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Einladung zum Paradies: Wie die Salafisten in Mönchengladbach scheiterten

 

Islamisten wollen in Mönchengladbach ihr Hauptquartier errichten. Ein Anwohner tritt ihnen entgegen, gründet eine Bürgerbewegung. Plötzlich wird Feuer gelegt, der Konflikt spitzt sich zu Von JÖRG LAU

ZEIT-Dossier aus Nr. 42 vom 13. Oktober
Wenn nur dieser rheinische Singsang nicht wäre. Wie soll man Abu Adam ernst nehmen, wenn er sich ständig über Menschen aufregt, die er »Jötzendiener« nennt? Abu Adam trägt eine weiße Häkelmütze und ein arabisches Gewand. Sein dunkelblonder Rauschebart kommt so besonders gut zur Geltung. Er hat sich in Rage geredet. Die rechte Hand schnellt in die Höhe, der Zeigefinger peitscht die Luft. Er hält das Freitagsgebet in der Mönchengladbacher Moschee Masjid As-Sunnah, einem schäbigen Haus, in dem früher ein Ladenlokal war. Hier trifft er sich mit seinen 50 Glaubensbrüdern, den Salafisten vom Niederrhein. Er ruft ihnen zu: »Überall werden wir fertiggemacht. Terroristen, Verrückte, Wahhabiten! Die lachen, wenn sie unsere Bärte sehen. Die lachen, wenn sie unsere Gewänder sehen. Die lachen dich aus. Dabei musst du stolz sein, weil das eine Bestätigung ist. Eine Bestätigung, dass du dem Gesandten Allahs folgen darfst. Aber du, statt stolz zu sein, Muslim sein zu dürfen, du duckst den Kopf.« Abu Adam ballt seine Faust. Er brüllt.

Abu Adam ist ein Junge aus Mönchengladbach, auch wenn er sich wie ein saudischer Scheich kleidet. Sein bürgerlicher Name ist Sven Lau (die Namensgleichheit mit dem Dossier-Autor ist zufällig). Er ist 31 Jahre alt. Viele hier im Viertel kennen ihn seit seiner Kindheit. Seitdem sich aber »der Sven«, wie ihn Nachbarn nennen, in Abu Adam verwandelt hat, ist hier nichts mehr, wie es war. Polizisten sind gekommen, Leute vom Verfassungsschutz, Politiker aller Parteien. Sven Lau hat versucht, den unauffälligen Stadtteil Eicken zum Hauptquartier des fundamentalistischen Islams zu machen, das war der Beginn einer komplizierten Schlacht.

Salafisten sind extreme Islamisten, die seit Kurzem in Deutschland stärker in Erscheinung treten. Sie lesen aus dem Koran die radikalen Botschaften heraus, sie stellen die Scharia, das islamische Recht, über das Grundgesetz und predigen, den Ungläubigen drohe die Hölle. Der Salafismus war die ideologische Grundlage des Terroristen Osama bin Laden. Verfassungsschützer haben festgestellt, dass nicht alle Salafisten Terroristen sind, aber alle jungen Männer, die in den letzten Jahren von Deutschland aus in den sogenannten Heiligen Krieg gezogen sind, Kontakt zu Salafisten hatten.

Im September wurde in Köln Anklage gegen einen dieser Hassprediger erhoben, den Kopf eines salafistischen Netzwerkes. Im selben Monat wurden in Berlin zwei Männer verhaftet, die versucht haben sollen, Sprengstoff zu beschaffen, und die Kontakt zu Salafisten hatten. Im März dieses Jahres erschoss ein 21-jähriger Islamist am Frankfurter Flughafen zwei amerikanische Soldaten, auch er stand mit Salafisten in Verbindung.

Es war Anfang August vergangenen Jahres, als bekannt wurde, dass eine »Islamschule« der Salafisten auf dem Gelände der As-Sunnah-Moschee in Mönchengladbach entstehen soll. Ein Braunschweiger Verein mit dem Namen »Einladung zum Paradies« wolle nach Mönchengladbach umziehen, hieß es in der Rheinischen Post, der Verein werde sich mit Sven Laus Moschee zusammenschließen. Mehrere Nachbargrundstücke der Moschee waren bereits gekauft worden. Aus einem bescheidenen Bethaus sollte ein um 1000 Quadratmeter erweitertes, 300 Menschen fassendes Schulungszentrum mit Moschee und Kindergarten werden. Sven Lau stellte sich an die Spitze dieses Vorhabens, und schnell wurde klar, dass er den Bürgermeister gegen sich aufbringen würde. Ein nationaler Anziehungspunkt für Salafisten in Mönchengladbach? Er werde »mit allen mir zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten dafür eintreten, dass die Aktivitäten des Vereins Einladung zum Paradies verfolgt werden und rechtswidriges Handeln geahndet wird«, erklärte der Bürgermeister.

