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Für einen Verein liberaler Muslime

 

Der Kollege Eren Güvercin hat ein Interview mit der Theologin und Religionspädagogin Lamya Kaddor geführt, das ich heute morgen im Auto hörte. (Ich bin Deutschlandfunk-Junkie, der Sender läuft bei mir immer im Hintergrund.) In diesem Interview nun ging es um den Begriff des „liberalen Islam“. Kaddor will nämlich eine Vereinigung „liberaler Muslime“ gründen. (Hier eine Kolumne von Hilal Sezgin dazu.)
Der Anstoss dazu kommt aus dem Versagen der existierenden Verbände, in denen moderne, durch ihr Leben in Deutschland geprägten Muslime sich nicht repräsentiert fühlen.
In dem Interview erklärt Kaddor, warum sie sich als Muslima berechtigt fühlt, auf ein Kopftuch zu verzichten.
Sie beklagt auch den „erbärmlichen Bildungsstand“ der Jugendlichen, die sie im islamischen Religionsunterricht kennenlernt. Sie hätten eine „islamische Identität“ nahezu ohne jede Substanz. Diese Jugendlichen bräuchten dringend Wissen über ihren Glauben, um, so Güvercin, aus ihrer „Scheinidentität“ herauszufinden.
Ich finde das richtig, wie ich auch religiöse Bildung bei Christen, Buddhisten, Juden, Shintoisten etc. für wünschenswert halte.  (Im evangelischen Religionsunterricht lernen meine Kinder auch eine Menge über andere Religionen. Zuletzt war das Judentum dran. Jetzt wird mir erklärt, was koscher ist und wie sich Ostern und Pessach unterscheinden.)  Guter Religionsunterricht wird immer auch eine Menge Religionskunde enthalten – also vergleichende Elemente.
Es wäre darum sehr wünschenswert, wenn liberale Muslime wie Kaddor beim kommenden Streit um die Curricula für islamischen Religionsunterricht eine Rolle spielen würden – und nicht nur die intellektuell meist sehr anspruchslosen Verbandsvertreter.
Eins möchte ich aber festhalten: Religiöse Bildung bietet keine automatische Immunisierung gegen Radikalismus. Es kann auch nicht einfach gesagt werden: Die Radikalen wissen einfach zu wenig über den Islam. Viele der Extremisten, die uns den Schlaf rauben, sind hoch gebildet und geistig rege. Ja, es ist leider so: Gerade das intellektuelle Interesse am Glauben kann – in Kombination mit anderen Faktoren – in den Radikalismus führen. Religionen sind gefährlicher, leicht entflammbarer Stoff. Dsa sollte man nicht durch einen idealistischen Bildunsgbegriff verschleiern.
Es kommt darauf an, dass es endlich einmal einen fairen Kampf zwischen Radikalen und Moderaten geben kann. Lamya Kaddor weiß das natürlich, und deshalb will sie ja den Liberalen eine institutionelle Stimme geben.
Was Sie über die Zeitbedingtheit der Vorschriften über die weibliche Verhüllung sagt, als wäre es eine Wahrheit, die jede(r) erkennen muss, wenn er nur tief genug schürft, ist in Wahrheit (noch) eine Minderheitenmeinung – die Meinung einer winzigen, aber nicht chancenlosen Minderheit.
Eben darum verdient sie Unterstützung.