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Das Internet als Subkultur des Hasses

 

Es war eine interessante Erfahrung, hier auf diesem Blog einen digitalen Flashmob zu erleben, der von Herrn „kewil“ von PI ausgesandt worden war. Ich hatte meine Genugtuung über das schlechte Abschneiden der „Freiheit“ bekundet. War das der Grund für die hoch kochenden Gefühle, oder mehr noch die Einschätzung, dass der Rechtspopulismus in Deutschland auf absehbare Zeit marginal und ungefährlich bleiben wird?
Ich wollte eigentlich etwas Anti-Alarmistisches schreiben, habe aber eben damit Alarm in der Szene ausgelöst (die derzeit von den Enthüllungen durch die Journalisten der Dumont-Gruppe arg gebeutelt wird).
Merkwürdig: So interessant und erhellend ich die Interna finde, die von FR und Berliner Zeitung ausgegraben wurden (es gibt offenbar ein Leck oder einen Maulwurf bei PI), so wenig überzeugt mich der dräuende Ton: Ich bleibe dabei, das ist ein unangenehmer, häßlicher Spuk, der politisch weitgehend folgenlos bleiben wird. Dieses Land läßt sich nicht verrückt machen. Populismus funktioniert in Deutschland nur (noch) links. Und nicht mal dort, siehe den Niedergang der Linkspartei.
Gut so!
Von einigen der Kommentare war ich aber doch einigermaßen bestürzt. Kaum verhüllte Mordphantasien. Persönliche Anspielungen auf meine Familie. Kenntnisfreie Anklagen, ich wolle die Scharia einführen oder dergleichen.


Es ist doch recht unangenehm zu erleben, wie sich virtuelle Gruppen so schnell enthemmen können. Keine Frage, dass da auch Radikalisierungsprozesse möglich sind, wie wir sie etwa aus der Salafistenszene kennen. Nicht unmöglich, dass verwirrte einzelne da irgendwann gewalttätig werden.

Das meiste allerdings ist doch wohl eher entlastende und entspannende Meinungsmasturbation. Eine Art – Pardon! – politpornografisches Kreiswichsen. Man überbietet den Vorredner immer wieder in Beschimpfungen des Linksfaschisten Lau, des schlimmsten Journalisten seit Goebbels…. Also bitte: Wenn’s danach besser geht: be my guest!
Einige der Hereingeschneiten wunderten sich darüber, dass ihr Zeugs hier nicht wegzensiert wurde. Manche schrien geradezu danach, dass man sie löschen möge, damit das Weltbild wieder stimmt, dass man in diesem Land die Wahrheit nicht mehr sagen kann.

Tja, was nun? Es steht alles da, in seiner ganzen selbst entlarvenden Erbärmlichkeit.
Ich bleibe dabei, dass diese Szene politisch keine Zukunft hat in Deutschland. Der Mundgeruch des Ressentiments stößt dann doch viele ab, gerade auch jene, die sich zu Recht sorgen machen um das Einwanderungsland D.

Für mich ist das ein Grund dafür, stolz auf dieses Land zu sein.
Ich kann aber auch verstehen, dass es anderen, die ähnlichen Hassattacken ausgesetzt sind, nicht so leicht fällt, dergleichen mit einem Achselzucken abzutun. Wäre ich Moslem, wäre ich Türke oder Araber, ich hätte schwächere Nerven nach solchen Attacken.
Genau wie Seyran Ates, die umgekehrt die Hassattacken von jenen Türken, Arabern, Muslimen nicht so leicht abtun kann, die sie als Nestbeschmutzerin angreifen. Oder wie Henryk Broder, der immer wieder fieses antisemitisches Zeugs ertragen muß.
Ich aber werde nicht zu irgendeiner Minderheit gerechnet, daher habe ich es ziemlich einfach, ruhig zu bleiben.
Ratlos lassen mich viele der fast 1.000 Kommentare zurück, was die segensreiche Wirkung (Hallo Piraten!) des Internets angeht. Von selbst kommt sie nicht, und es ist im Gegenteil auch Fürchterliches darin möglich. Das Netz ist auch ein sehr gutes Mittel zur Selbst- und Gruppenverhetzung.

Ich denke (hoffe), dass auch unter den Schreibern viele sind, die sich im wirklichen Leben schämen (würden) für das, was sie da absondern. Sie würden so etwas wohl nicht auf Papier schreiben und zur Post bringen, mit Absender und Briefmarke. Das zeigt, dass unser Internet-Ethos unter den Möglichkeiten des Mediums bleibt.
Verbote und Zensur können den Weg aus dem Schlamm von Ressentiments und Hass nicht weisen. Die besondere Form der Enthemmung, die online möglich ist, spricht dafür, dass das Netz viele Leute doch immer noch überfordert. Es ist ein Medium für Erwachsene – mit einer gewissen Triebkontrolle und Selbststeuerungsfähigkeit.
Und übrigens auch Bereitschaft zur Selbstkritik. Wo wir schon dabei sind: das Wort „verachtenswert“ hätte nicht sein müssen. Und auch dass ein breites Publikum die ironische Referenz auf Nietzsche („blonde Bestie“, übrigens ein positiver Begriff!) nicht versteht, wenn doch der Gemeinte nur blondiert ist, hätte ich wissen müssen.