Vieles in diesem Kampf, den Sven Lau begonnen hatte, wäre anders gelaufen, reibungsloser, wenn nicht plötzlich Wilfried Schultz aufgetreten wäre, ein Unternehmensberater, kein Politiker, ein gebürtiger Ostfriese, kein Einheimischer, im Grunde ein Fremder. Wilfried Schultz ist vor Kurzem 61 Jahre alt geworden, erst seit 2003 lebt er am Niederrhein. Schultz hat Theologie und Jura studiert, er ist Freiberufler, seine Frau Lehrerin. Er hat lange Zeit Unternehmen abgewickelt, das heißt: Er hat Firmen bestattet. Heute hilft er jungen Unternehmern in der IT-Branche, Businesspläne aufzustellen und an Wagniskapital zu kommen. Schultz hat vor ein paar Jahren ein Haus gekauft, nur wenige Hundert Meter entfernt von der Stelle, an der die Salafisten ihr neues Zentrum planen. Er weiß nicht viel über den Salafismus, aber er weiß, dass er dieses Zentrum verhindern will. Er sagt: »Dieses Viertel wäre am Ende, wenn die Bärtigen mit ihren voll verschleierten Frauen das Ruder übernehmen würden.«

Bis vor einem Jahr lebte Schultz mit seiner Frau, seiner 12-jährigen Tochter und einem Jack Russell Terrier abgeschieden in Mönchengladbach. Schultz war von Berlin hierhergezogen, weil er es wieder etwas ruhiger haben wollte. Er ist auf einem Bauernhof in Ostfriesland groß geworden. Er hat ein rundes Gesicht, trägt eine Nickelbrille. In seinem Wohnzimmerregal stehen viele Bücher. Wilfried Schultz sieht nicht aus wie jemand, der sich in einen Kampf stürzen will. Er hätte nie gedacht, dass er einmal eine Figur des öffentlichen Lebens werden würde, jemand, der in Fronten denken muss, die zwischen Islamisten, Rechtsradikalen, Linken, Staatsschützern und Lokalpolitikern verlaufen.

Schultz erfährt zuerst aus der Zeitung von den Plänen der Salafisten. Beamte des niedersächsischen Verfassungsschutzes haben durchsickern lassen, dass eine Braunschweiger Salafistengruppe des deutsch-türkischen Predigers Muhamed Seyfudin Ciftci nach Mönchengladbach umziehen wolle. Der Chef des Verfassungsschutzes in Niedersachsen, so war zu lesen, sah es offenbar mit Genugtuung, dass sich jetzt Nordrhein-Westfalen mit den Extremisten herumschlagen müsse. Es gilt als Erfolg, wenn sich Radikale außerhalb Niedersachsens ansiedeln? In Wilfried Schultz wächst von diesem Tag an die Wut.

Schultz trat 1967 in die SPD ein – in einer Zeit, als der Slogan »Willy wählen« eine Euphorie auslöste. Er war ein treuer Sozialdemokrat, doch nach der deutschen Einheit verließ er die Partei, weil er nicht mehr erkannte, wohin die SPD steuerte. Er selbst wurde von Jahr zu Jahr konservativer, wie viele Menschen seiner Generation. Heute ist er ein heimatloser Liberaler, der sich nach einer bürgerrechtlich-sozialen FDP sehnt, einer Partei, die es nicht mehr gibt. Schultz ging auf Abstand zur Politik, aber er fühlte sich nie als ihr Opfer. Das ändert sich an dem Tag, als er von den Salafisten erfährt. Wilfried Schultz fühlt sich von der Politik verraten, und er beginnt damit, sich kritisch mit dem Salafismus zu beschäftigen. Er liest Verfassungsschutzberichte, in denen Salafisten als gefährlichste Gruppe der Islamisten gehandelt werden.

