Meine wöchentliche Kolumne zur Bundestagswahl (ZEIT Nr. 40, S. 6):
Alle vier Jahre frage ich mich: Warum eigentlich nicht die Gelben wählen? Diesmal, da Rekordergebnisse anstehen, besonders. Es lockt ein runderneuerter, spaßfreier, reumütig das Guidomobil verfluchender Dr. Westerwelle. Ein Kümmerer-Guido, der sich um Familien sorgt, das Hartz-IV-Schonvermögen erhöhen will und mit den über Fünfzigjährigen fühlt. Für diese Leute seien die Steuersenkungen, predigt er landauf, landab. Ich fürchte, ich werde es trotzdem nicht über mich bringen.
Meiner Klassenlage nach dürfte es mir eigentlich nicht so schwerfallen. Ich finde es aber peinlich, als »Leistungsträger« angebaggert zu werden, bloß weil meine Steuererklärung das hergibt. Es klingt verrückt: Ich zahle gerne Steuern. Ich lebe gerne in diesem Land und halte es für einen fairen Deal, dafür zur Kasse gebeten zu werden. Darum bringe ich es nicht fertig, eine Partei zu wählen, die mir einflüstert, ich würde hier ausgenommen. Ich finde das reichlich unpatriotisch.
Die Ausschließeritis – keine Ampel (mit der FDP), kein Jamaika (mit den Grünen), sowieso kein Rot-Rot-Grün – ist schon schade: Als Wechselwähler hatte ich gerade begonnen, Freude an meinen bunten Optionen zu finden. Andererseits hilft es mir schwankendem Rohr: Schwarz-Gelb oder Schwarz-Rot, das ist doch mal eine klare Sache. Ade, neue Unübersichtlichkeit.
Alle schließen irgendetwas aus, aber Topausschließer der Nation ist Westerwelle. Dass die FDP ihre Ehre daran hängt, mit den Sozen über eine Ampel nicht einmal pro forma zu reden, auch wenn’s für ein Bündnis Merkel-Westerwelle nicht reicht, ist mir aber zu hoch. Ich verstehe schon, dass Westerwelle die vielen enttäuschten Unionisten nicht verprellen will, die ihm diesmal nur die Stimme leihen. Doch dass ein Liberaler mit einer SPD, die wegen Hartz IV und Rente mit 67 am Abgrund torkelt, nicht mehr reden kann, ergibt keinen Sinn. Eine Union, die Westerwelle hämisch »sozialdemokratisiert« nennt, ist einzig denkbarer Koalitionspartner? Sorry, da komme ich nicht mehr mit. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, als man SPD-FDP-Koalitionen für etwas Natürliches hielt. Jetzt sollte ich mich wohl schon mal auf Schwarz-Gelb 2.0 einstellen.
Die Protagonisten haben ein starkes Argument: Wir oder das Chaos! Da ist ganz sicher was dran. Merkwürdig nur, dass Union und FDP völlig konträr für Schwarz-Gelb werben. Hilf uns, Merkel aus den Sozi-Klauen zu befreien!, ruft Westerwelle. Sie hat zwar Opel gerettet und Banken verstaatlicht, aber eigentlich ist sie ganz okay. Wir müssen die Leipziger Reform-Angie freilegen!
Anders die Kanzlerin: Ich will die Liberalen vor dem schlimmsten neoliberalen Irrsinn bewahren, flüstert sie. Ich werde ihnen in der Regierung schon die Lektionen der Finanzkrise beibiegen. Wir müssen Guido zähmen, ich schaffe das.
Diese beiden wollen das Chaos verhindern?
Ein linker Freund kam letztens mit folgender Theorie: Wenn du willst, dass sich eine linke Mehrheit formiert, musst du FDP wählen. Nur Schwarz-Gelb macht Rot-Rot-Grün möglich.
Das ist mir einen Tick zu schlau. Als Wechselwähler brauche ich zwei funktionierende Lager, geführt von Volksparteien: Regierung und Reserveregierung – für den Fall, dass die erste Mannschaft Mist baut. Das spricht gegen die Große Koalition. Ich will aber auch nicht, dass die SPD gedemütigt wird. Uff. So schlimm war es noch nie. Drei Tage noch. Bis Sonntag vor der Kirche werde ich doch wohl wissen, was ich wählen soll!
Aber das habe ich letztes Mal auch gedacht.