Ich habe mit den Kollegen Georg Blume (Peking) und Jochen Bittner (Brüssel) ein Stück zur Wende im Tibet-Streit geschrieben. Auszug:
Peking/Berlin/Brüssel
Ist es nur ein Propagandatrick oder doch ein ernst gemeintes Verhandlungsangebot? Chinas Kommunisten haben der Welt ein Rätsel aufgegeben. Eben noch nannten sie den Dalai Lama einen »bösen Geist mit menschlichem Antlitz und dem Herzen einer Bestie«. Jetzt wollen sie mit der Bestie reden, sogar schon in den nächsten Tagen. Wer hätte das vor den Olympischen Spielen im August noch für möglich gehalten?
Ist das ein »Triumph der europäischen Diplomatie«, wie die New York Times bemerkt? Die Pekinger Wende wurde immerhin in Anwesenheit des EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso verkündet, der gerade zu einem Gipfeltreffen mit Premierminister Wen Jiabao in der chinesischen Hauptstadt weilte. Brüssel aber übt sich in geradezu buddhistischer Bescheidenheit. Niemand glaubt, die EU könne das chinesische Einlenken allein für sich verbuchen. Schließlich pflegten die großen Mitgliedsländer den Dialog mit China auf eigene Rechnung und mit verteilten Rollen – Frankreich und England bis hin zur Boykottdrohung, Deutschland neuerdings wieder eher diplomatisch-verbindlich.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat seit Beginn der Tibetkrise drei Mal ausführlich mit dem chinesischen Außenminister Yang Jiechi gesprochen. Die Berliner Diplomaten waren denn auch nicht überrascht von der chinesischen Wende: Schon im zweiten Gespräch Steinmeiers mit Yang zeichnete sich ab, dass die freundlich-bestimmte Mahnung zum Dialog mit dem Dalai Lama von den Chinesen nicht mehr nur als Demütigung durch den Westen, sondern auch als Chance gesehen wurde, selbst wieder handlungsfähig zu werden. Am 15. April telefonierte Steinmeier zum dritten Mal mit Yang, zu dem er einen guten Draht hat, seit beide die deutsche Dalai-Lama-Krise vom Herbst vergangenen Jahres beigelegt hatten. Und am 16. April erhielt der gegenwärtige EU-Ratspräsident, der Slowene Janez Jansa, in Brüssel einen Brief aus Peking. Darin teilte ihm der chinesische Premierminister mit, Vertreter des Dalai Lama empfangen zu wollen. Es wurde vereinbart, die Neuigkeit bis zum Gipfeltreffen von Wen Jiabao und Manuel Barroso in der vergangenen Woche geheim zu halten. Barroso, berichtet ein EU-Diplomat, der die Verhandlungen in Peking begleitet hat, habe Wen gesagt, europäische Regierungen würden ebenfalls die ganze Zeit kritisiert. Was sei daran so schlimm? Kritik sei nicht als Beleidigung, sondern als Möglichkeit zu betrachten, die Dinge zu verbessern. Und siehe da: Der prinzipienfeste Pragmatismus kam nicht schlecht an.
Europa soll den Dalai Lama drängen, der Politik abzuschwören
Zum Feiern ist gleichwohl noch niemandem zumute. Denn die freundlichen Mahnungen der Europäer allein hätten wohl kaum die Wende gebracht. Das Pekinger Politbüro unter Hu Jintaos Führung sah angesichts des Fackellauf-Desasters offenbar keinen anderen Ausweg mehr. Der Weg zum Verhandlungstisch sei darum eher ein »taktischer Kompromiss«, meint Zhu Feng, Professor für Internationale Beziehungen an der Peking-Universität. Nun aber müssten China und der Westen gemeinsam nach Möglichkeiten der Deeskalation suchen, so Zhu.
Peking will den Westen mit an Bord nehmen und hat ihm dabei eine überaus knifflige Aufgabe zugedacht. Es klingt harmlos, wenn es nun heißt, die Regierungen in Europa und den USA sollten »Mitverantwortung für den Verhandlungsprozess übernehmen«. In anderen Worten bedeutet dies: Sie sollen den Dalai Lama drängen, seine politischen Forderungen aufzugeben…
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