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Ist Islamkritik ohne Islamophobie möglich?

 

Im folgenden ein (sehr langer) Beitrag über das Debattenjahr 2010, geschrieben für das Jahrbuch „Muslime in den Medien“. Regelmäßigen Lesern dieses Blogs werden einige Passagen bekannt vorkommen.

Die deutsche Debatte des Jahres 2010 ist bei aller Vielstimmigkeit von ei­nem einzelnen Buch geprägt, und das gilt nicht nur für die so genannte „Is­lamkritik“: Thilo Sarrazins Sachbuchbestseller „Deutschland schafft sich ab“.
Die merkwürdige Ironie dieses Erfolgs ist, dass Sarrazins Buch als Beitrag zur „Islamkritik“ in die Geschichte eingegangen ist. Dafür gibt es Gründe, etwa die Gegenwart von Necla Kelek, die auch als sogenannte „Islamkriti­kerin“ firmiert, bei der Vorstellung des Buchs in Berlin. Auch bereits die Diskussion vor Erscheinen des Buchs aufgrund von Sarrazins Interview mit „Lettre International“ im Herbst 2009 wird hier die Weichen der Re­zeption gestellt haben. Schon dieses Interview wurde weithin als Angriff auf Muslime und den Islam wahrgenommen.
Was das Buch selber angeht, ist die „islamkritische Rezeption“ aller­dings erklärungsbedürftig: Im März 2011 erklärt der Autor bei Gelegenheit eines Auftritts in der Evangelischen Akedemie Tutzing, eigentlich habe er „ja gar kein Buch über Muslime schreiben“ wollen, sondern – über den Sozi­alstaat. Und mit der Zuwanderung beschäftige er sich entsprechend auch erst ab Seite 256.
Das ist sachlich richtig, macht die Aufregung um Sarrazin aber noch rätselhafter: Alles ein großes Missverständnis? Sind die Muslime selber schuld, wenn sie sich angesprochen fühlen? Polemisch gesagt: Typisch isla­mische Ehrbesessenheit und Neigung zum Beleidigtsein? Und was die vielen Hunderttau­sende Käufer angeht, haben die dann auch alles missverstanden?
Das Ansehen des Islams und der Muslime ist auf einem Tiefpunkt, wie immer neue Umfragen belegen. Sarrazin aber hat, wenn man seine Äu­ßerungen in Tutzing ernst nimmt, daran weder Anteil, noch profitiert er davon, denn eigentlich geht es ihm ja nur um „den Sozialstaat“? Warum bloss hört das Publikum „Islam“, wenn der Sozialstaat gemeint ist?
„Islamkritik“ ist eine Art Beruf geworden. Seyran Ateş, Autorin meh­rerer Bücher, die sich mit Geschlechterfragen und den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft befassen, verbittet sich mittlerweile, so bezeichnet zu werden: Sie ist selber gläubige Muslimin und möchte nicht als jemand rubriziert werden, der etwas „gegen den Islam“ hat. Ihre Auseinandersetzung mit dem Missständen, die religiös rechtfertigt werden, will sie nicht als religionsfeindlich missverstanden wissen. Ateş hat guten Grund zu dieser Distanzierung: Was hierzulande weithin als „Islamkritik“ läuft, hat sich von der notwendigen intellektuellen, historischen, theologischen, politischen Auseinandersetzung mit einer Weltreligion immer weiter entfernt – und ist zur Stimmungsmache gegen einen Bevölkerungsteil verkommen. Es muss nicht so bleiben. Vielleicht kann es auch gelingen, zur Sachlichkeit zurückzukehren. Vielleicht kann man die Übertreibungen unserer Debatte auch wieder einfangen. Derzeit sieht es leider nicht so aus.
Das ist für mich das vorläufige Ergebnis eines aufgeregten Debattenjahres.
