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Bischof Huber: Rettet den Sonntag, um der Freiheit willen

 

Ich habe mit dem EKD-Ratsvorsitzenden Bischof Wolfgang Huber ein Gespräch über den Sonntag geführt. Zugleich mein Beitrag zu unserer morgigen Titelgeschichte: „Rettet den Sonntag!“ Hier die ungekürzte Fassung.

Die Zeit: Herr Bischof, immer mehr Menschen arbeiten am Sonntag. Das ist eine Gefahr für das Kerngeschäft der Kirchen, das am Sonntag stattfindet. Klagt die Kirche darum jetzt in Karlsruhe gegen die verkausfoffenen Sonntage?
Bischof Wolfgang Huber: Natürlich ist mir der Gottesdienst am Sonntag sehr wichtig. Als Kirche halten wir uns an das Gebot, „Du sollst den Feiertag heiligen“. Aber in der Verfassungsbeschwerde geht es uns nicht um die Sicherung kirchlicher Interessen, sondern um die Gewährleistung der Religionsfreiheit und damit verbunden um den Schutz der Sonn- und Feiertage insgesamt. Denn dagegen verstößt es, wenn in Berlin die Geschäfte an zehn Sonn- und Feiertagen geöffnet sein können, darunter an allen Adventssonntagen. Man muss dennoch hinzufügen: In Berlin werden die Läden teilweise schon nicht mehr so lange geöffnet, wie es möglich wäre, weil sich das gar nicht rechnet. Und nicht einmal die Befürworter einer völligen Freigabe des Sonntags streben an, dass alle am Sonntag arbeiten sollen. Der Sonntag muss im Grundsatz ein allgemeiner freier Tag bleiben. Wo liegt eine vernünftige Grenze, die noch damit vereinbar ist, dass der Sonntag der »seelischen Erhebung« dient, wie die Verfassung so schön sagt? Im internationalen Vergleich liegt Deutschland bei der Sonntagsarbeit immer noch im unteren Bereich. Und ich möchte, dass das so bleibt.

