Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Links-Aussen

 

Die LINKE debattiert vor ihrem ersten Parteitag über Israel, Afghanistan und Menschenrechte. Erkundungen zur Aussenpolitik der Linkspartei
(aus der ZEIT vom 21. Mai 2008)

Von Cottbus aus werden am kommenden Wochenende Botschaften in weit entlegene Weltgegenden ergehen. Antrag G 26 zum ersten Parteitag der Linken preist den Erdöl-Autokraten Hugo Chávez – der Angela Merkel gerade mit Hitler verglich – als Pionier eines »Sozialismus des 21. Jahrhunderts«. Antrag P 29, eingebracht von der »Cuba Sí AG« in der Linken, feiert die Castro-Diktatur für ihre »fünfzigjährige Erfahrung im Kampf um eine sozialistische Ge­sell­schafts­per­spek­ti­ve«. Mehrere Anträge verlangen die Auflösung der Nato, die Verhinderung des EU-Reformvertrages von Lissabon und den »sofortigen und unbedingten Abzug aus Afghanistan«. So weit, so bekannt: Sympathiebekundungen für Diktatoren (sofern sie sich links geben), die Forderungen, Deutschland aus dem westlichen Bündnis und der EU zu lösen und die Afghanen ihrem Schicksal zu überlassen – so präsentiert sich die Außenpolitik der Linken.
Gut möglich, dass sich noch einmal das linksradikale Antiwestlertum mit allerlei schrillen Redebeiträgen austoben wird. Parteitage sind schließlich in erster Linie Veranstaltungen zur geistigen Heimatpflege. In der Außenpolitik hatte die Linke mangels Machtperspektiven im Bund die Lizenz zum freien Schwadronieren. Auch für die SPD war das recht bequem, es machte die Distanzierung leicht: Mit einer Partei, die so zu Afghanistan, EU und Nato steht, kann man im Bund einfach nicht zusammenarbeiten, wurden Kurt Beck und Frank-Walter Steinmeier denn auch nicht müde zu betonen.
Es könnte allerdings sein, dass die Abgrenzung der SPD eine paradoxe Wirkung entfaltet. Seit die Sozialdemokraten die Außenpolitik zur Demarkationslinie erklärt haben, beginnen bei den Linken Tabus zu fallen, und vormals Unaussprechliches tönt von den Podien.
Nun, da sich mit den Erfolgen im Westen eine Macht­per­spek­ti­ve auch im Bund auftut, dämmert den klügeren unter den Außenpolitikern der Linken, dass die schlichten Parolen nicht mehr tragen. Eine Partei, die in die Regierungsverantwortung hineinwill, kann nicht immer nur »Raus!« (aus Nato, EU und Afghanistan) schreien.
Gregor Gysi hat den bisher gewagtesten Schritt getan. Vor einigen Wochen hielt er eine bemerkenswerte Rede über »Die Haltung der deutschen Linken zum Staat Israel«. Darin findet sich der Satz: »Gerade in parlamentarischen Aktivitäten sollten wir nur Forderungen formulieren, von denen wir überzeugt sind, dass wir sie, wenn wir in einer Bundesregierung wären, auch tatsächlich umsetzten.« Pragmatisch kühl räumt Gysi mit der linken Israelfeindschaft auf. Er nimmt die verlogene Haltung der DDR zum Nahostkonflikt auseinander, die sich als »antifaschistischer« Staat aus der deutschen Verantwortung für Israel gestohlen hatte. In einem Konflikt Israels mit seinen Feinden könne Deutschland – und auch die Linke – nicht »neutral« sein, so Gysi. Der Antizionismus müsse aufgegeben, das Existenzrecht Israels anerkannt werden. Mehr noch: Gysi rät der Linken, zu akzeptieren, »dass die Solidarität mit Israel ein moralisch gut begründbares Element deutscher Staatsräson« sei. Staatsräson? Er hat es wirklich benutzt, dieses Wort, das so verdächtig nach finsteren Kapitalinteressen riecht. Und darum tobt nun auch eine heftige Debatte um Gysis Rede.