Im August 2010, kurz nachdem die Umzugspläne der Islamisten bekannt geworden sind, versammeln sich einige von Schultz‘ Nachbarn auf dem Marktplatz in Mönchengladbach-Eicken. Auch sie sind verärgert. Was kommt da auf uns zu, wenn die Salafisten hier Fuß fassen? Das ist die Frage, die niemand beantworten kann. Zu den Anwohnern stellen sich Männer der islamkritischen Organisation Pax Europa, Fremde, die hier niemand je gesehen hat. Sie sind Teil eines rechtsradikalen Netzwerks von Islamfeinden. Die Zugereisten tragen Transparente über den Platz, auf denen sie vor der Islamisierung in Deutschland warnen. Sie wollen Stimmung gegen den Islam machen. Die Polizei versucht, die unangemeldete Demonstration aufzulösen, vergeblich.

Dann mischt sich Wilfried Schultz unter die Demonstranten. Seine Frau, die schon auf dem Marktplatz stand, hatte ihn angerufen: »Komm mal, wir brauchen hier einen Juristen.« Schultz macht den Islamfeinden klar, dass sie hier nicht erwünscht seien. Und Schultz erklärt den Polizisten, dass es sich um einen legitimen, spontanen Protest von Anwohnern handele, der von Islamfeinden umfunktioniert werden solle. Jetzt stehen die Nachbarn hinter ihm. Wilfried Schultz gestikuliert in der Mitte des Marktes. Mit einem Mal ist er der Sprecher all jener, die das »Islamzentrum« verhindern wollen, ein Wortführer. Später sagt er: »Und dabei hatte ich mich von der Politik eigentlich verabschiedet.«

Wilfried Schultz möchte, dass die Einwanderung nach Deutschland stärker gesteuert wird. In vielen europäischen Nachbarländern gibt es Rechtspopulisten, die auf Leute wie Schultz zielen, wenn sie Ressentiments gegen den Islam schüren. Schultz weiß, dass er von nun an auch auf sich selbst aufpassen muss. Er muss einen inneren Kompass finden, der ihn vor politischen Fallen bewahrt. Es wäre so leicht, einfach den Islam als solchen zu beschimpfen, aber die Sache ist verzwickter. Schultz meint: »Nachdem ich den Rechtspopulisten gesagt hatte, dass sie hier nicht erwünscht sind, bin ich fürchterlich angepinkelt worden von diesen Leuten. Die haben mich für naiv erklärt, der Islam per se sei das Problem, wer es auf die Salafisten reduziere, verschleiere die Sache nur.«

Wilfried Schultz aber hat nichts gegen den Islam in Deutschland, er hat etwas gegen Radikalismus in Mönchengladbach-Eicken. Schon an der Universität in Göttingen hatte er es im Theologiestudium hin und wieder mit Fundamentalisten zu tun, mit radikalen Christen. Aber die waren harmlos im Vergleich zu Sven Lau und seinen bärtigen Brüdern. Im Studium lernte Schultz, sich weder von religiöser Intoleranz noch von totalitären politischen Ideen einschüchtern zu lassen. Sieht er Abu Adam mit Häkelmütze und Kaftan durch die Mönchengladbacher Fußgängerzone schreiten, fragt er sich: Wie wurde aus so einem plötzlich ein Extremist?

Die Verwandlung begann vor sechs Jahren, als sich der gelernte Brandmeister Lau entscheiden musste zwischen seinem neuen Glauben und seinem Brotberuf bei der Feuerwehr. Lau hatte begonnen, sein Gesichtshaar sprießen zu lassen – gestutzter Schnurrbart, buschiges Haar an Kinn und Backen. Er wollte ein guter Salafist sein.

Die Atemmaske der Feuerwehr konnte er über dem langen Bart nicht mehr tragen. Sven Lau gab mit Mitte zwanzig sein bürgerliches Leben auf, um sich ganz der Mission, der Dawa, zu widmen. Aus Sven Lau wurde Abu Adam. Er begann, seine Sätze mit frommen arabischen Formeln zu würzen – subhanallah, alhamdulillah, mashallah. Gelobt sei Gott. Dank sei Gott. Gott schütze dich. Heute spricht er von seinem »göttlichen Auftrag, die Menschen zum Islam einzuladen«. Das klingt, als werbe er für einen Ausbildungsberuf, den jedes Kind aus Mönchengladbach anstreben könne.

