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„Wertegebundene Außenpolitik ist abwegig“ (Helmut Schmidt)

Zunächst mal: Ich vermisse das hier.

Das Bloggen war jahrelang ein gutes Mittel, den Phantomschmerz des Tageszeitungsredakteurs zu betäuben, den es in ein Wochenmedium verschlagen hatte. Zunächst musste ich es fast ein bisschen undercover betreiben, weil es in unserem Hause als Ablenkung von der eigentlichen Arbeit galt (was ja auch sein kann). Inzwischen hat sich die Haltung des Hauses zum Digitalen deutlich verändert. Chefredakteure twittern und erfreuen sich ihrer Follower. ZEIT Online ist ein respektierter eigener Zweig der Publikation, Print-Redakteure machen sogar Hospitanzen bei den Onlinern und kommen beeindruckt von deren Professionalität und Arbeitsrythmus zurück, dessen Schlagzahl für Angehörige des Dead-Tree-Zweigs unseres Hauses furchterregend ist.

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Was die Geschichte der Ostpolitik über den Umgang mit Diktaturen lehrt

Dieser Text, den ich zusammen mit Matthias Geis verfasst habe, erscheint in der ZEIT von heute – ein Versuch, die Debatte über Interessen und Werte in der deutschen Außenpolitik in einen historischen Kontext zu stellen:

Die drei Worte fallen ganz am Ende. Der Redner hat sie fett markiert. Er weiß schon, dass sie die Sprache der deutschen Außenpolitik verändern werden. Die Bundesrepublik müsse gegenüber Moskau einem neuen Leitgedanken folgen: statt Abgrenzung, Druck und Konfrontation – »Wandel durch Annäherung«.
Bald ist das fünfzig Jahre her. Am 15. Juli 1963 hielt Egon Bahr in Tutzing an der Evangelischen Akademie die Rede, die zur Grundlage der »Neuen Ostpolitik« Willy Brandts wurde. In seinen drei Worten schnurrte die Entspannungsphilosophie zusammen, der die sozialliberale Regierung Brandt/Scheel von 1969 an im Umgang mit der Sowjetunion und dem kommunistischen Ostblock folgte. Keine andere außenpolitische Idee der jüngeren deutschen Geschichte war so folgenreich.
Sie ist es bis heute: Die aktuelle Debatte über den richtigen Umgang mit Diktatoren und Gewalt-herrschern, über Werte und Interessen, Menschenrechte und Geschäfte ist ohne die Vorgeschichte der Entspannungspolitik nicht zu verstehen. Deutsche Außenpolitiker haben in Zeiten der Blockkonfrontation gelernt, wie man mit »schwierigen Partnern« umgeht. Bis heute stehen sie unter dem Bann dieser Zeit. Ihre diplomatischen Begriffe leiten sich daher ab – Varianten und Schwund-formen der Bahrschen Erfindung: Wandel durch Handel, Wandel durch Verflechtung, Modernisierungspartnerschaft.
Was mussten Brandt und Bahr sich von konservativen Politikern nicht für böswillige Angriffe gefallen lassen – Verfassungsbruch, Ausverkauf deutscher Interessen, ja selbst Landesverrat. Erst in den Neunzigern hat sich überall die Einsicht durch-gesetzt, dass es auch die Neue Ostpolitik war – von den Kanzlern Schmidt und Kohl fortgesetzt–, die den Kalten Krieg überwand, die Mauer durchlöcherte und die Wiedervereinigung ermöglichte.
Heute wollen alle die Idee beerben. Allerdings findet dabei eine klammheimliche Umdeutung statt. Die beiden Elemente werden entkoppelt: An der Annäherung wird festgehalten, selbst wenn kein Wandel in Sicht ist, ja selbst noch dann, wenn einer zum Schlechteren stattfindet. Bahrs Formel fällt verdächtigerweise immer dann, wenn be-gründet werden soll, warum eine offensichtliche Demütigung, ein Vertragsbruch, eine Menschenrechtsverletzung durch einen Partner ohne Konsequenzen bleibt. Eine ursprünglich trickreich-subversive Idee ist in Gefahr, zum Alibi zu werden.
So etwa, wenn Außenminister Guido Westerwelle erklärt, warum man mit Russland trotz Razzien in deutschen Stiftungen unverändert weiter auf Dialog-Programme setzt: »Wandel ist nur über weitere Annäherung und Hinwendung möglich.« Als die Chinesen vor einigen Jahren ein Delega-tionsmitglied Westerwelles, den Schriftsteller Tilman Spengler, zur Persona non grata erklärten, flog er trotzdem hin und erklärte auch dies mit Bahrs Formel. Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung in Moskau beschwört die Notwendigkeit einer Partnerschaft mit Putins und Medwedews Regime allen Rückschritten zum Trotz unter der Überschrift »Wandel durch Annäherung«. Ganz gleich, ob es um Gasgeschäfte mit Aserbaidschan, Panzer für Saudi-Arabien oder um Dialog mit der ägyptischen Muslimbruderschaft geht – für alles muss Bahrs Slogan herhalten. Weiter„Was die Geschichte der Ostpolitik über den Umgang mit Diktaturen lehrt“