Zu Beginn des Jahres erregte Wolfgang Benz großes Aufsehen mit seiner These von den Parallelen zwischen Islamkritik und Antisemitismus. In sei­nem Stück in der Süddeutschen Zeitung vom 4. Januar heißt es:
„Die unterschwellig bis grobschlächtig praktizierte Diffamierung der Musli­me als Gruppe durch so genannte ‚Islamkritiker‘ hat historische Paralle­len. (…)
Der Berliner Antisemitismusstreit war vor allem eine Identitätsdebatte, eine Auseinandersetzung darüber, was es nach der Emanzipation der Ju­den bedeuten sollte, Deutscher zu sein und deutscher Jude zu sein. Derzeit findet wieder eine solche Debatte statt. Es geht aber nicht mehr um die Emanzipation von Juden, sondern um die Integration von Muslimen.“
Damit hat Benz in meinen Augen ganz einfach recht. Seine Kritiker hielten ihm entgegen, er setze Antisemitismus und Islamkritik gleich. Benz sugge­riert aber nirgends, dass ein Holocaust an Muslimen drohe oder dass Musli­me in Deutschland ähnlichen Formen der Diskrimierung unterliegen wie vormals die Juden. Das wäre auch bizarr.
„Der symbolische Diskurs über Minarette“, schreibt Benz, “ist in Wirklichkeit eine Kampagne gegen Menschen, die als Mitglieder einer Gruppe diskriminiert werden, eine Kampfansage gegen Toleranz und Demokratie.“
Benz spricht über den „Diskurs“, der besonders im Internet erschreckende Formen angenommen hat. Und sein eigentlicher Punkt ist den Kritikern entgangen: Es handelt sich bei der „Islamkritik“ um eine Identitätsdebatte der Mehrheitsgesellschaft. Es wird darin verhandelt, was es heute heißt, Deutscher und Muslim zu sein. Das ist eine wichtige Erkenntnis, die in den Unterstellungen unterging, ausgerechnet Benz, der sein Leben lang über Antisemitismus geforscht und gegen ihn gekämpft hat, wolle irgendetwas von der Schrecklichkeit des Antisemitismus „relativieren“.
Ich halte das für einen entscheidenden Punkt zum Verständnis der deut­schen und europäischen Debatten über den Islam: Sie handeln in Wahrheit nicht wirklich vom Islam als Religion. Man kann die Leidenschaften, die dabei am Werk sind, wohl kaum aus einem Interesse am Verstehen einer Weltreligion ver­stehen, die (als Teil Europas, nicht als sein Gegenüber) immer noch neu ist. In erheblichem Maße dient die Debatte über den Islam der Selbstvergewis­serung einer verunsicherten Mehrheitsgesellschaft. Es geht bei der „Islamkritik“min­destens so sehr um die deutsche, die europäische, die christliche, die säku­lare Identität wie um den Islam.
Das ist für sich genommen weder irrational noch illegitim. Es gibt Gründe für diese Verunsicherung, es gibt Gründe, die die „Islamkritik“ an- und ihr die Leser zutrei­ben. Ich sehe Deutschland in der Situation eines Nach-Einwanderungslan­des. Das Wort ist nicht schön, aber es beschreibt die Wirklichkeit: wir leben in einer post-migrantischen Situation. Wir debattieren also nicht mehr unter einem Einwanderungsdruck: Der Wanderungssaldo Deutschlands mit der Türkei ist seit Jahren negativ. Seit 1961 kamen türkische Gastarbeiter nach Deutschland, mehr als 900.000 bis 1973, als das Programm durch den Anwerbestopp beendet wurde. Durch Familienzusammenführung und natürliches Wachstum nahm die türkische Bevölkerung in Deutschland bis 2005 auf 1,7 Millionen zu. Beginnend im Jahr 2006 kehrte sich der Trend um: Mehr Menschen zogen von Deutschland in die Türkei als umgekehrt. 2009 gingen 10.000 mehr Menschen von Deutschland in die Türkei als vice versa.