Wenn Sven Lau davon erzählt, wie er zum Islam gekommen ist, dann tut er das in der Baguetterie Andalouse, die von einem Glaubensbruder betrieben wird. In seiner Familie, sagt Lau, habe Religion keine Rolle gespielt. Es habe »das übliche luschige Christentum« nicht praktizierender Katholiken geherrscht. Als Jugendlicher war er in Spielhallen und Discos zu Hause, er kiffte und trank. Spaß habe das gemacht, ihn aber »nicht erfüllt«.

Ein türkischer Arbeitskollege beeindruckte ihn durch seine freundliche Gelassenheit. Der fromme Mann schien in sich zu ruhen. Der Türke nahm ihn mit zu einer Moschee der islamistischen Gruppierung Milli Görüs. Dort lernte Sven Lau den Islam kennen, aber die türkischen Jugendlichen lebten »in der gleichen Heuchelei wie die laschen Christen«. Sven Lau las in der Bibel und fand sie im Vergleich zur Lehre des Islam »voller Widersprüche«. Die Lehre des Propheten aber, so hatte er es in der türkischen Moschee gelernt, war unverfälscht und eindeutig. Was man zu tun hatte, um nach dem Tod dem Höllenfeuer zu entgehen, war klar in Koran und Sunna geregelt. Lau wollte nun leben wie im 7. Jahrhundert. Männer mussten Bärte tragen. Die Hosen duften nur bis zum Knöchel reichen. Frauen hatten sich vollständig mit einem Niqab zu verhüllen und durften fremden Männern nicht die Hand reichen. Von Nichtmuslimen sollte man sich fernhalten. Demokratie, Pluralismus und Rechtsstaatlichkeit sind Götzendienst, denn nur Gott darf Gesetze machen. Hielt man sich daran, werde man dem ewigen Feuer nach dem Tod entgehen. Dem Höllenfeuer.

Sven Lau ist dankbar dafür, dass ihm ein voller Bart wuchs. Andere deutsche Konvertiten bringen es nur auf ein paar Fusseln am Kinn. Türken und Araber machen sich dann gern über die »Weißbrote« und »Kartoffeln« in den islamischen Gemeinden lustig. Abu Adam übertrumpft sie alle, indem er Versammlungen organisiert und Prediger einlädt. Er wird zu einem Anführer, wenn auch nicht einem bedeutenden Prediger wie sein Mentor und Idol Pierre Vogel, der Star der Salafisten in Deutschland.

Sven Lau betreibt einen Laden an der Waldhausener Straße in Mönchengladbach, den Zam Zam Islamic Shop, benannt nach der heiligen Quelle in Mekka. Man kann in dem Laden islamische Kleidung, salafistische Literatur und religiösen Nippes kaufen. Laus beste Freunde hängen hier ständig herum, sie reden, beten, schmieden Pläne. Eine professionelle Videokamera liefert Bilder für den eigenen YouTube-Kanal Muslimtube. Im Laden liegt ein »Survival Kit«, ein Kompass, der pausenlos nach Mekka zeigt, und für die Zahnpflege gibt es den Miswak, ein arabisches Wurzelholz. Mit einem solchen soll sich schon der Prophet die Zähne geputzt haben.

Dass der neue Glaube den alten Freunden anstößig erschien, hat die Sache für Sven Lau nur noch attraktiver gemacht. Ablehnung ist ein Zeichen dafür, dass man auf der richtigen Seite ist. So sieht er es. Seine Mutter riet seiner ersten Frau – die gemeinsam mit ihm zum Islam konvertiert war -, sich von ihm zu trennen, als er den Job bei der Feuerwehr aufgab. Die Mutter glaubte, der Junge habe den Verstand verloren. Spricht Sven Lau hingegen von seinem alten Leben, dann klingt es, als hätte er Ballast abgeworfen, indem er zu Abu Adam wurde. Das ganze Leben lang arbeiten und bloß am Wochenende einen draufmachen – das konnte nicht alles sein.

Wenn Abu Adam von Sven Laus wilden Zeiten spricht, dann klingt das Unglück an, in einer freien Gesellschaft leben zu müssen, wenn man wenig Talent dazu hat. Und das Gefühl der Erleichterung, eine Freiheit loszuwerden, die er als Haltlosigkeit erlebte. Die Verfassungsschutzberichte verzeichnen nur, ob Menschen wie Abu Adam die Grundwerte der freien Gesellschaft ablehnen und bekämpfen. Über das Warum wird nicht berichtet, so, als bedeute die Frage nach dem Warum, den Feinden der Freiheit recht zu geben.

