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Kairo ist nicht Teheran

 

Charles Krauthammer schreibt in der Washington Post, Amerika brauche angesichts der demokratischen Welle im Nahen Osten eine „Freedom Agenda“. Er zieht eine Analogie zum Kalten Krieg, in dem die USA auch für die Freiheit und gegen den Totalitarismus standen – damals den Kommunismus der Sowjetunion. Heute sei der Islamismus die Gefahr, und Iran eine „Sowjetunion im Kleinen“, mit Satellitenstaaten wie Syrien, Libanon und Hamastan. Wie seinerzeit im Kalten Krieg müssen die USA der Beteiligung von Totalitären an den neu entstehenden Regierungen widerstehen. Man habe kürzlich im Libanon und zuvor in Gaza gesehen, was passiert, wenn man da nicht aufpasst. Für Ägypten heißt dies: keine Regierungsbeteiligung der Muslimbrüder.

As the states of the Arab Middle East throw off decades of dictatorship, their democratic future faces a major threat from the new totalitarianism: Islamism. As in Soviet days, the threat is both internal and external. Iran, a mini-version of the old Soviet Union, has its own allies and satellites – Syria, Lebanon and Gaza – and its own Comintern, with agents operating throughout the region to extend Islamist influence and undermine pro-Western secular states. That’s precisely why in this revolutionary moment, Iran boasts of an Islamist wave sweeping the Arab world.

(…)

We need a foreign policy that not only supports freedom in the abstract but is guided by long-range practical principles to achieve it – a Freedom Doctrine composed of the following elements:

(1) The United States supports democracy throughout the Middle East. It will use its influence to help democrats everywhere throw off dictatorial rule.

(2) Democracy is more than just elections. It requires a free press, the rule of law, the freedom to organize, the establishment of independent political parties and the peaceful transfer of power. Therefore, the transition to democracy and initial elections must allow time for these institutions, most notably political parties, to establish themselves.

(3) The only U.S. interest in the internal governance of these new democracies is to help protect them against totalitarians, foreign and domestic. The recent Hezbollah coup in Lebanon and the Hamas dictatorship in Gaza dramatically demonstrate how anti-democratic elements that achieve power democratically can destroy the very democracy that empowered them.

(4) Therefore, just as during the Cold War the United States helped keep European communist parties out of power (to see them ultimately wither away), it will be U.S. policy to oppose the inclusion of totalitarian parties – the Muslim Brotherhood or, for that matter, communists – in any government, whether provisional or elected, in newly liberated Arab states.

Ich fürchte nur: Weder die USA noch irgendeine andere westliche Macht hat dabei nennenswerten Einfluss. Und das liegt wiederum daran, wie wir unseren Einfluss bisher ausgeübt haben, beziehunsgweise wie nicht. Wir haben das Regime bedingungslos gestützt und der Opposition jenseits der MB keine Aufmerksamkeit geschenkt. Unsere Außenpolitik braucht immer Leute, mit denen man Deals machen kann, feste Strukturen, am besten schon so,  dass sie perfekt zu unseren eigenen passen (eine linke, eine rechte, eine liberale Partei). Alles andere, was sonst so in der Gesellschaft herumwuselt, ist irrelevant. Indem wir die Breite der Gesellschaft ignoriert haben, haben wir das Spiel des Regimes und er MB mitgespielt, die sich wechselseitig stärken und voneinander ihre Legitimiation beziehen („Ich halte euch die vom Leib!“  – “ Wir sind die einzige organisierte Opposition!“).

Auch Charles Krauthammer gessteht zu, dass die USA wohl nicht das letzte Wort haben werden über die Frage, wer wieviel mitreden wird in einer künftigen Regierung. Ich finde, er hat recht, die Obama-Regierung für ihre Gratis-Anerkennung der MB zu kritisieren. Bevor die Brüder mitmachen dürfen, stellen sich viele berechtigte Fragen. Sie werden auch von Ägyptern gestellt, und darum sollte die US-Regierung dem nicht vorgreifen mit einem Blankoscheck für „nichtsäkulare Kräfte“. (Man stelle sich mal die Aufregung vor, irgendjemand von außen würde Amerika raten, nichtsäkulare Kräfte sollten einbezogen werden in die Beratung einer neuen Verfassung.)

Richtig ist auch, dass der Westen säkulare demokratische Kräfte mit Ressourcen, Beratung und diplomatisch unterstützen sollte. Aber wie? Der Kalte Krieg ist vorbei. In einer globalisierten Medienwelt mit Facebook und Twitter funktioniert kein „Kongress für Kulturelle Freiheit„.

Vielleicht werden mich die Ereignisse Lügen strafen, aber bei aller Vorsicht wegen der künftigen Rolle der MB sehe ich eigentlich nicht, warum die Ereignisse in Tunesien und Ägypten in die große Erzählung des Kampfes gegen den neuen Totalitarismus (Islamismus) passen sollen. Es gibt Islamisten unter den Protestierenden und ausgeschlossen ist nicht, dass islamistische Parteien profitieren könnten. Aber zunächst einmal ist hier eine pluralistische Freiheitsbewegung zu sehen, die unsere Unterstützung verdient.

Ein Problem mit dieser großen Erzählung, in die Krauthammer nun alles einpassen will, ist auch folgendes: Der Westen hat nach 9/11 selber keine konsistente Politik gemacht. Den Krieg in Afghanistan konnte man als Kampf gegen den islamistischen Extremismus verstehen. Aber mit Saddam Hussein wurde ein säkularer Diktator gestürzt (ausgerechnet der Erzfeind jener neuen Komintern-Zentrale in Teheran !), der sehr viel mehr mit Hosni Mubarak gemein hatte als mit Ajatollah Chamenei. Die Islamisten konnten erst nach seinem Sturz im Irak Fuß fassen und mussten unter großem Blutzoll zurückgeschlagen werden (wer weiß für wie lange). Das ist eine der seltsamen Inkonsistenzen dieser Jahre: Der Westen hat einen säkularen Diktator gestürzt und damit Irak ins Machtfeld Teherans gebracht. Jetzt stürzen die Ägypter ihren Diktator, und der Westen schaut ängstlich zu und lässt die Demonstranten im Stich. Man muss sich einmal vorstellen, wie das von Kairo aus betrachtet erscheinen muss.