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Wolfgang Huber Foto: EKBO
Zeit: Welche Sonntagsarbeit ist zu rechtfertigen?
Bischof Huber: Ich habe selbst in meiner Jugend als Schichtarbeiter gearbeitet. Bestimmte Bereiche industrieller Produktion können am Sonntag nicht pausieren. Alles, was mit Gesundheit, Sicherheit, Gastronomie und Verkehr zu tun hat, ist unstrittig. Was zur sinnvollen Gestaltung des Sonntags und zur Fürsorge für den Nächsten nötig ist, will niemand antasten.
Zeit: Es geht aber vor allem um ganz normalen Konsum und um Freizeiterlebnisse. Es gilt als lust- und freiheitsfeindlich, den Leuten vorzuschreiben, wann sie was konsumieren dürfen.
Bischof Huber: So kann man nur argumentieren, wenn man ausschließlich von der Konsumentenseite darauf schaut. Was ist mit denjenigen, die die Ladenöffnung durch ihre Arbeit ermöglichen? Schaut man auf beide Seiten, dann stellt sich die Frage, wie wir erreichen können, dass es weiterhin gemeinsame freie Zeiten für die Menschen gibt. Wir können nicht über die Auflösung der Familie klagen, wenn wir zugleich befördern, dass die Mutter ihren freien Tag am Montag, der Vater am Donnerstag und die Kinder ihre freien Tage am Samstag und Sonntag haben. Die Rundum-Ökonomisierung der Woche schadet den Familien.
Zeit: Der Sonntag hat ursprünglich eine religiöse Begründung. Kann sie gegen den Druck der Ökonomie bestehen?
Bischof Huber: Umgekehrt: Die bloße Gewinnperspektive kann nicht rechtfertigen, eine große kulturelle Institution zu schleifen. Der gemeinsame freie Tag ist eine große kulturelle Errungenschaft. Das alte Israel hat diese Institution geschaffen und mit einem göttlichen Gebot begründet. Dann wurde der Tag der kollektiven Arbeitsruhe mit dem christlichen Gedenken an die Auferstehung Jesu Christi verbunden. Das Gebot: »Du sollst den Feiertag heiligen« meint in der christlichen wie in der jüdischen Tradition deshalb beides: die Feier des Gottesdienstes und das Ruhen von der Arbeit. Das hat in unserem Kulturkreis nun schon eine 1700-jährige Geschichte. Das Gewicht der Argumente, mit denen man dieser Errungenschaft heute zuleibe rückt, steht in keinem Verhältnis dazu. Wollen wir zuschauen, wie in wenigen Jahren eine solche Institution aufgelöst wird, ohne dass irgendjemand eine Idee hätte, was an deren Stelle treten sollte? Was soll unserem Leben Rhythmus geben, wenn man den Unterschied von Sonntag und Werktag nivelliert hat?
Zeit: Viele Menschen nehmen den Sonntag aber nicht mehr so wahr. Sie möchten gerne an jedem Tag alle Optionen haben. Die meisten wollen allerdings nicht selber an diesem Tag arbeiten. Das ist der Widerspruch.
Bischof Huber: Deshalb müssen wir den Menschen ein klares Orientierungsangebot machen. Die Kirchen kämpfen nicht nur politisch und rechtlich für den Sonntag. Wir wollen auch zeigen, wie man sinnvoll mit diesem Tag umgeht. Wir wollen deutlich machen, warum es gut tut, den Unterschied von Werktag und Sonntag nicht zu nivellieren. Die Sonntagsgestaltung ist keine rückwärtsgewandte, nostalgische Sache, sondern eine Zukunftsfrage. Wie wollen wir leben? Wie wollen wir Pflicht und Freiheit balancieren, Gemeinschaft und individuelles Fortkommen? Wir müssen gegen den Trend den Sonntag bewahren, sonst ist er weg und die Menschen werden das eines Tages bereuen. Ich sehe mit Freude, dass junge Familien versuchen, eine neue Sonntagskultur zu begründen, die nicht einfach die der Großeltern ist. Da wird dann nicht immer der klassische Sonntagsgottesdienst am Morgen dazugehören. Gottesdienste zu anderen Tageszeiten bekommen eine wachsende Bedeutung. Man möchte flexibel sein, lange zusammen frühstücken, etwas unternehmen. Wir müssen den Menschen Angebote machen, die ihren Wünschen nach individueller Gestaltung nachkommen.
Zeit: Der Sonntag galt als Tag zwanghafter, leerer Rituale. Gottesdienst, Familien-Mittagessen, Spaziergang, Kaffeebesuch bei Tante Frida – das Ganze hatte etwas Muffiges und Oppressives, gegen das man rebellierte.
Bischof Huber: Die familiäre Sonntagsgestaltung wurde für viele zu einem Sinnbild der Unfreiheit. Darum haben wir den Traditionsabbruch der letzten Jahrzehnte zunächst als Freiheitsgewinn verstanden. Aber jetzt sind wir in einer Situation, in der die eingespielten Verabredungen, wie Familien funktionieren sollen, nicht mehr tragen, und die Leute fangen an, sich wieder nach einem gemeinsamen Rhythmus zu sehnen. Eltern in meinem Alter verabreden sich mit ihren erwachsenen Kindern zum Sonntagsdinner – das klingt dann schon nicht so abgeschmackt. So entstehen neue Institutionen. Es geht um eine zwanglose neue Rhythmisierung des Lebens. Darin sehe ich für die Kirche Anknüpfungspunkte. Wir müssen die Chancen zu neuen Traditionsbildungen anbieten, statt nur über Traditionsabbrüche zu klagen.
Zeit: Was bietet ein guter Sonntagsgottesdienst?
Bischof Huber: Drei Dinge: Lebendige Begegnung mit Gott, Orientierung für mein eigenes Leben, die Erfahrung von Gemeinschaft.
Zeit: Menschen, die sich von der Kirche abgewendet haben und sich gerne wieder annähern wollen, haben konservative Bedürfnisse: Die wollen am Sonntag dann auch einen richtigen Gottesdienst mit Paul Gerhardt-Liedern statt 70er-Jahre-Songs, und auch eine richtige Predigt statt allgemeiner Lebensweisheiten.
Bischof Huber: Ich verstehe das Bedürfnis nach klaren Formen. Gerade wer selten in den Gottesdienst geht, sucht Wiedererkennbarkeit. Es gibt aber eine Tendenz, die sich ganz an die Form hält. In der katholischen Kirche wird die tridentinische Messe auf Latein wiedereingeführt. Da geht es für manche offenbar gar nicht darum, dass mir der Inhalt nahekommt, sondern um die Form als solche. Darin steckt eine Tendenz zur Ästhetissierung des Gottesdienstes. Man will ein Gefühl der Erhabenheit, aber es soll einem nicht zu nahe kommen. In Deutschland glauben heute mehr Menschen an Engel als an Gott. Sie wollen ein Gefühl des Behütetseins haben, aber nicht dabei gefordert sein. Sie wollen bewahrt sein, aber nicht zur Rechenschaft verpflichtet. Der Glaube soll mir etwas geben, aber möglichst nichts fordern. Das Evangelium ist jedem eine Wahrheit, die einem immer wieder fremd, befreiend und fordernd entgegentritt. Dieses Evangelium ist der Kern des Gottesdienstes.