Sven Lau und seine Freunde sind bekennende Feinde der Freiheit. Die Tyrannei einer religiösen Ordnung, die einem sogar das Zähneputzen vorschreibt, mag einen freiheitsliebenden Bürger erschaudern lassen. Doch für einen jungen Mann, der um seine Seele fürchtet, kann sie die Rettung sein.

Sven Lau ist binnen weniger Jahre zur Schlüsselfigur eines ganzen Milieus aufgestiegen. Er ist kein Charismatiker wie Pierre Vogel in Köln, Hassan Dabbagh in Leipzig oder Ibrahim Abou-Nagie in Bonn. Sven Lau ist der Drahtzieher im Hintergrund. Er ist weniger glamourös als die schrillen Sprecher der Bewegung. So wie er haben viele junge Männer Karriere im islamistischen Radikalismus gemacht. Jahrelang ahnte niemand in Mönchengladbach, dass Sven Lau ein Repräsentant der »zurzeit dynamischsten islamistischen Bewegung« sein sollte, wie die Verfassungsschützer in ihrem aktuellen Bericht schreiben.

Sven Lau wird allerdings nicht zum militanten Teil der Szene gerechnet. Er hat sich öffentlich stets von Gewalt und Terrorismus distanziert – solange es den Dschihad, den heiligen Krieg, im Westen betrifft. Fragt man ihn aber, was er einem jungen Mann raten würde, der nach Afghanistan in den Dschihad ziehen wolle, antwortet Lau: »Ich kann von Deutschland aus die Lage in einem anderen Land nicht beurteilen – ob also dort die Voraussetzungen für einen Dschihad vorliegen, das müssten die zuständigen Gelehrten entscheiden.«

Götzendiener. Gottesfurcht. Rechtleitung. Paradies. Und Hölle, Hölle, immer wieder Hölle. Seit Abu Adam gegen das Höllenfeuer kämpft, ist er eine Persönlichkeit in seiner Stadt, verehrt und verachtet. Er liebt es, gehasst zu werden.

Auf den 63 Seiten eines internen Berichtes des Verfassungsschutzes spielt Sven Laus Verein Einladung zum Paradies eine große Rolle. Der Verein hat seine Wurzeln im Braunschweiger Islamischen Bildungs- und Kulturzentrum, das 2006 von Muhamed Seyfudin Ciftci gegründet wurde. Ciftci ist unter dem Namen Abu Anas einer der einflussreichsten salafistischen Prediger in Deutschland. Das »Bildungszentrum« wurde in »Einladung zum Paradies e. V.« umbenannt, um vom Ruhm einer weiteren Schlüsselfigur zu profitieren – Pierre Vogel, der schon eine erfolgreiche Internetseite unter demselben Namen betreibt. Tingelt Vogel, ein ehemaliger Profiboxer der Junioren, als Abu Hamza durch die Moscheen Deutschlands, werden Hunderte Jugendliche von ihm angelockt. Er beschäftigt ganze Abteilungen des Staatsschutzes, weil er mit seinen Hasspredigten Hallen füllt. Würde ein solcher Erfolg auch Abu Adam in Mönchengladbach gelingen?

Die Stadt hat eine Viertelmillion Einwohner, darunter etwa 10000 Muslime. Neun Moscheen – türkisch, marokkanisch, bosnisch, arabisch – gibt es hier seit Jahren, niemand hat mit ihnen ein größeres Problem. In Mönchengladbach-Eicken wurde vor 111 Jahren der Fußballverein Borussia gegründet, bis vor ein paar Jahren spielten sie auch hier, am Bökelberg. Ein zehn Tonnen schwerer Granitfußball in der Fußgängerzone erinnert an die großen Zeiten der Fußballhelden Netzer, Vogts und Heynckes. Wilfried Schultz geht jetzt freitags immer an diesem Klotz vorbei, um mit seiner Bürgerinitiative gegen die geplante Islamschule zu demonstrieren.

Seit die Fußgängerzone durch Bauarbeiten blockiert ist, stehen viele Geschäfte leer. Die Immobilienpreise sind gefallen, Schultz‘ Nachbarn haben nur eine kleine Rente oder einen schlecht bezahlten Job. Immobilienmakler sprächen schon vom »Moscheenkrater«, sagt Schultz, rundherum werde sich kaum noch ein seriöser Ladeninhaber ansiedeln.

