Der Sachverständigenrat der deutschen Stiftungen, die sich mit Fragen von Migration und Integration beschäftigen, hat eine interessante Untersuchung vorgelegt. Man hat unter Zuwanderern gefragt, wem die Deutsche Islamkonferenz bekannt sei. Die Ergebnisse frappieren, jedenfalls auf den ersten Blick:
„Insbesondere die Deutsche Islam Konferenz (DIK) ist der Hälfte der Zuwanderer unbekannt, gut bekannt ist sie nur 11%. Auch bei den muslimischen Zuwanderern haben 43% noch nie davon gehört. Besonders bedenklich erscheint, dass in Deutschland geborene Muslime die DIK mit 47% sogar noch weniger kennen als selbst zugewanderte Muslime (42%). Bei der Mehrheitsbevölkerung hat hingegen nur ein Drittel keine Ahnung von der DIK. Bei der Zuwandererbevölkerung deutlich bekannter sind praktische Maßnahmen wie der Einbürgerungstest.“
Die Ergebnisse der Umfrage werden in folgenden Schaubildern aufbereitet:
Ich muss sagen, das ich nichts davon wirklich überraschend oder alarmierend finde: Dass die Bekanntheit der Islamkonferenz mit dem Bildungsgrad steigt, ist zu erwarten. (Wer ohne Abi und FAZ-Abo hat schon einmal von der „Föderalismuskomission“ gehört, deren Folgerungen enorme Konsequnzen fürs tägliche Leben hatten?) Und auch dass neu zugewanderte Muslime ein höheres Maß an Aufmerksamkeit für ihre neue Heimatgesellschaft mitbringen, ist nicht wirklich eine Sensation. Dass die in Deutschland geborenen Muslime leider viel zu wenig Interesse für das politische Leben hierzulande aufbringen, selbst wenn tua res agitur, ist ebenfalls bekannt, und es fällt auf sie selbst zurück.
Kann die Politik mehr tun, um besser zu informieren? Sicher, aber wie erreicht die Politik Menschen, die sich für Politik nicht interessieren?
Bleibt die Tatsache, dass fast die Hälfte der muslimischen Befragten keine Ahnung von der DIK hat – ganz so wie bei der deutschen Mehrheitsbevölkerung mit niedrigem Abschluss (bei den höher gebildeten Muslimen immerhin noch etwa ein Drittel).
Das korrespondiert mit der Mediennutzung vieler zugewanderter Muslime: Vor allem bei den weniger Gebildeten, aber auch bei den gut Ausgebildeten ist der Zugang zu deutschen Qualitätsmedien, die intensiv über die DIK berichtet haben, immer noch sehr begrenzt. Das ist in einer Einwanderungsgesellschaft eben so: Es dauert Generationen, bis man die Nutzung der etablierten Medien beherrscht und deren Diskurse versteht. Geschweige denn bis man dort Karrieren machen kann, die diese Medien auch von innen her, von der Macherseite verändern. Die Karrieren von Einwanderern und deren Kindern in den Medien gehen langsamer voran als in anderen gesellschaftlichen Bereichen, in denen verallgemeinerbares, formalisiertes Wissens entscheindend ist, nicht so sehr mit einer speziellen kulturellen Tradition verknüpftes Kontextwissen. Die Ausnahmen werden allerdings immer häufiger, und das ist gut so.
Die Ergebnisse der Umfrage werfen aber vor allem ein Licht auf die islamischen Organisationen, die doch behaupten, für die Mehrheit der Muslime hier im Lande zu sprechen. Warum gelingt es ihnen dann nicht, einer Mehrheit zu vermitteln, dass sie seit Jahren an einer Islamkonferenz teilnehmen, die sie selbst für wichtig und entscheidend halten?
Vielleicht ist dies die schlichte Wahrheit: Die Verbände – zusammengeschlossen im KRM (Koordinierungsrat der Muslime) – sind (wenn das unislamische Bild erlaubt ist) sind Damen ohne Unterleib. Sie vermitteln nicht in die Moscheen, warum sie nach Berlin fahren, was sie dort erreichen wollen, und warum wann wer für sie spricht.
Haben Sie überhaupt Kontakt zur Basis? Seit Neuestem zum Beispiel ist turnusgemäß Ali Kizilkaya Sprecher des KRM, der Vorsitzende des Islamrats. Herr Kizilkaya spricht für den KRM: Pech nur, dass der Islamrat von der Islamkonferenz ausgeladen wurde, weil gegen den Mehrheitseigner Milli Görüs staatsanwaltlich ermittelt wird. Bizarr: Der Verband der Verbände läßt sich also nun von jemandem vertreten, der bei der wichtigsten Veranstaltung (die eigentlich das Lebensrecht des KRM begründet) nicht dabei ist.
Ja Herrgottszeiten – warum soll sich denn Ali Normalmuslim für diesen Unfug interessieren, den die Verbände da anrichten?
In der Schlußfolgerung des Sachverständigenrats heißt es:
Die 2006 begründete Deutsche Islam Konferenz sollte den Muslimen die wichtige Botschaft überbringen, dass der Islam Teil Deutschlands und Europas sei, wie Bundesinnenminister Schäuble aus Anlass des ersten Treffens der DIK im September 2006 im Bundestag erklärte. Diese Botschaft scheint bislang in Politik und Publizistik in Deutschland und der Türkei sowie bei der deutschen Mehrheitsbevölkerung deutlich wirkungsvoller zu sein als bei der Zuwandererbevölkerung in Deutschland selbst. Erreicht hat die DIK jedoch den erstrebten Organisationsschub bei den islamischen Verbänden, dessen Ergebnis der Koordinationsrat der Muslime als Dachverband der vier größten islamischen Organisationen in Deutschland ist.
Der letzte Satz irritiert: Er wird von den Ergebnissen der Untersuchung widerlegt. Der erreichte „Organisationsschub“ hat uns mit dem KRM nur eine Dachorganisation von Dachorganisationen beschert, die offenbar nicht – oder viel zu wenig – mit der Basis in den Moscheen kommuniziert.
Dass die DIK einen Disskussionsschub vor allem in der Mehrheistgesellschaft (aber auch bei wichtigen Eliten der islamischen Minderheit) ausgelöst hat, ist kein geringes Verdienst. Soll man dagegen die scheinbar geringe Anteilnahme unter Muslimen ausspielen? (Ist sie denn so gering? Ist fast die Hälfte nicht ein guter Anfang?) Man kann die relative Gelassenheit der muslimischen Zuwanderer angesichts der DIK ja auch so, lesen: Wenn viele Muslime es sich leisten können, an dieser Debatte nicht teilzunehmen, spricht das vielleicht auch dafür, dass in diesem Land ein gutes Leben als Muslim möglich ist – besser als in den meisten Herkunftsländern. Ist der Leidensdruck vielleicht nicht so hoch, wie manchmal behauptet?
Eines scheint die Untersuchung zu unterstreichen: Ob man sich beim weiteren Vorgehen auf die Verbände verlassen kann, ist fraglich. Der Islam in Deutschland braucht eine breitere Repräsentanz, damit sich eines Tages auch Ali Normalmuslim in dem öffentlichen Gespräch über seine Religion wiederfinden kann.