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Moscheentour mit Siggi (und Peter)

 

Wow, was für ein langer Tag. Ich sitze im ICE von Bochum zurück nach Berlin. Ich habe mal in Bochum studiert und sehe den langsamen Absturz dieser Stadt unter Schmerzen. Die ganze Innenstadt ein Ein-Euro-Laden. Bitter.

Aber ich habe an diesem Tag auch anderes gesehen, in Oberhausen, Mühlheim und Essen. Weil ich darüber ein längeres Print-Stück schreiben will und mir nicht meine Pointen kaputtmachen will, hier nur ein paar Auffälligkeiten:

– Gabriel war erstaunlich stark. Natürlich ist es auch Wahlkampf, wenn einer dieser Tage durch die Moscheen des Ruhrgebietes zieht. Aber das macht die Sache ja nicht illegitim. Er hat auch keine Problem das zuzugeben, sondern sagt ganz offensiv: Es war ein Riesenfehler, dass wir um die türkischstämmige Community nicht schon längst mehr geworben haben. So haben wir dem türkischen Staat die Lücke gelassen, diese Menschen immer noch als eine Art Reservearmee zu behandeln.

– Sehr stark auch, wie Gabriel mit jungen Leuten umgehen kann. Da merkt man den (wahrscheinlich ziemlich guten) Deutschlehrer. Ein paar türkische Jungs standen vor einer der Moscheen mit einer türkischen Fahne. Er ging gleich hin und stellte sie zur Rede: Warum die türkische Fahne? Die Jungs waren verdattert. Als Gabriel wiederkam, nachdem er mit Demonstranten geredet hatte, hatten die beiden eine deutsche Fahne aufgespannnt. Wow, Ihr könnt wirklich organisieren, versetzte Gabriel. Da können wir uns was abschauen. Großes Gelächter.

– Ich habe gesehen, wie unter Türken eine sehr lebendige Debatte über Integrations- und Bildungsdefizite in Gang kam, und zwar in den Moscheen! Männer und Frauen beteiligten sich daran, und das sehr kontrovers. Sehr gut! Auch ein Effekt der intensiven Thematisierung in den letzten Jahren, inklusive Islamkonferenz.

– Ich habe gesehen, wie sich ganz gewöhnliche anständige Bürger – vom katholischen Kirchenchor St. Josef bis zur Linkspartei – gegen den Hassmob stellen, der Moscheen zu Fronten eines Kulturkampfes zu machen versucht. Sie gehen einfach hin in diese Moscheen. Und siehe da, die Moscheevereine sind stolz, endlich mal Gastgeber sein zu können. So ist das richtig: Hingehen, reden. Aber auch: Deutlich machen, dass diese Menschen hier erwünscht sind. Das ist nämlich keineswegs das Grundgefühl bei vielen Deutschtürken. Dazu muss man überhaupt nicht über Probleme und über manchen Dissens hinwegtäuschen. Aber man muss eben Kontakt haben und pflegen. Ich merke das selbst bei vielen der Funktionäre, die ich immer wieder treffe. Erst beim langen Reden merkt man, in welcher Welt der andere lebt und welches Bild er sich von einem macht. Das hat alles erst angefangen. Und darum war es sehr richtig, dass Gabriel diese Tour gemacht hat. Peter Maffay – der Rockmusiker mit transsylvanischem Migratonshintergrund – war mehr Ornament, aber was soll’s.

– Ein bisschen bizarr war das schon: Nach Jahrzehnten entdeckt die deutsche Politik eine Lebenswirklichkeit wie ein exotisches fernes Land, zu dem man endlich einmal eine Reise wagt. Es war aber die ganze Zeit schon da, wie „Panama“ in der Geschichte von Janosch.

Ich hoffe, dass solche Besuche etwas Alltägliches werden, nicht nur in Wahlkampfzeiten.

(Bericht folgt.)