Eine Grüne ist das neue Gesicht des deutschen Protestantismus
Katholische und evangelische Kirche liegen hierzulande ziemlich gleichauf, was die Mitgliederzahl angeht: je etwa 25 Millionen Gläubige. Aber was das öffentliche Interesse angeht, könnte man meinen, gab es in den vergangenen Jahren eine klare Neigung zu Papstkirche.
Kann es sein, dass sich das Blatt nun wendet? Die Protestanten haben am vergangenen Wochenende auf ihrer Synode in Würzburg eine kleine Kulturrevolution angezettelt. Die ostdeutsche Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt hat den ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Günther Beckstein mit 72 zu 50 Stimmen auf den zweiten Platz verwiesen und wird damit Präses, also Chefin des einflussreichen evangelischen Kirchenparlaments. Jung, grün, weiblich und aus dem Osten: Für sechs Jahre soll die 42-jährige Thüringerin nun das Gesicht und die Stimme der 25 Millionen evangelischen Laien sein.
Göring-Eckardt Foto: Bundestag
Es werden entscheidende Jahre. Denn schon im Herbst muss ein neuer EKD-Vorsitzender in die riesengroßen Fußstapfen von Bischof Huber treten. Oder erstmals eine Vorsitzende? Katrin Göring-Eckardt wird als EKD-Ratsmitglied dabei entscheidend mitzureden haben. Und so kann es durchaus sein, dass bald noch eine weitere Frau an die Spitze des deutschen Protestantismus aufsteigt: Margot Käßmann, die Bischöfin von Hannover, auch gerade erst fünfzig Jahre alt. Zwei berufstätige Mütter stünden dann für das Evangelische – toughe, meinungsstarke und attraktive Frauen, die beide gegen Widerstände ihren Weg gemacht haben.
Der scheidende Bischof Huber hat seiner Kirche mit zahlreichen Interventionen – zum Klima, zur Armut, zum Dialog mit dem Islam, zur Unverantwortlichkeit der Manager – wieder ein öffentliches Gewicht gegeben. Aber gegen den Sog der anfänglichen Papst-Euphorie kam auch er nicht an. Selbst noch in seinen späteren Skandalen war Benedikt meist interessanter als die klügste EKD-Einmischung. »Vatikanisierung« der EKD haben seine Neider Huber vorgeworfen. Das war ungerecht, wenn es auch tatsächlich einen klammheimlichen Neid der Protestanten auf die katholische Konkurrenz im Kampf um die fromme Hegemonie in Deutschland gab.
Mit einem Team Göring-Eckardt/Käßmann könnte etwas kippen: Die Evangelischen kämen wieder in die Vorhand bei der Frage, was »Kirche der Freiheit« heute bedeutet – ein Teil dieser Gesellschaft zu sein und doch einem Heilsversprechen treu zu bleiben, das nicht von dieser Welt ist.
Beide Frauen können sehr lebhaft von dem alltäglichen Kampf erzählen, den das bedeuten kann, von Erfolgen ebenso wie von Bedrängnis und Scheitern – als christliche Dissidentin im Osten die eine; als Frau, die mit Kindern, Karriere und Krankheit jonglieren musste und eine Scheidung nicht vermeiden konnte, die andere.
Mit der Grünen an der Spitze der EKD endet ein Vierteljahrhundert, in dem die führenden Evangelischen stets Sozialdemokraten waren. Auch wenn früher einmal große Kirchenpolitiker wie der mehrfache SPD-Minister Jürgen Schmude diese Zeit geprägt haben: Es ist gut für die Glaubwürdigkeit der Kirche, dass das Abo der Sozialdemokratie auf dieses Amt nun abgelaufen ist. Die Sozialdemokraten haben im Übrigen durch ihren erbitterten Berliner Kulturkampf gegen den Religionsunterricht selbst einiges zur neuen Distanz beigetragen. Und die Kirche muss nach ihrer Niederlage an den Wahlurnen ihr politisches Engagement überdenken. Folgen daraus nun Rückzug und Entpolitisierung? Nein. Die Synodalen von Würzburg haben mit ihrer Wahl zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht weniger gesellschaftliche Einmischung der Kirche wollen – aber doch eine weniger berechenbare als zuvor.
Wenn diese Einmischung gelegentlich etwas lebensfroher daherkäme, wäre schon viel gewonnen. Katrin Göring-Eckardt hat aus der DDR eine vitale Bindung an die Kirche mitgebracht, an die Kirche als Raum der Freiheit: »Ich hätte das nicht überstanden, wenn es damals die Kirche nicht gegeben hätte.« Durch die Wende ist sie seinerzeit aus der Theologie in die Politik getrieben worden. Sie brach ihr Studium in Leipzig ab, um sich politisch einzumischen. Nun ist sie als Politikerin berufen, das Kirchenvolk wieder stärker in der Gesellschaft in Erscheinung treten zu lassen.
Der deutsche Protestantismus neigt dazu, sich in Sorge, Mahnung und moralischer Selbstüberforderung zu verzetteln. Ob es nicht auch anders geht, wird die Probe für die Neue: »Wir müssen öfter zeigen«, sagt Göring-Eckardt, »dass es uns erleichtert und nicht etwa beschwert, Christen zu sein.«
Dass die evangelische Kirche im Jahr 20 nach der Wende eine Bürgerrechtlerin aus Thüringen an ihre Spitze wählt, die einen »fröhlichen, einladenden Protestantismus« vertritt, ist kein schlechter Anfang.