 

Worum es bei der Rivalität USA vs. China wirklich geht

Hat wieder einmal die Satirezeitschrift The Onion am besten erfasst:

Zitat aus dem Artikel:

„We are seeing a changing of the asshole guard,“ said Andrew Freireich, noted economist and lead author of the article. „Although the U.S. will remain among the world’s two or three biggest cocks through much of this century, we can now confidently project that China, with its soaring economic growth, ever-expanding cultural influence, and total disregard for basic human rights, will overtake America as King Prick Numero Uno within the next 10 years.“

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Neues aus der Parallelgesellschaft

Allerdings nicht aus der unsrigen, sondern aus der chinesischen Community New Yorks. Dort wird das traditionelle Kantonesisch abgelöst durch Mandarin, den Dialekt der Mehrheit der Neu-Einwanderer aus China.

Nun lassen selbst Kantonesisch sprechende Eltern ihre Kinder in Mandarin unterrichten, damit diese sich in den New Yorker chinesischen Zirkeln verständigen können.

Alteingesessene Sino-Amerikaner finden sich in ihrem eigenen Viertel nicht mehr zurecht, weil dort Mandarin dominant geworden ist.

Und niemand findet diese Parallelgesellschaft problematisch.

“I can’t even order food on East Broadway,” said Jan Lee, 44, a furniture designer who has lived all his life in Chinatown and speaks Cantonese. “They don’t speak English; I don’t speak Mandarin. I’m just as lost as everyone else.”

Now Mandarin is pushing into Chinatown’s heart.

For most of the 100 years that the New York Chinese School, on Mott Street, has offered language classes, nearly all have taught Cantonese. Last year, the numbers of Cantonese and Mandarin classes were roughly equal. And this year, Mandarin classes outnumber Cantonese three to one, even though most students are from homes where Cantonese is spoken, said the principal, Kin S. Wong.

Some Cantonese-speaking parents are deciding it is more important to point their children toward the future than the past — their family’s native dialect — even if that leaves them unable to communicate well with relatives in China.

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Warum Russland und China Iran stützen

Eine Analyse auf Tehranbureau arbeitet heraus, warum Russen und Chinesen das Teheraner Regime unterstützen, obwohl sie offiziell gegen das Atomprogramm sind und Sanktionen befürworten (jedoch nie, ohne sie vorher in langen Verhandlungen vewässert zu haben):

„Russia treats Iran as a winning card in its relations with the United States. The fact that anti-American hardliners are in power in Iran is to Russia’s advantage. First, because it keeps the U.S. influence in Iran, if any at all, minimal. Second, it forces the United States to focus its attention on Iran, and less elsewhere. At the same time, by not completing the Bushehr reactor and promising to sell it the S-300 system, but not actually going through with the sale, Russia keeps the hardliners in Iran in need. The Iranian public and the reformist-democratic groups in Iran in particular, also see this, which explains their anger at Russia.

China, on the other hand, has a long history of supporting despots around the world, so long as doing so protects and expands its interests. Iran is no different in that respect for it. In Africa, for example, China supports Robert Mugabe’s regime in Zimbabwe and the Omar Al-Bashir’s in Sudan, despite all the calamities there. In East Asia, China supported the bloody Khmer Rouge regime in Cambodia who murdered 2 million Cambodians; and it supports North Korea.

Iran’s natural resources, large population, and strategic position are all important to China. China imports about 700,000 barrels of oil a day from Iran.“

Aber: Nach einem Bericht der LA Times beginnt immerhin in Russland eine Debatte darüber, ob das eigentlich eine schlaue Politik ist. Vor allem im Licht der jüngsten Ereignisse im Iran. Dort sind nämlich Russland und China zu den meist verhassten Ländern aufgestiegen, weil sie das Regime auch nach dem Coup mit den gefälschten Wahlen noch stützen. Es wird, wie in dem oben erwähnten Artikel von Tehranbureau geschildert, mittlerweile auch „Marg bar Rusieh“ (Tod Russland) und „Marg bar Chin“ (Tod China) gerufen – nach den rituellen „Tod Amerika“-Rufen.

