Aus der Printausgabe von diesem Donnerstag:
Vom Trotzkisten zum Kämpfer gegen den »Islamofaschismus«: Wie der New Yorker Intellektuelle Norman Podhoretz die Bush-Regierung auf die Bombardierung Irans einschwören will – und warum er Erfolg haben könnte
Der Präsident redet vom Weltkrieg, und selbst seine Sprecher sind erschrocken. Es sei bloß eine »rhetorische Bemerkung« gewesen, ließ das Weiße Haus verlauten, dass George Bush den »Dritten Weltkrieg« an die Wand gemalt hatte, als Russlands Präsident Wladimir Putin vergangene Woche bei seinem iranischen Kollegen Machmud Ahmadineschad zu Gast war. Doch das apokalyptische Bild ist George Bush nicht in der Hitze des Augenblicks zugeflogen. Es hat eine lange Vorgeschichte, die bis ins Jahr 2001 zurückreicht. Seither nämlich arbeiten einflussreiche außenpolitische Köpfe daran, dass der Präsident der Vereinigten Staaten den Konflikt, der mit den Anschlägen des 11. September ausbrach, nicht nur als »Krieg gegen den Terrorismus«, sondern als veritablen »Weltkrieg« deklarieren solle.
Niemand hat dafür so unermüdlich getrommelt wie der 77-jährige New Yorker Intellektuelle Norman Podhoretz, einer der Gründerväter des Neokonservatismus. Seit Jahren propagiert er in Essays, Interviews und nun auch in einem Buch die Lesart, dass die USA sich längst schon in einem neuen Weltkrieg befinden. Als Erster hatte Eliot Cohen, ein neokonservativer Pentagonberater, bereits im November 2001 im Wall Street Journal den 11. September als Menetekel des »Vierten Weltkriegs« gedeutet. Warum »Vierter Weltkrieg«? Die Neokonservativen sind Bush um einen Zähler voraus, weil sie bereits den Kalten Krieg als den dritten rechnen. Der ehemalige CIA-Chef James Woolsey nahm 2002 den Ball auf und benannte den Feind in diesem Kampf: die schiitischen Islamisten Irans, die »Faschisten« der irakischen Baath-Partei und die sunnitischen Terroristen der al-Qaida. Newt Gingrich, der ehemalige Mehrheitsführer im US-Kongress, forderte Präsident Bush im vergangenen Jahr auf, den israelischen Libanonkrieg zu einer Schlacht in jenem Weltkrieg zu erklären.
Doch Norman Podhoretz wurde der einflussreichste Propagandist des Vierten Weltkriegs. Podhoretz hat Jahrzehnte im intellektuellen Dunstkreis der Macht verbracht. Als jahrzehntelanger Herausgeber der Zeitschrift Commentary gehörte er zur ersten Generation von Neokonservativen – jenen Konvertiten, die sich, enttäuscht von der Linken, nach rechts gewendet hatten. Die meisten von ihnen waren Juden, viele waren Ex-Trotzkisten. Im Kalten Krieg waren sie zu außenpolitischen Falken, innenpolitischen Deregulierern und zu eingeschworenen Feinden der Kulturrevolution der Sechziger geworden. Podhoretz mit seiner legendären Streitlust war stets ihr lautester Wortführer. Mit dem früheren US-Präsidenten Ronald und dessen Frau Nancy Reagan verband ihn eine Freundschaft; George W. Bush verlieh ihm 2004 die Presidential Medal of Freedom, die höchste Auszeichnung für einen Zivilisten. Das war, wie sich zeigen sollte, mehr als eine Anerkennung für alte Verdienste.
