Angesichts des zweifachen Mordes (und offenbar vielfachen versuchten Mordes) am Frankfurter Flughafen ist jetzt mancherorts von einem „historischen Einschnitt“ die Rede, weil hier zum ersten Mal einem islamistischen Extremisten ein Mord in Deutschland gelungen sei.
Also bitte: Den Gefallen sollten wir Arid U. nun wirklich nicht tun, diese abscheuliche Tat zu einer Zeitenwende zu stilisieren. Richtig ist: Bisher haben in Deutschland radikalisierte junge Muslime nur im Ausland gemordet, hierzulande blieben ihre Planungen (Sauerländer) und Versuche (Kofferbomber) meist stümperhaft oder konnten vereitelt werden. Nun ist also ein Mann mit einer Pistole auf amerikanische Soldaten losgegangen und hat zwei erschossen, zwei weitere schwer verwundet und ist an einem weiteren Opfer durch glücklichen Zufall gescheitert (Ladehemmung), worauf er überwältigt werden konnte. Und daraus sollen wir eine neue Epoche ableiten? Bitte nicht.
Dpa berichtet:
Nach Angaben der Bundesanwaltschaft hat sich die Tat folgendermaßen abgespielt: Arid Uka fuhr bewaffnet mit Pistole und zwei Messern zum Flughafen und schaute sich dort nach US-Soldaten um. Als er eine Gruppe erkannte, fragte er nach einer Zigarette und wollte sich vergewissern, dass die Soldaten tatsächlich auf dem Weg nach Afghanistan waren. Als ein Soldat dies bestätigte und sich in Richtung Bus verabschiedete, schoss ihm Arid Uka von hinten in den Kopf.
Dann betrat er laut Bundesanwaltschaft den Bus, der die Soldaten zum US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein bringen sollte. Dort richtete er erst den 21 Jahre alten Busfahrer hin, dann ging er weiter und schoss auf einen 25-Jährigen und auf einen 21-Jährigen, die beide schwer verletzt überlebten.
Bei seinem fünften Opfer versagte die Pistole. Er hatte die Waffe direkt auf den Kopf des Opfers gerichtet und zweimal abgedrückt, schilderte Griesbaum den Vorgang. Die Kugeln lösten sich jedoch nicht, da eine Hülse im Lauf verklemmt war. Als der Attentäter flüchtete, nahm der Soldat die Verfolgung auf und stellte ihn wenige Meter später. Mehrere Polizisten kamen ihm zu Hilfe.
Ich lebe seit Jahren mit der Gewissheit, dass ein Anschlag in Deutschland auch einmal gelingen würde. Es ist ja eher seltsam, wie wenig hier bisher geschehen ist. Das darf man wohl auch unseren Behörden gutschreiben. In der bewegten Welt des gewaltsamen Dschihadismus sind wir zum Glück bisher ein Nebenschauplatz. Soeben wird gemeldet, dass in Pakistan im Distrikt Nowshera eine sufistische Moschee angegriffen wurde: bisher 5 Tote und 10 Verletzte. Vor wenigen Tagen erst ist dort der christliche Minderheitenminister ermordet worden. So geht das Schlag auf Schlag. Da bahnt sich vielleicht wirklich ein historisches Ereignis an: Pakistan im Griff des Terrors.
Der Frankfurter Täter aber entspricht einem Muster, das wir in jüngster Zeit immer häufiger gesehen haben: ein Einzelgänger, der sich offenbar rasend schnell selbst radikalisiert, mit Hilfe von Facebook und Youtube. Er hatte große Sympathien für die Salafisten-Szene, die seit geraumer Zeit im Zentrum der Sorgen des Verfassungsschutzes steht. Dort wird oft nicht unmittelbar zur Gewalt aufgerufen, aber die Szene ist ein Durchlauferhitzer der Radikalisierung, weil sie eine eine strikte Segregation des „wahren Glaubens“ vom „Unglauben“ predigt, weil sie die Wahnwelt eines von allen Einflüssen zu „reinigenden“ Glaubens vertritt und den Anhängern das Bild einer heutigen Welt vermittelt, die dem Islam (wie ihn die Salafisten verstehen) insgesamt feindlich gegenüber stehe. Kürzlich war ich bei einer Gruppe des Verfassungsschutzes in Niedersachsen zu Gast, die sich mit Strategien gegen Radikalisierung befasst: (Neo)Salafismus ist die Sorge Nummer eins dort. Offenbar zu recht.
Das Problem mit Tätern wie Arid U. ist, dass sie oft keine (langen) Bindungen an Gruppen haben, die sie zu geeigneten Beobachtungsobjekten machen würden. Die Instant-Radikalisierung aufgrund von Medienereignissen und -konsum ist oft für deren Umgebung nicht einmal bemerkbar.
Man muss also die radikale Propaganda viel stärker an der Wurzel angehen. Die Anstrengungen im Internet und in den sozialen Netzwerken müssen verstärkt werden (das ist heute so wichtig wie polizeiliche Moscheebesuche, die übrigens die Regel sind). In dem Video, das der Täter zu seiner Motivation angegeben hat, sollen „angeblich US-Soldaten ein Haus in Afghanistan geplündert und ein Mädchen vergewaltigt“ haben. „Solche Gräueltaten wollte er nach seinen Angaben verhindern“, heißt es in den Bericht. Das kann natürlich auch eine ausgedachte Entlastungsstrategie sein.
DPA schreibt: „Wenn sich dieses Motiv erhärte, sei es ein klarer Beleg dafür, dass die Tat aus persönlichen Gefühlen entstanden sei – außerhalb terroristischer Strukturen, sagte der stellvertretende Generalbundesanwalt Rainer Griesbaum. Allerdings zeige sich daran auch die Gefahr der islamistischen Propaganda im Internet, die gezielt junge Männer anspreche und zu solchen Taten bringe. Deshalb müsse der Kampf gegen diese Propaganda verstärkt werden.“
Letzteres ist richtig. Aber das Wort von den „persönlichen Gefühlen“ ist hier irreführend.
Wir haben es vor allem mit einer Ideologie zu tun, die solche Gefühle erzeugt. Sie muss bekämpft werden.