Zwei Wochen, nachdem sich die Nachricht vom Islamistenzentrum herumgesprochen hat, demonstriert die NPD auf dem Marktplatz von Mönchengladbach-Eicken gegen die Salafisten. Jetzt müssen Schultz und seine Freunde in der Bürgerinitiative es nicht nur mit den Islamisten, sondern auch noch mit Nazis aufnehmen. Und plötzlich tauchen linksradikale Gegendemonstranten auf. An einem Freitag im Herbst werden Schultz und seine Bürger zwischen dem schwarzen Block der Nazis und dem schwarzen Block der Linksautonomen eingeklemmt. Beide Gruppen schreien sich über die Köpfe der Anwohner hinweg an und drohen der anderen Seite. Überall fließt reichlich Bier. Die Mönchengladbacher Linkspartei, im »Kampf gegen Rechts« ständig auf der Suche nach Gleichgesinnten, setzt sich für die Salafisten ein – eine abenteuerliche Wendung.

Fernsehberichte locken weitere Akteure an, die sich in den Mönchengladbacher Konflikt stürzen: Die Islamhasser der rechtsradikalen Vereine Pro NRW und Pax Europa kehren zurück aufs Schlachtfeld, um ihren Kulturkampf gegen den Islam fortzuführen. Wilfried Schultz versucht jetzt die ganze Zeit zu verhindern, dass der Widerstand gegen die Salafisten zu einem Protestzug gegen den Islam ausartet. Er sagt: »Die versuchen, uns in die rechte Ecke zu stellen. Es wird behauptet, wir hätten Integrationsprobleme hier, und wir wollten keine Muslime. Bei uns gibt es aber keine Probleme mit Ausländern oder fremden Religionen.«

Im September 2010 wird die As-Sunnah-Moschee aus baupolizeilichen Gründen geschlossen. Die Stadtverwaltung erklärt, dass es für das frühere Ladenlokal nie eine Nutzungserlaubnis als Moschee gegeben habe. Von jetzt an beten die Gläubigen jeden Freitag trotzig auf dem Eickener Marktplatz. Pierre Vogel tritt als Stargast auf und hält eine Brandrede. Er fordert die versuchsweise Einführung der Scharia in Berlin-Neukölln, er verlangt die Todesstrafe für Menschen, die einen Ehrenmord begangen haben. Und er will, dass Dieben die Hände abgehackt werden.

Danach schließen sich immer mehr Menschen dem Protest gegen die Salafisten an, und es ist immer seltener klar, wer warum gegen was demonstriert. Klar ist, dass der kleine Stadtteil Eicken in die Hände von Extremisten zu geraten droht. Wilfried Schultz und seine Nachbarn halten bei jedem Freitagsgebet der Muslime ihre Mahnwache ab. Von den wütenden Anhängern des Predigers Vogel werden sie bespuckt und bedroht, sobald sie sich mit ihren selbst gebastelten Pappschildern blicken lassen. Eine Rentnerin, 70 Jahre alt, erinnert sich später: »Mich haben sie Nazi-Hure genannt!« Sie ist entrüstet, aber sie muss auch lächeln über diese Absurdität: Man hatte die Braunen mühevoll ferngehalten, um selber als Nazi verunglimpft zu werden!

Jedes Freitagsgebet zieht jetzt ein Ritual nach sich. Die Salafisten bauen sich gegenüber Schultz und seinen Leuten auf, rufen im Sprechchor »Nazis raus«. Sie versuchen, die Bürgerinitiative als einen Haufen von »Muslimhassern« hinzustellen – was schwierig wird, weil auch zwei türkische Moscheegemeinden den Protest der deutschen Anwohner unterstützen. Ein Sufi-Scheich, mit dem Wilfried Schultz befreundet ist, tritt sogar öffentlich gegen die Salafisten auf. Schultz selber droht auf einer Bürgerversammlung: Sobald er etwas Rassistisches aus den eigenen Reihen höre, werde er Anzeige erstatten.

