Annapolis – Bescheidenheit war bisher keine Tugend der Bush-Regierung. Doch vor der Nahost-Friedenskonferenz in Annapolis waren der Präsident und die Aussenministerin manchmal bemüht, den Anspruch so weit herunterzudefinieren, dass es schon fast ans Absurde grenzte. Von einem „Gipfel“ durfte längst nicht mehr die Rede sein. Annapolis, hieß es, sei nur ein „Meeting“.
Das kontrastierte merkwürdig mit der Tatsache, dass Monate damit verbracht worden waren, jene Delegationen aus 49 Ländern nach Washington einzuladen, die am Montag und Dienstag das politische Leben und den Verkehr in der amerikanischen Hauptstadt lahmlegten.
Hinter der strategischen Bescheidenheit steckte die allzu berechtigte Angst vor einem Scheitern auf offener Bühne. Bis zuletzt war unter Druck von Condoleezza Rice an einer gemeinsamen Erklärung der Israelis und der Palästinenser gearbeitet worden. Zugleich bemühten sich die Spin Doctors des Weissen Hauses, die Erwartungen an eine solche Erklärung so weit wie möglich herunterzuschrauben.
Sie ist dann doch gelungen, zu allgemeinem Erstaunen, denn sie enthält eine Festlegung beider Seiten, auf die schon nicht mehr zu hoffen war. Am Dienstagmittag trat Präsident Bush sichtlich erleichtert und stolz mit Abbas und Olmert vor die Kameras und verkündete die Bereitschaft beider Seiten zu sofortigen Verhandlungen über „alle offenen Fragen“ – also Terrorismus, israelische Siedlungen, Grenzen eines palästinensischen Staates, Status Jerusalems und Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge – und zwar in der Absicht, bis zum Ende 2008 eine Übereinkunft zu erreichen. Die Steuerungskomittees aus beiden Parteien soll schon am 12. Dezember 2007 zum ersten Mal tagen. Olmert und Abbas umarmten sich zwar nicht, aber es gab doch einen herzlichen Händedruck.
Das taktische Erwartungsmanagement der Amerikaner ist aufgegangen. Dass es zu einer gemeinsamen Erklärung gekommen ist, die ein Datum nennt, an dem der Prozeß sich wird messen lassen müssen, ist „zwar noch kein Durchbruch“, wie Aussenminister Steinmeier in Washington sagte, „aber eine gute Grudlage für die schwere vor uns liegende Arbeit“. Es gibt nun zwar keinen klaren Zeitplan, aber doch ein Limit für Verhandlungen, das durch das Ende der Amszeit Bushs gegeben ist. Die Israelis waren vor Annapolis strikt gegen eine solche Festlegung.
In Annapolis ist kein einziges Problem des Friedensprozesses auch nur in Umrissen gelöst worden, wie alle Beteiligten zugestehen. Vielleicht war es aber auch weise, das gar nicht erst zu versuchen. Denn weder Abbas noch Olmert wären stark genug, ihren Völkern jetzt schon die schmerzhaften Zugeständnisse abzuverlangen – Aufgabe des Rückkehrrechts hier, Aufgabe eines Teils Jerusalems und vieler Siedlungen dort – , ohne die ihr Einverständnis am Ende null und nichtig wäre. Eine substantiellere gemeinsame Erklärung als die in Annapolis gefundene Formel – so paradox ist die Lage – könnte beide gefährden, weil sie dann von ihren jeweiligen Extremisten zuhause als Verräter und Ausverkäufer abgestempelt würden.
Die Riesen-Inszenierung von Annapolis drehte sich nicht um die strittigen Endstatusfragen, sondern eigentlich nur um ein Commitment für kommende Verhandlungen. So bot sich das seltsame Schauspiel einer Konferenz mit Rekordbeteiligung – von der arabischen Welt bis nach Senegal, Griechenland und Brasilien – von der alle Beteiligten eifrig versicherten, sie selbst sei gar nicht so wichtig wie der durch sie angestoßene Prozeß.
Annapolis aber war, wie es jetzt scheint, keineswegs nur eine Art Meta-Ereignis, eine Konferenz über die Unmöglichkeit einer Konferenz. So hatten es abgebrühte Beobachter wie jener israelische Delegierte erwartet, der Annapolis sarkastisch zur „Mutter aller Gruppenfotos“ erklärte. Zweifellos sei es auch darum gegangen, die finstere Nahost-Bilanz von Bush und Rice aufzuhellen, war in der deutschen Delegation zu hören. Aber die verbreitete zynische Lesart der Konferenz laufe Gefahr, betonten deutsche Diplomaten, dass ein veritabler Politikwechsel durchs Wahrnehmungsraster falle.
