des Islams in Deutschland (und ins deutsche Staatskirchenrecht) gelingen könnte. Es wäre auch sehr viel erwartet, nach diesen 6 Monaten, die 40 Jahre der Verleugnung aufzuarbeiten haben.
Das Gute liegt nicht in einem Konsens, den man kaum erwarten kann, sondern vielmehr im Streit.
Es geht nämlich vielmehr um die Dekonstruktion all der eingefleischten Ideen und Vorurteile, die nicht nur Nichtmuslime über den Islam hegen. Erst dann kann etwas Neues entstehen. Herrn Köhlers Frauenbild wird denn wohl auch nicht unwidersprochen bleiben bei den nächsten Sitzungen.
Unter den Muslimen, die sich an dem Prozess beteiligen, ist eine lebhafte Debatte entbrannt, wer sich mit Recht Muslim nennen darf, wer für welche anderen Muslime sprechen darf – und wer für die sprechen darf, die manchem nicht mehr als Muslime gelten und trotzdem Muslime bleiben wollen.
Säkulare Menschen, die aus muslimischen Ländern kommen, wollen mitreden über den Islam. Das ist sehr gut so: Denn die Säkularen, die sich der islamischen Kultur und Geisteswelt verbunden fühlen, machen Gebrauch von einer Freiheit, die sie nur im Westen haben – den Islam im Lichte ihrer Erfahrungen zu verändern.
Oft wird das mit dem Argument abgewehrt, die Kirchen würden auch nicht mit Ungläubigen über den Glauben verhandeln. Das ist eine schiefe Analogie, weil der Islam sehr viel mehr auch Politik, Kultur und Sitte ist als unser heutiges Christentum, das durch Jahrhunderte der Säkularisierung tendenziell zur „reinen Religion“ geworden ist (obwohl wir die Reinheit unseres Säkularismus auch oft genug unterschätzen).
Es ist also sehr berechtigt, den Begriff des Islam für eine solche Konferenz weit zu fassen und nicht nur mit den organisierten Veränden zu reden.
In der Religionsfreiheit des Westens kann auf diese Art – durch die Debatten wie in der Islamkonferenz – ein Islam entstehen, der Freiheit, Individualität und Innerlichkeit nicht nur anerkennt, sondern sich auch zueigen macht.
Der deutsche Staat kann sich diesen Islam nicht backen. Er kann ihm nur ein Forum bieten, und das ist die Islamkonferenz.
Dies wurde am Ende der Pressekonferenz mit dem Innenminister sehr deutlich, als die im KRM zusammengeschlossenen Verbände Anspruch darauf erhoben, auch die Aleviten bei sich zu repräsentieren. Der Vorsitzende der Alevitischen Gemeinde in Deutschland, Toprak, liess sich das nicht bieten, und beharrte auf der Eigenständigkeit seines Glaubens gegenüber Sunniten und Schiiten.
Der Binnenpluralismus des Islam – Orthodoxe, Säkulare, Frauen, Männer, Türken, Konvertiten, Araber, anatolische Aleviten – wird unabweisbar deutlich. Manchmal geradezu zum Erstaunen für die islamischen Vertreter, die sich selbst noch daran gewöhnen müssen. Kein geringes Verdienst der Islamkonferenz, wenn auch ein paradoxes, denn seit langer Zeit hat man gefordert, es solle eine Vertretung her, die auch mit einer Stimme spricht.
Schäuble verteidigte abermals seine Entscheidung, mit vom Verfassungsschutz beobachteten Organisationen wie Milli Görüs zu reden: „Wir wollen diese Organisationen – oder die Menschen darin – für unsere Ordnung gewinnen.“
Und Ayyub Axel Köhler forderte eine Road Map für die kommenden Sitzungen. Man müsse „konkrete Ziele“ ins Auge fassen. Den Verbandsvertretern ist der streitbeladene Prozess unangenehm: Sie müssen wie noch nie mit ihren Kritikern zusammen sitzen und mit Menschen, die für sich in Anspruch nehmen, selber zu definieren, was der Islam für sie bedeutet.
Sie würden die Sache verständlicher Weise gerne abkürzen, sich am liebsten gleich den Status als Religionsgemeinschaft abholen und weiterhin in Ruhe gelassen werden. So wird es zum Glück nicht laufen, und am Ende werden die Verbandsvertreter feststellen, dass das auch für sie gut ist.