Das Haus, in dem Schultz mit seiner Familie lebt, wird plötzlich mit Farbbeuteln beworfen. Später fliegen Steine, und das Glas im Oberlicht der Eingangstür splittert. Im Internet kursieren danach Videos, in denen sich Sven Lau und einige seiner Glaubensbrüder über Wilfried Schultz lustig machen. Dann tauchen bedrohliche, anonyme Videos im Netz auf: Auf ihnen sieht man Schultz und hört in der Ferne Schüsse. Morddrohungen werden Schultz aufs Handy geschickt. Aber er beschließt, sich nicht kleinkriegen zu lassen, obwohl seine Frau und seine Tochter große Angst haben. »Von meiner Kirche«, sagt er, »bin ich übrigens ziemlich enttäuscht worden. Die haben lange nicht verstanden, mit wem wir es hier zu tun hatten. Die wollten tatsächlich mit den Salafisten Dialog machen, weil sie sie für gesprächsbereite Muslime gehalten haben.«

Plötzlich, im Frühjahr dieses Jahres, scheint sich die Schlachtordnung zu wenden. Während der Karnevalstage wird die Tür eines Hauses demoliert, in dem einer der Salafisten wohnt. Waren das die Leute von der Bürgerinitiative? Ein Fenster in Sven Laus Ladenlokal wird eingeworfen. Jede Menge Hundekot liegt plötzlich auf dem Parkplatz vor der geplanten Islamschule. Dorthin weichen die Salafisten jetzt freitags aus, nachdem ihnen das gemeinsame Gebet auf dem Marktplatz verboten worden ist.

Nach jeder dieser Taten sind auf YouTube Videos zu sehen, in denen Abu Adam die neuesten Exzesse der Islamfeindschaft geißelt. Das ist der Punkt, an dem die Salafisten ihre Strategie ändern. Haben sie sich bislang gegen die normalen Muslime gestellt und sich selbst als einzig wahre Muslime präsentiert, wollen sie jetzt bloß noch als gewöhnliche Gläubige gelten. Der Begriff Salafismus wird mit einem Mal vermieden: Was sich hier in Mönchengladbach austobe, seien heimtückische Attacken auf den Islam im Allgemeinen. Wilfried Schultz und seine Leute werden in den Videos für das vergiftete Klima verantwortlich gemacht.

Jetzt versucht auch die Stadtverwaltung, die drohende Eskalation zu verhindern. Rasch wird der Bebauungsplan für das Grundstück in der Fußgängerzone geändert. An Stelle des Islamzentrums soll dort ein Supermarkt entstehen. Nachdem dies im Juni durchgesickert ist, steckt jemand nachts einen Container auf dem Baugelände der geplanten Islamschule in Brand. Auch im Keller des Nachbargebäudes bricht Feuer aus. Der Salafistenverein Einladung zum Paradies hat dort eine Wohnung gemietet, in der sich die Aktivisten treffen.

Wieder sind, kaum hat es gebrannt, Videos im Internet zu sehen, in denen Sven Lau den »lieben Geschwistern im Islam« von den jüngsten Angriffen erzählt. Seine Sätze werden immer atemloser: Von einem angeblichen Mordanschlag auf seine Familie ist plötzlich die Rede. In Mönchengladbach würden Andersgläubige gejagt, behauptet er.

Sven Lau weiß, dass sein Traum von der Missionszentrale am Niederrhein platzen kann. Spricht man ihn darauf an, gibt er sich ungerührt. Immer wieder klingelt sein Handy. Er sagt: »Die Brüder sind in Aufregung.« Es gebe viel fitna, Zwietracht, Verwirrung, Glaubensspaltung. Intern kritisieren die Brüder inzwischen, dass das Projekt Mönchengladbach in den Sand gesetzt worden sei. Dass nur »Feinde des Islams« Schuld am Scheitern sind, glauben die Brüder nicht länger. Ihre Wut richtet sich vor allem gegen Sven Lau und den aggressiven Prediger Pierre Vogel, der die Islamschule mit seiner Forderung nach der Scharia in Verruf gebracht hat.

Abu Adam muss viele nervöse Brüder am Telefon beruhigen. Die Kriminalpolizei hat einige Männer aus der Gemeinde zu Verhören geladen. Wegen des letzten Brandes werde jetzt »in alle Richtungen« ermittelt. Später treffen sich Sven Lau und seine Glaubensbrüder im Hinterzimmer des Islamic Shop. Man müsse sich abstimmen, der Gast von der ZEIT möge sich gedulden.