Wer die maßgeblichen außenpolitischen Köpfe der Linken aufsucht, trifft auf skeptische Verwunderung. Man ist nicht gewohnt, auf diesem Feld ernsthaft befragt zu werden. Wolfgang Gehrcke, als DKP-Veteran eine schillernde Figur der Westlinken und heute Obmann der Partei im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, vermeidet zwar das Wort Staatsräson im Bezug auf Israel. Er betont, Deutschland sei durch die NS-Verbrechen nicht nur den Juden, sondern auch den Palästinensern verantwortlich. Aber auch er lässt in seiner Entgegnung auf Gysi keinen Zweifel aufkommen, »dass der Zionismus (…) eine angemessene Antwort auf das fundamentale Bedürfnis des über Jahrhunderte verfolgten jüdischen Volkes nach Sicherheit war«. Gehrcke kennt die zerrissene westdeutsche Linke zu gut, als dass er eine schnelle Regierungsbeteiligung für realistisch hielte. Die Partei müsse sich erst zusammenrütteln. Dennoch hat er mit seiner Rede schon einmal einen Pflock an sensibler Stelle eingeschlagen.
Die Abgeordnete Monika Knoche, Leiterin des Arbeitskreises Internationale Politik, ist auf Einladung der Bundeskanzlerin mit nach Israel gereist. Von Merkels Knesset-Rede war sie enttäuscht, weil die Kanzlerin die israelische Besatzung und den Mauerbau nicht einmal erwähnte, wozu Merkel »doch gerade als Ostdeutsche« einen Zugang haben sollte. Wenn Monika Knoche jedoch beschreibt, wie Merkel auf ihren Reisen Deutschland vertritt und wie sie auch oppositionelle Abgeordnete einbezieht, schwingt durchaus Respekt mit. Knoche hat 2001 wegen des Afghanistankrieges die Grünen verlassen. Fragt man sie als Feministin, was ein sofortiger Rückzug für die Frauen in Afghanistan bedeuten würde, kommt sie ins Stocken. Man wolle das Land ja nicht sich selbst überlassen, »Afghanistan ist uns nicht egal«. Man müsse die Rechtskultur wiederbeleben, die Gleichstellung der Frauen in der Stammesversammlung Loya Jirga durchsetzen. Wie das alles ohne Präsenz ausländischer Truppen gehen soll, kann Knoche nicht erklären. Die Truppen müssten ja nicht alle auf einmal gehen, deutet sie an. Den Wählern der Linken teilt man diese Differenzierungen lieber noch nicht mit. Wenn die Linke aber nur einen graduellen Rückzug für möglich hält, weil alles andere Afghanistan ins Chaos stürzen würde: Müsste sie dann nicht für die Präsenz von Truppen stimmen, die zivile Helfer so lange schützen, bis die Afghanen das selbst können? Sie weicht aus. Wichtig sei erst einmal der Einstieg in den Ausstieg: die Rücknahme der rot-grünen »Militarisierung der deutschen Außenpolitik«, ein erster Schritt zu einem rein zivilen Engagement. Die SPD, stellt sie klar, müsse von der Linken lernen, nicht umgekehrt. Einen Kurswechsel der SPD zu erzwingen scheint einstweilen wichtiger zu sein als die Detailfragen eines konkreten Rückzugs.
Was »raus aus Afghanistan« eigentlich bedeutet, ist jedenfalls sehr viel weniger klar, als es auf den Plakaten der Linken erscheint. Auch im Gespräch mit Lafontaines Co-Parteichef Lothar Bisky wird das deutlich. Was der militärische Einsatz denn gebracht habe, fragt er zu Recht. Wenn man jedoch Genaueres über den Abzug der deutschen Truppen wissen will, flüchtet er sich in Floskeln über die Unmöglichkeit einer rein »militärischen Lösung« – an die allerdings selbst die Nato nicht glaubt. Es klingt ein wenig schuldbewusst, wenn Lothar Bisky aufzählt, was die Linke alles für die »afghanische Zivilgesellschaft« tut. Er setze sich persönlich dafür ein, dass Künstlerinnen aus Kabul ihre Bilder in Berlin zeigen könnten, fügt er hinzu. Der erfahrene Bisky weiß, dass die Außenpolitik der Linken in Gefahr ist, vom hohen moralischen Podest (»einzige Antikriegspartei«) in den Zynismus des reinen Ohnemicheltums abzustürzen. Afghanistan den Taliban kampflos zu überlassen mag populär sein. Als emanzipatorische Politik könnte man es kaum verkaufen.
Was heißt eigentlich Internationalismus heute – in Zeiten der Globalisierung? Bisky gerät ins Grübeln: Die alte Internationale sei tot, und zwar zu Recht. »Eine neue ist noch nicht definiert.«
Auf dem Parteitag wird es einzelne Versuche in dieser Richtung geben: Ein Antrag aus Freiburg beschäftigt sich mit der Tibetfrage, zu der die
Parteiführung aus alter Solidarität mit der KP lange peinlich geschwiegen hat. Bei den Menschenrechtsverletzungen in China, heißt es in Antrag G 02, dürfe die Linke ebenso wenig zuschauen wie bei jenen der Besatzermächte in Afghanistan und im Irak.