Der Leitartikel der Nesavissimaja Gaseta vom 6. August fordert die russische Führung nun zu einer Revision ihrer Ahmadinedschad-Politik auf:

„It appears that recent events in Iran, when the opponents of Ahmadinejad shouted slogans of ‚Death to Russia,‘ indicate that Moscow’s defense of Ahmadinejad’s government has not been met with approval among a considerable portion of the Iranian population,“ the editorial said.

„It appears that the idea that Iran is a regional power which Russia could use as a trump card in relations with the West has turned out to be mistaken,“ the editorial says.

„As a matter of fact, it has turned out that Iran is using Russia to polarize the Group of Six,“ the five permanent members of the United Nations Security Council plus Germany, over Iran’s nuclear program.

The editorial pointed out that Russians are being singled out by the West and Iranians themselves as the primary backers of Ahmadinejad, possibly to Moscow’s disadvantage.

 

Wenn die Uiguren bloss Palästinenser wären

… und die Chinesen Israelis, dann würde sich die muslimische Welt vielleicht auch für sie interessieren, meint Mona Eltahawy in einem Kommentar für die HuffPost. Doch was müsste passieren, damit die westliche Öffentlichkeit sich für sie einsetzen würde? Wenn die Uiguren Buddisten würden, hätten sie deutlich bessere Chancen auf ein Benefiz-Konzert mit Bono, Björk und Sting. Tja, Pech gehabt, falsche Minderheit mit dem falschen Unterdrücker!

If they were Buddhists, Bjork, Sting, Bono and all those other one-named saviors of the world’s poor and oppressed would have held „Free Xinjiang“ concerts already. But the West continues to largely ignore the Uighurs. Maybe they’re not as cuddly as the Tibetans or their leader the Dalai Lama.

Perhaps the U.S. State Department would issue stronger words in their defense if only the Uighurs weren’t the wrong kind of minority in a country that produces half the goods we use and which currently lends the wobbly global economy enough money to keep it just this side of total collapse.

The Uighurs aren’t Buddhists but are instead Muslims and us Muslims don’t get much love these days. You’d think the U.S. at least would be paying a bit more attention to Uighurs after locking up four of their brethren at the prison camp at Guantanamo without charge for seven years. They were released earlier this year to Bermuda.

If the West seems deaf to Uighur complaints, then where are their fellow Muslims? Surely this is a chance for Muslims across the world to march in protest at the stranglehold the godless Communist Chinese keep over the Uighurs?

Think again.

The Egyptian blogger Wael Abbas put it bluntly on the micro-blogging site, Twitter — where thousands follow him — when he asked why no one was paying attention to the Uighur „intifada,“ the Arabic word for uprising that is usually associated with Palestinians fighting back against Israeli occupation.

That’s precisely the problem — the Uighurs are no Palestinians and the Chinese are not Israel. Many Muslims — Arab Muslims especially — pay attention only when the U.S. and Israel are behaving badly. Palestine followed by Iraq always take precedence leaving little room for other Muslim grievances.

Look at Darfur, where the suffering goes ignored because those who are creating the misery are neither Americans nor Israelis but instead fellow Arab Muslim Sudanese.

China is coincidentally one of Sudan’s biggest trade partners and sells Khartoum plenty of weapons which Darfuris complain are used against them. So it’s unlikely Sudanese President Omar Bashir, who declared himself the guardian of Islam in 2007 by putting on trial a British teacher for insulting Muslims when she named a class teddy bear „Mohammed“, will condemn Chinese oppression of Uighurs.

Perhaps Israel can save the day and invade Xinjiang.

 

China ist eine Insel

Manchmal findet man solche einen Gedanken, der einem plötzlich vieles aufschließt, was vorher kaum verständlich scheint – wie etwa das chinesische strategische Selbstbild in der heutigen Welt.