Im Frühling 2007 wurde Norman Podhoretz zu einem Gespräch unter sechs Augen ins New Yorker Hotel Waldorf Astoria geladen. Dort durfte er dem Präsidenten und seinem damaligen Berater Karl Rove 45 Minuten lang darlegen, warum es an der Zeit sei, Iran zu bombardieren. Der Präsident sei »sehr ernst« gewesen und habe die meiste Zeit zugehört, erzählte Podhoretz im September der Londoner Times. Nur einmal seien Bush und Rove in lautes Lachen ausgebrochen: als er, Podhoretz, die Verhandlungen über UN-Sanktionen gegen Iran als den Versuch bezeichnet habe, »der Sinnlosigkeit eine Chance« zu geben. Das Weiße Haus ließ Podhoretz gewähren, als er das inoffizielle Treffen im Waldorf publik machte, um sein soeben erschienenes neues Buch zu bewerben. Es trägt den Titel: Der Vierte Weltkrieg. Der lange Kampf gegen den Islamofaschismus.
Wurden die ersten drei Weltkriege gegen Imperialismus, Faschismus und Kommunismus geführt, so steht Amerika nun gegen den »Islamofaschismus«: Mit der iranischen Revolution ist diese Kraft auf die Bühne der Weltgeschichte getreten, als Terror der schiitischen Hisbollah in Beirut 1983 hat sie erstmals die USA getroffen, mit Saddam Hussein zeigte sie sich als Erbe Hitlers und Stalins zugleich, und durch al-Qaida erfasste sie die sunnitische Welt mit einer revolutionären Befreiungsbotschaft. Der Afghanistankrieg, der Irakkrieg, der israelische Libanonkrieg und der Streit um das iranische Atomprogramm sind in dieser Sicht nur verschiedene Fronten in einem einzigen großen Kampf. Nach Osama bin Laden bildet der iranische Präsident Machmud Ahmadineschad die Speerspitze des Islamofaschismus. »Wie Hitler«, schreibt Podhoretz, »ist er ein Revolutionär, dessen Ziel im Umsturz der internationalen Ordnung besteht.« Und darum muss, wer den Islamofaschismus besiegen will, nach dem Fall Kabuls und Bagdads gegen Teheran ziehen.
Der Begriff »Islamofaschismus« planiert die Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten im Irak, zwischen säkularen Tyrannen wie Saddam Hussein und messianischen Führern wie bin Laden. Er ignoriert die Interessengegensätze zwischen den wahhabitischen Herrschern Saudi-Arabiens und ihren persisch-theokratischen Herausforderern, und er unterscheidet nicht zwischen lokalen Widerstandsgruppen und dem globalen Dschihadismus. Der angenehme Nebeneffekt für die Bushisten: Das Desaster im Irak erscheint im Licht des titanischen Menschheitsringens höchstens noch als kleiner Rückschlag.
Warum überhaupt Rückschlag? Sind die täglichen Massaker der Aufständischen im Irak, fragt Podhoretz, nicht in Wahrheit »ein Tribut an die enormen Fortschritte, die bei der Demokratisierung und Vereinigung des Landes unter einem arbeitsfähigen föderalen System gemacht wurden«? Warum denn sonst würde der »Widerstand« wohl so viel Blut vergießen, wenn er nicht überzeugt wäre, dass die US-Mission im Irak gelingt? Die Rede vom Weltkrieg gegen den Islamofaschismus dient auch dazu, die innenpolitischen Gegner ins moralische Zwielicht zu rücken. Wenn wir vor einem »neuen München« stehen, wie Podhoretz behauptet, dann werden Befürworter der Diplomatie zu Wiedergängern der »Appeasement«-Politik von 1938, die Hitler freie Bahn geschaffen hat.
Präsident Bush macht sich zwar Podhoretz’ Weltkriegs-Zählweise nicht zu eigen, indem er vom Dritten Weltkrieg spricht. Aber auch er definiert die iranischen Nuklearambitionen nun nicht mehr nur als »Gefahr für den Weltfrieden«, sondern als Element eines größeren Kampfes. Zugleich zieht er mit der Einführung der Weltkriegsmetapher die rote Linie für Iran enger: Galt bisher der Erwerb der Bombe als »unakzeptabel«, so sieht Bush nun bereits den Erwerb des nukleartechnischen Wissens durch Iran als mögliche Schwelle zum »Weltkrieg«.
