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Sorgen eines Wechselwählers (7): Bekenntnis eines politischen Geisterfahrers

 

Zum letzten Mal – meine wöchentliche Kolumne zur Bundestagswahl (aus der ZEIT von morgen, Nr.41, S. 7):

Ich akzeptiere ohne Umschweife, dass ich die Wahl verloren habe. Es hilft kein Drumherumreden: Ich finde mich auf der Seite der Verlierer wieder. Ich habe SPD gewählt.
Überrascht bin ich allerdings nicht. Ich habe schließlich mit knirschenden Zähnen rot gewählt, weil mir das Desaster schon schwante. Und jetzt kann ich es ja sagen: Ich wollte sie gar nicht unbedingt an der Macht sehen, die Sozis. Elf Jahre sind erst mal genug. Diese Partei braucht eine Macht-Pause.
Das klingt paradox. Aber am letzten Sonntag schien es mir plötzlich vernünftig, eine chancenlose SPD zu wählen. Schwarz-Gelb verhindern? Darum ging es nicht mehr. Selbst wenn die Chance noch bestanden hätte: Ich hätte nicht mein Kreuz bei der SPD gemacht, um Merkel-Westerwelle zu blockieren. Ich hatte nun mal – und habe immer noch – keine Angst vor Angela und Guido. Mehr noch: Die Kampagne gegen die beiden als sozial kalte, radioaktiv strahlende Finanzhaie fand ich einfach nur töricht. Sie roch unangenehm nach den Achtzigern, als die Linke noch gegen die »geistig-moralische Wende« wetterte, als Kohl sie längst abgeblasen hatte.
Ich bin Wechselwähler. Durch Merkel bin ich vor vier Jahren schwach geworden und vom Rot-Grünen zum Unionswähler mutiert. Bereut habe ich es zwar nicht. Doch nun habe ich zu meinem eigenen Erstaunen noch einmal rot gewählt – vom erwartbar verlorenen Posten aus.
Eigentlich liegt mir das nicht. Ich will mit meiner Stimme etwas bewirken. Und beim Blick auf die Wählerwanderunsgdiagramme überkommt mich ein beißendes Gefühl der Vergeblichkeit: Der Wanderungssaldo zwischen SPD und Union beträgt 620.000 zu Gunsten der Kanzlerin! Hunderttausende Genossen stimmen für Merkel – und noch erstaunlicher: 430.000 wandern zur erzbösen FDP? Und ich auf der  Gegenspur als politischer Geisterfahrer?
Ich hatte es ja geahnt: Warum dennoch SPD? Eben weil ich mir schon dachte, dass die Stammkundschaft zuhause bleiben würde. Aber so viele – das hat mich doch umgehauen! Meine zarte Wechselwählerstimme ist kein Ersatz für zehn Hartz-4-Empfänger, die gar nicht mehr wählen.
Mein Wahlziel am letzten Sonntag war nur noch, die Demütigung der Partei zu verhindern. Damit bin ich – zugegeben – grandios gescheitert. Denn anders als meine Wenigkeit hat der SPD-Stammwähler nach elf Jahren Regierung keine sentimentalen Anwandlungen. Im Gegenteil. Nahezu zwei Millionen von seiner Sorte sind einfach zuhause geblieben. Seit 1998, rechnen uns die Demoskopen jetzt vor, hat sich die Wählerschaft der Sozis halbiert. Vielleicht haben die Leute ja Recht und die SPD braucht eine unmißverständliche Botschaft. Aber ein Desaster biblischer Dimension? Wo bleibt die Gerechtigkeit?
Klingt ganz schön sentimental.
Sei‹s drum: Ich habe nicht bloß aus Gefühligkeit und Mitleid SPD gewählt. Ich hatte ernsthafte taktische, demokratietheoretische Gründe. Ich glaube nämlich an das Modell der Volkspartei, das jetzt ein bisschen voreilig für obsolet erklärt wird. Ich hoffe sogar, in Zukunft wird es mehr als zwei davon geben. Keine Partei hat hierzulande Überlebenschancen als krawallige Klientelpartei, und das ist auch gut so. Alle müssen Volksparteien werden. Die FDP übt schon, die Linke sperrt sich im falschen Triumphgefühl. Und darum wird die SPD noch einmal gebraucht, genau wie die Union in ihrem Lager.
Ich bin merkwürdiger Weise auch als Verlierer eigentlich recht zufrieden mit dieser Wahl. Die Große Koalition war zwar besser als ihr Ruf. Sie hat die beiden Großen gezwungen, sich über ihre Nähe ehrlich zu machen. Aber für uns Wechselwähler war sie Gift. Wir brauchen keine ideologischen Lager im vermufften Retro-Look, aber ohne erkennbare Alternativen geht es nicht.
Eine stabile Regierung zu haben, ist nämlich nur das eine. Die Aussichten dafür stehen jetzt immerhin nicht schlecht. Aber für meinen seelischen Comfort als Wechselwähler ist wichtig, dass die Opposition als übernahmebereite Reserveregierung bereitsteht. Und da hakt‹s: Nach der Riesenklatsche vom Wochenende sehe ich nicht, wie das linke Lager sich unter Führung der Sozis zur schlagfähigen Ersatzmannschaft formieren könnte. Es ist ja nicht mal absehbar, ob die Sozis sich selber so bald eine neue Führung zimmern können. Viel hängt davon ab, ob der Linkspartei die SPD nun endlich klein genug ist – oder ob die wahre Demontage jetzt erst los geht.
Warum bin ich trotzdem alles in allem zufrieden? Die Volksparteien sind jetzt frei, unser zunehmend chaotisches Parteiensystem neu zu ordnen: Die Union muß der FDP die marktpopulistischen Flausen austreiben. Und die SPD (zusammen mit den Grünen) der Linken den Retro-Geist. Beide Parteien, die sich noch standhaft weigern, aus der Krise zu lernen, müssen sanft in die Gegenwart geführt werden. Und da hat die Machtverteilung ihren Sinn: Die Union kann das mit der FDP nur in der Regierung schaffen, die SPD mit der Linken nur in der Opposition.
Steinmeier war groß im Unglück: einen so graziösen Loser habe ich noch nie gewählt. Wer so anmutig, fair und ohne Ressentiment verlieren kann, dachte ich am Sonntagabend, dem möchte man wünschen, eines Tages auch mal zu gewinnen. Schon wieder diese Sentimentalität! Halten wir fest: Ich habe SPD gewählt, und die Partei hat verloren. Es war für die Katz.
Es tut mir zwar nicht leid. Trotzdem mache ich das so bald nicht wieder. Jedenfalls nicht aus dem gleichen Grund. Nächstes Mal, liebe Genossen, brauche ich schon ein besseres Motiv.