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Der Turban und die Bombe

 

Im letzten Monat war ich auf einem Podium mit Flemming Rose, dem Redakteur der Jyllands Posten, der seinerzeit die Karikaturen in Auftrag gegeben hatte, die dann einen weltweiten Skandal auslösten. Wir diskutierten beim Berliner Literaturfestival über Blasphemie und Meinungsfreiheit. Ich war der Moderator des Abends. Den Veranstaltern hatte ich geraten, als Muslimvertreter Aiman Mazyek einzuladen. Mazyek kam dann auch, es hätte eine interessante Debatte werden können. Irgendwie hat es nicht funktioniert. Vielleicht war es meine Schuld. Schade, eine verpasste Gelegenheit. Rose und Mazyek waren sich schon einmal in Washington begegnet. Die beiden haben sich durchaus etwas zu sagen.

Wie dem auch sei: Es war gut, Flemming Rose wieder zu sehen. Ich hatte ihn seinerzeit in Kopenhagen getroffen, als ich über die Karikaturen-Affäre recherchierte. Er kann mittlerweile wieder seinem Beruf nachgehen, er ist Auslandschef der JP, er tritt nicht oft auf, Berlin war eine Ausnahme. Zwei sehr breitschulterige Herren begleiteten ihn. Die JP muss viele Millionen für Sicherheit ausgeben, das Gebäude in Kopenhagen hat mehrere Schleusen. Immer wieder gibt es glaubhafte Drohungen. Es ist irre, dass man das in unseren Zeiten für normal hält.

Die Zeichnung, die am meisten Erregung ausgelöst hat, ist bekanntlich die von Kurt Westergaard angefertigte, die einen Mann mit Turban zeigt, in dem Turban eine Bombe. Westergaard selber ist vor gar nicht langer Zeit einem Anschlag knapp entkommen, weil er einen „panic room“ in seinem Haus hat.
Diese Zeichnung war mir vor einigen Wochen wieder eingefallen, als ich über die Ermordung des afghanischen EX-Präsidenten Rabbani las. Der Attentäter hatte die Bombe in seinem Turban zu Rabbani geschmuggelt, der die Friedensgespräche mit den Taliban leitet. Unglaublich, dachte ich, wie von Westergaard gezeichnet! Das ist es, was Westergaard anprangert! Nicht Mohammed als Terroristen, wie immer behauptet wurde: sondern der Mißbrauch der Religion (hier eines Kleidungsstücks, das mit dem Islam identifiziert wird) für den Terrorismus. Warum, dachte ich, regen sich die Muslime nicht über diese reale Entweihung ihrer Religion auf, statt sich über eine Zeichnung zu erregen? (Nun ja, manche tun es. Aber lauter sind die Typen, die Westergaard für das Übel halten und über die realen Turban-Killer schweigen.)
Heute, endlich, fand ich in der New York Times einen Aufsatz, der eben dies tut: die Schande zu reflektieren, die in dem Mißbrauch der Religion, hier des Turbans als Symbols für religiöse Vertrauenswürdigkeit, liegt. Es sei, schreibt die Autorin, als wollte das Leben die Kunst Westergaards nachahmen.
Zitat:

LAST month in Kabul, a man posing as a Taliban peace emissary managed to pass checkpoints, iron gates, and security guards with explosives tucked away in the folds of his turban, on his way to meet former President Burhanuddin Rabbani in his home.

Mr. Rabbani, head of the High Peace Council in Afghanistan, offered his guest a welcoming hug and unsuspectingly triggered the deadly bomb. Similarly, in July, the mayor of Kandahar, Ghulam Haider Hamidi, and a few days earlier, a top religious leader in southern Afghanistan, were assassinated by bombs concealed in turbans. The latter detonated in a mosque.

It is as though life is imitating art and these terrorists are acting out the Danish cartoons that prompted violent, sometimes deadly riots in more than a dozen Islamic countries in 2006. At the heart of the violent fury was an offensive representation of the turban. Some of the 12 controversial cartoons conjoined the turban with the sword, or with its modern counterpart, the bomb. This was identified by Anders Fogh Rasmussen, then the Danish prime minister, as his country’s worst international crisis since World War II.

Gut, dass das einmal ausgesprochen ist. Der nächste Schritt fehlt noch: Flemming Rose ist großes Unrecht geschehen. Er hat Anspruch auf eine Entschuldigung, mindestens ein Wort des Bedauerns. Von wem? Von allen Muslimen, deren moralischer Kompass noch funktioniert, und die beurteilen können, wer den Islam beleidigt: Der Mann, der einen Turban mit Bombe druckt, oder der Mann, der eine Bombe im Turban trägt? Der Artikel in der Times beweist, dass es welche gibt, denen diese Unterscheidung nicht schwer fällt.