Noch vor wenigen Monaten, sagte der deutsche Aussenminister Steinmeier in Washington, wäre es undenkbar gewesen, dass Olmert und Abbas auch nur diesen ersten Schritt gehen würden. Nun haben sie Verhandlungen eröffnet, flankiert und unterstützt von „Staaten, die nicht einmal diplomatische Beziehungen miteinander unterhalten“ (Steinmeier). Steinmeier machte sich in Washington für den „Post-Annapolis-Prozess“ stark. Am Dienstagnachmittag gelobte er in seiner Rede für die deutsche Seite Unterstützung bei der Gestaltung des „Follow-Up“.
Annapolis, so sieht es Steinmeier, hat sich schon im Vorfeld der Konferenz positiv ausgewirkt. Das zeige die Freilassung palästinensischer Gefangener durch Israel und „eine spürbare aber noch nicht ausreichende Verbesserung in den palässtinensischen Gebieten“. „Noch nie habe ich so viel Willen zum Erfolg gesehen wie hier“, sagte Steinmeier in Washington. Deutschland will helfen, die palästinensischen Sicherheitskräfte besser auszustatten und auszubilden. Die Deutschen prüfen bereits Wirtschaftshilfe-Maßnahmen für die palästinensischen Gebiete, wie etwa die Entwicklung eines Industrieparks im nordpalästinensischen Dschenin.
Neben der überraschenden Einigung in letzter Minute regt vor allem die Teilnahme der Syrer die politische Phantasie an, noch so eine Undenkbarkeit, die in letzter Minute kurzerhand umgestoßen wurde.
Steinmeier verfolgt seit Jahren das Ziel, Damaskus einzubinden und hat sich dafür harsche Kritik eingefangen. Wenn er die Einladung der Syrer nach Annapolis als Sieg der pragmatischen Vernunft über die Freund-Feind-Logik der früheren Bush-Politik lobt, dann ist darin auch ein wenig Eigenlob enthalten. Steinmeier kann sich durch die Wende der Amerikaner zu Recht bestätigt fühlen, hat er doch schon für die Einbeziehung Syriens plädiert, als dies noch tabu war. Aus Washington – und auch aus dem Kanzleramt – hatte es seinerzeit massive Kritik an seiner Reisediplomatie nach Damaskus gegeben. Er sei aber „niemals naiv“ an die Syrer herangegangen, sagt er heute mit sichtlicher Genugtuung. Die deutschen Damaskusbesuche waren keine Umarmungsstrategie, sondern Tests der syrischen Bereitschaft, Teil einer Lösung des Nahostkonflikts statt nur Teil des Problems zu sein, heißt es in der deutschen Delegation. Die Entsendung des syrischen Vizeaußenministers nach Annapolis wird als Zeichen gedeutet, dass Damaskus immerhin darüber nachdenke, „ob sein Glück auf Dauer an der Seite Teherans liegen kann“, sagt ein deutscher Diplomat. Der Aussenminister liest die syrische Gesprächbereitschaft auch als Signal an die Hamas, dass die Putschisten von Gaza sich ihrer syrischen Freunde nicht allzu sicher sein sollen.
Für Steinmeier hat es auch einen innenpolitischen Nebeneffekt, dass die Amerikaner nun die syrische Karte spielen wollen – er sieht in dem Umdenken von Rice und Bush einen Beleg für die Richtigkeit seiner Haltung, dass die Aussenpolitik „mehr dürfen und mehr versuchen“ muss, Gespräche mit „schwierigen Partnern“ inklusive. Ein Schelm, wer darin ein Echo der Debatte zwischen Steinmeier und Merkel um den Umgang mit Chinesen und Russen erkennt.
Es sei bei den arabischen Teilnehmern sehr positiv aufgenommen worden, sagte Steinmeier an der Kaimauer der Naval Academy, daß Olmert nicht nur zum eigenen Volk geredet habe, sondern „sehr verständnisvolle Worte für das Leiden der Palästinenser gefunden“ habe. Es könnte „ein Signal der Hoffnung für die Region ausgehen“, sagt der Aussenminister. Für den geborenenen Pathos-Feind Steinmeier ist das schon hart an der Grenze: Von einem wirklichen Durchbruch, schiebt er denn auch gleich nach, könne man aber erst dann reden, „wenn wir bei den Grundproblemen echte Fortschritten auf beiden Seiten sehen“.
In Wahrheit aber ist Annapolis ein höchst riskanter Versuch, dieses Kalkül hinter sich zu lassen. Die nach Syrien ausgestreckte Hand ist ein Indiz dafür. Ein anderes liegt darin, dass an die Stelle jener unerfüllbaren Vorbedingungen – „totales Ende des Terrors“, „völliger Baustop in den Siedlungen“, die beiden Seiten immer wieder als bequeme Ausrede fürs Nichtstun dienen konnten, jetzt sofortige, voraussetzungslose Verhandlungen über die Kernfragen treten sollen. George W. Bush hat in letzer Minute etwas Erstaunliches getan: Er hat sein politisches Schicksal mit einem neuen Friedensprozess verbunden, der mit der Logik seiner bisherigen Nahostpolitik bricht.