China ist nämlich eigentlich eine Insel, obwohl es Grenzen mit 14 Nationen hat. Seine Bevölkerung, seine bebaubare Ackerfläche, seine Naturschätze und seine Wirtschaftskraft sind in einem vergleichsweise kleinen Teil der Staatsfläche  konzentriert. Im Südosten, Osten, Norden und Nordwesten bilden Meer, Gebirge, Wüste und Steppe natürliche Grenzen. So sieht man es auf dieser Karte (danke, Strange Maps!):

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The Chinese heartland, pictured here as the part of China above water, is favourable to agriculture and has traditionally held the bulk of the Chinese population (i.e. the ethnic Han, whom we think of as ‘the’ Chinese); Over a billion people live here, in an area half the size of the US. The heartland’s northern part is dominated by the Yellow River and speaks Mandarin, the southern part by the Yangtze River and by Cantonese.

Population pressure has always pushed China to expand into Tibet, Xinjiang, Mongolia and Manchuria. Another factor is the historical threat emanating from this non-Han ‘shell’ surrounding the Han heartland, for example from the nomad Mongol horsemen that have long threatened and occasionally dominated the sedentary, agricultural Han.

In the past, when the Chinese state was strong, it managed to conquer and rule these outlying areas, providing a defensive buffer for the heartland. When central authority was weak, these fringes broke off – leaving the heartland vulnerable to invasion. China is strong again, even up to the point where the fringes now are the target of large migrations of Han, much to the chagrin of the native peoples.

This Han-ification of the Chinese fringe does not necessarily imply that the Chinese have more contact with the countries beyond their borders. Only in three places are the Chinese borders naturally permeable: at the Vietnamese frontier, via the Silk Road, and near Russian Far East. Hilly jungles separate China from Laos and Burma, the Himalayas shield it from the Indian subcontinent, almost impassable deserts divide it from Central Asia and the forbidding expanses of Siberia have never appealed to Chinese expansionism (until now, as the Russians fear).

With the exception of the Ming dynasty’s sponsorship of admiral Zheng He’s naval expeditions (as far away as Sri Lanka, Arabia and Africa) in the early 15th century, China has never attempted to be a naval-based power – so for most of its history, China’s ports on the Pacific were hardly windows on the world either.

China’s relative isolation, combined with the size of its population (1 in every 5 humans is Chinese), means China is virtually impossible to subdue militarily (as the Japanese discovered to their disadvantage in the 1930s). It also means China can – and often has – turned its back on the world, existing in splendid isolation.

Its size and its penchand for autarkism dictate China’s three main geopolitical objectives:

  • maintain unity of the Han heartland;
  • maintain control over the non-Han buffer zone;
  • deflect foreign encroachment on the Chinese coast.

Clearly isolationist, these objectives also condemn China to poverty: as a densely populated country with limited arable land, China needs internatioal trade to prosper. The paradox is that prosperity will lead to instability. Prosperity will tend to be concentrated in the areas trading with the outside world (i.e. the coastal regions), creating economic tensions with the poorer interior. This might destabilise the Han heartland.

This is exactly what happened during an earlier ouverture towards the outside world, in the early 20th century. And this is why Mao’s revolution first failed in the coastal areas, and only succeeded after his Long March towards the poorer interior. Mao’s victory allowed him to reassert central control from Beijing (also over the buffer regions which had ‘drifted away’, such as Tibet). He also ‘re-isolated’ the country, in the process making everybody equally poor again.

In the late 1970s, early 1980s, Deng Xiaoping took the gamble of reopening China in order to make it prosperous again. He counted on Mao’s strong, centralised, single-party state system to keep the country together. Time will tell whether he was right, for the main threat to China’s geopolitical goals has again become the economic bifurcation of the Han heartland, with 400 million Chinese living in the relatively wealthy coastal areas, and 900 million in the often still desperately poor interior.

China is now less isolated than it once was – although its points of contact remain coastal rather than terrestrial, meaning the insularity portrayed in this map has not completely vanished. But what makes the Chinese leadership nervous is that its Deng-instigated preference for prosperity over stability is precariously linked to circumstances beyond Beijing’s total control: the health and growth of the global economy. What will happen if a global recession threatens the Chinese model? Will the fringe rebel, will the heartland fracture? Or will the center hold – if necessary by again choosing the stability of an isolationist, hardline dictatorship over openness and prosperity?

Das sind die Fragen, die wegen der heutigen Verflechtung Chinas mit der Welt nicht nurfür Chinesen vital sind.

 

China: Kunst und Katastrophe

Was das Erdbeben für China bedeutet, ist immer noch nicht ganz begriffen. Manchmal kann die Kunst helfen, die Bedeutung solch eines Ereignisses deutlich zu machen. Coco Wang, chinesischer Manga-Künstler, hat einen bewegenden Strip gezeichnet, der den Schrecken und das Heroische zusammenbringt. Mehr hier.

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