Zeit: Kann man in einer säkularen Gesellschaft wie der unseren überhaupt noch mit Gottes Ruhetag argumentieren, wenn man den Sonntag retten will?

Huber: Die biblische Schöpfungsgeschichte hat eine grosse kritische Kraft. Mit der Aussage, dass der Ruhetag die Krone der Schöpfung sei, ist diese biblische Geschichte von unglaublich starker Aussagekraft. Jahrzehntelang haben wir behauptet, der Mensch sei die Krone der Schöpfung. Mit dem Menschen aber, lehrt die Bibel, hört die Schöpfung nicht auf. Danach kommt der Ruhetag, der auch eine Begrenzung für den Menschen darstellt. Insofern geht es bei der Debatte um den Sonntag auch um die Frage, ob Menschen eigentlich Grenzen ihrer eigenen Bemächtigung anerkennen. Ich kenne keine dichtere Darstellung dieses Problems als die Schöpfungsgeschichte. Sie zeigt, dass Gott sich selbst begrenzt, dass er von seiner Schöpfung ausruht und etwas anderes gegenüber seinem eigenen Schöpferseins anerkennt. Gott erwartet also auch vom Menschen, den er nach seinem Bild schafft, dass dieser etwas anerkennt, dass jenseits seiner Schöpferkraft liegt. Die Schöpfungsgeschichte wird weit unter Wert verhandelt, wenn sie als pseudowissenschaftliche Weltanschauung betrachtet wird, wie es die Kreationisten tun.

Zeit: Brauchen wir einen anderen Freiheitsbegriff? Nicht nur Freiheit zu individuellen Lebensentscheidungen, sondern auch Freiheit vom Produktionszwang und Freiheit zur Besinnung und Muße?

Huber: Wir versuchen als EKD gerade die Kirche als Kirche der Freiheit neu zu besttimmen. Freiheit heisst nicht einfach, machen zu können, was ich will. Freiheit ist nicht etwas, was ich selber herstelle, sondern sie ist mir geschenkt und anvertraut. Freiheit verwirklicht sich in der Gemeinschaft mit anderen, das müssen wir Evangelischen in die gesellschaftliche Debatte einbringen. Der Sonntag ist die herausgehobene Zeit, in der ich die Freiheit habe, mir über mein Leben Rechenschaft zu geben, und meine Freheit zu erfahren und zu verstehen.

Zeit: Wenn aber der Sonntag für immer mehr Menschen ein Tag wie jeder andere wird, was ist er dann für die Kirche?

Huber: Der Sonntag bleibt der Gottesdiensttag. Wer schon einmal Gottesdienste besucht hat in Ländern, die da keinen arbeitsfreien Tag kennen, der wird die Kraft der Kirche nicht unterschätzen, den Sonntag für sich zu setzen. Ich habe das eindrucksvoll in China erlebt, wo wir mitten im tosenden Beijing sehr vitale Sonntagsgottesdienste gefeiert haben.

Die Fragen stellte Jörg Lau