Efrem (Name geändert), der seine Tage in diesem Laden verbringt, bietet an, eine Tasse Kaffee zu holen. Seine Mutter, sagt er, sei Deutsche, sein Vater Somalier. Er habe keine Arbeit, aber er suche welche, allerdings »nicht wieder auf dem Bau, da ist es doch zu hart«. Er ist nicht religiös aufgewachsen, sein Deutsch ist mäßig. Erst durch die Brüder, die Salafisten, sei er zum Islam gekommen, und seither fühle sich das Leben leichter an. Seine drei Schwestern lebten leider noch nicht »rechtgeleitet«, sie beteten nicht und bedeckten sich nicht korrekt, aber das werde sicher noch kommen, inschallah. Allerdings haben die Schwestern alle eigene Jobs, während Efrem den Tag mit Kaffeetrinken und Miswak-Kauen verbringt. Draußen ist Efrem ein Verlierer. Im Zam Zam Shop hat er eine intakte Welt vorgefunden, in der ihm niemand kritische Fragen stellt.

Am 20. Juni dieses Jahres wird Sven Lau mit zwei anderen Männern der Gruppe von der Polizei verhört. Der ehemalige Brandmeister wird dringend verdächtigt, zusammen mit den beiden anderen Salafisten das Feuer im Keller unter dem Versammlungsraum der Salafisten gelegt zu haben. Die drei Beschuldigten verweigern die Aussage und dürfen nach ein paar Stunden gehen. Am Tag danach meldet sich Abu Adam erneut per Videobotschaft bei den »lieben Geschwistern«: Man habe nichts gegen ihn in der Hand, behauptet er. Die Polizei habe ihnen nur Brötchen mit Schmierkäse zu essen gegeben, Käse gespickt mit Schinken. »Warum«, fragt Abu Adam, »geben die uns keinen Schmierkäse ohne Schinken, liebe Geschwister?«

In der folgenden Woche, nach dem Freitagsgebet, stürmen mehrere Bärtige auf die 25 Anwohner, die auf dem Platz demonstrieren. Ehe Wilfried Schultz in Deckung gehen kann, trifft ihn eine Faust am linken Auge. Ein Notarzt behandelt ihn. Bald ermittelt die Polizei den Täter. Es ist einer der beiden Männer, die zusammen mit Sven Lau das Feuer gelegt haben sollen.

Wilfried Schultz hat mit seinem Widerstand gegen das Prestigeprojekt die deutsche Szene der Salafisten in die Defensive getrieben. Dass sie in Mönchengladbach scheitern, ist jetzt wahrscheinlicher geworden. Sven Lau droht eine Anklage als mutmaßlicher Brandstifter. Pierre Vogel gibt bekannt, er werde vielleicht nach Saudi-Arabien auswandern. Der Gründer des radikalen Vereins Einladung zum Paradies, Muhamed Seyfudin Ciftci, distanziert sich von Lau und Vogel. Die Szene sei »zu politisch« geworden, schreibt er in einer E-Mail an seine Anhänger. »Wir sollten nicht andere provozieren und auch nicht zum Sieg des Islam rufen.« In Mönchengladbach-Eicken fallen die Freitagsgebete auf dem Parkplatz jetzt aus. Niemand kommt mehr.

Wilfried Schultz, der Mann, der den Islamisten als Muslimfresser galt, hat sich um den Islam verdient gemacht. Viele Muslime danken ihm, dass er es mit den Radikalen aufgenommen hat, die ihren Glauben in Verruf bringen. »Ohne die klare Trennung von den rechtsradikalen Islamhassern«, sagt er, »hätten wir nie Erfolg gehabt.« Die Salafisten lösen Ende August ihren Verein in Mönchengladbach auf, die Einladung zum Paradies gibt es nicht mehr. Für die Verfassungsschützer macht das die Arbeit nicht einfacher, denn die Anführer sind noch aktiv, jetzt aber im Untergrund. Die Islamschule ist verhindert, aber die Gefahr nicht gebannt: »Radikalisierung«, sagt ein Mann vom Verfassungsschutz, »findet heute rasend schnell am Computer statt, nicht in einer Moschee.«

Schon als die Faust ihn traf, wusste Wilfried Schultz, dass er diese Schlacht gewonnen hatte. Ein »Monokelhämatom« hat der Arzt festgestellt. Schultz meint: »Weniger vornehm gesagt: mit einem blauen Auge davon gekommen.«

Allerdings steht jetzt oft ein Streifenwagen vor seinem Haus, Schultz sieht ihn fast jede Nacht. Er weiß nicht recht, ob ihn der Anblick beru