Während der Präsident aber noch warnt, ein Weltkrieg müsse vermieden werden, sehnt Podhoretz die Stunde herbei, in der er endlich offen und ohne Zurückhaltung ausgefochten wird. Mögen andere sich gegen die Bezeichnung »Kriegshetzer« wehren – Podhoretz steht jenseits solcher Ehrpusseligkeit. Er lebt aus einem Gefühl der Stärke, das sich seit eh und je am Erschrecken der »feigen Liberalen« weidet. Er sieht das Entsetzen im Auge seines Gegenübers als Beweis, dass er richtig liegt. Und so legt er immer weiter nach: Sein jüngster Aufsatz »Argumente für die Bombardierung Irans« (Commentary, Juni 2007) endet mit den Worten, er »bete als Amerikaner und als Jude mit ganzem Herzen dafür«, dass Präsident Bush »es tun« werde. Vor Ahmadineschads Besuch in New York ließ Podhoretz in mehreren Interviews wissen, er sei sicher, dass Präsident Bush Iran vor dem Ende seiner Amtszeit bombardieren werde. Und im Fernsehen sagte er: »Wenn wir Iran bombardieren – und ich hoffe und bete, dass wir es tun –, wird dies eine Welle des Antiamerikanismus auslösen, gegen die der Antiamerikanismus, den wir bis jetzt ertragen haben, ein Liebesfest sein wird.« In Podhoretz’ Logik wäre auch dies wieder nur ein weiteres Zeichen dafür, dass der Sieg im Vierten Weltkrieg näherrückt. Denn mehr Antiamerikanismus kann nur bedeuten, dass Amerika mehr denn je das Richtige tut.
Podhoretz genießt den Schrecken, den die Ungeheuerlichkeiten auslösen, die er betont lässig und stoisch vorbringt. Entlarvungsgesten prallen an ihm ab: Er spielt ganz offensiv und lustvoll die jüdische Karte und inszeniert sich als letzte Hoffnung Israels gegen die »Appeaser« des »Islamofaschismus«. Gerade in jüdischen Kreisen ist Podhoretz darum umstritten: Die Mehrheit der liberalen Juden in Amerika, die loyal zu Israel stehen und gerade darum die Nahostpolitik der Bush-Regierung mit Sorge sehen, empfindet seine Position als Anmaßung. Was Podhoretz wiederum als Bestätigung verbucht: ein perfekt geschlossenes System.
Manche Einlassungen von Podhoretz deuten auf Realitätsverlust hin: In seinem Buch erklärt er, der Meinungsstreit um den Irakkrieg sei »kein Stück weniger blutig als derjenige, den unsere Truppen im Nahen Osten kämpfen«. Es handele sich dabei schließlich ebenfalls »um eine Art Bürgerkrieg«. Mancher würde ihn wegen solcher Äußerungen gern als »zunehmend einsamen Mann« abtun, der mit »ideologischer Blindheit« (so der New Yorker Publizist Ian Buruma) geschlagen ist. Podhoretz ist zwar ein typischer Upper-East-Side-Intellektueller zwischen Pomp und Hysterie, wie man sie aus Woody Allens Filmen kennt. Aber zugleich ist er ein in den Washingtoner Machtsphären gut vernetzter Mann, auf den immer noch gehört wird.
Vielleicht sind die Nachrufe auf den Neokonservatismus, die angesichts der Lage im Irak verfasst wurden, zu früh geschrieben worden. Wer schon glaubte, die revolutionäre Außenpolitik der Neocons sei ein Opfer des Irakkriegs, sollte die Präsidentschaftskampagne des früheren New Yorker Bürgermeisters Rudy Giuliani im Auge behalten. Norman Podhoretz ist seit Kurzem dessen außenpolitischer Berater.