Das ist nur ein Beleg dafür, dass Deutschland (jedenfalls für Türken) kein Einwanderungsland mehr ist. Doch just in dem Moment nehmen die Debat­ten über die Eingewanderten und ihre Nachkommen immer schärferen Charakter an. Vielleicht kann man im Amerika der Zwischenkriegszeit des letzten Jahrhunderts einen Präzedenzfall sehen. Damals wurden die Gren­zen für Immigration weitgehend geschlossen – nach einer großen Welle zwi­schen 1870-1924, die Iren, Deutsche, Polen und andere Osteuropäer und Italiener in Millionenzahlen nach Amerika gebracht hatte. Der Immigrati­on Act von 1924 setzte harte Quoten nach ethnischen Kriterien. Und dies führ­te dazu, dass die USA zeitweise aufhörten, Einwanderungsland zu sein. Man ging daran, mit viel Druck die Integration/Assimilation der Eingewan­derten zu betreiben. Es gab sogar – vor allem im Zuge des Weltkrieges – starke xe­nophobe Exzesse (gegen Japaner).
Ich will die Analogie nicht zu weit treiben. Nur soviel: Europa insgesamt scheint, nach der gigantischen Einwanderungswelle der Nachkriegszeit, die gespeist wurde durch Postkolonialismus und Wirtschaftsboom, ebenfalls in einer Phase der Schließung zu sein. Schließung im Wortsinne durch gesetz­liche Erschwerung von Zuwanderung. Und im übertragen Sinne als Ver­such, die jeweilige Identität zu bewahren (was auch immer das jeweils sei). Der Erfolg der rechtspopulistischen Anti-Einwanderer-Parteien überall in Europa spricht dafür.
Überall? Eben nicht. Deutschland hat keine solche Partei. Deutschland hat statt dessen eine Debatte in Gestalt der „Islamkritik“. Mir ist das einstweilen lieber so, wie hässlich die Debatte auch sein möge. Bei aller Kritik an der „Islamkritik“ sollte das nicht vergessen werden.
Der Soziologe Niklas Luhmann hat in seinem Buch über die „Realität der Massenmedien“ gesagt:
“Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wis­sen, wissen wir durch die Massenmedien.”
Im Luhmannschen Sinn möchte ich im folgenden darüber reden, welches Bild des Islams wir in Deutschland haben, wenn man unsere Massenmedi­en dabei zugrundelegt. Für hier lebende Muslime bedeutet das: Welches Bild bekommen sie davon, wie sich die Mehrheitsgesellschaft durch ihre Medien den Islam zurecht legt. Einfacher gesagt: Ein Muslim sieht unsere Schlagzeilen und liest unsere Geschichten über den Islam und fragt sich: Aha, so also sehen die mich, meine Kultur und Religion, meine Herkunft und Prägung.

Und hier liegt ein Problem, das meines Erachtens noch sehr unterschätzt wird:
Immer mehr Muslime in Deutschland, Frankreich und Großbritannien glauben nicht, dass die Mainstream-Medien ausgewogen über sie berichten. Zu diesem Ergebnis kommt ein Pilotprojekt des Londoner Institute for Stra­tegic Dialogue und der Vodafone Stiftung Deutschland.55 Prozent der befragten Muslime vertraten die Auffassung, die großen Medien berichteten negativ über Muslime. Bei den nicht muslimischen Be­fragten waren es immerhin 39 Prozent. Mehr als die Hälfte der Studienteilnehmer sind überzeugt, dass es in den meisten Berichten über Muslime um Terrorismus geht. Ein Drittel glaubt, dass vor allem Fundamentalismus eine Rolle spielt; ein Viertel nimmt als häufigstes Thema in der Berichterstattung über Muslime die Kopftuchde­batte wahr.
Diese Zahlen stammen aus dem Jahr 2009 – vor der Sarrazin-Debatte. Sie werden sich durch diese Debatte weiter verschlechtert haben.
Natürlich haben diese Befragten nicht Recht in einem objektiven Sinn: Kei­neswegs geht es in der Mehrzahl der Berichte um Terrorismus. Und das Kopftuch ist immer noch ein Aufregerthema, aber das „häufigste“? Nein. Dennoch scheint es mir unbestreitbar richtig, dass die Intuition der Befrag­ten stimmt, dass hier etwas im Argen liegt.
Ein jüngeres Beispiel: „Jung, muslimisch, brutal“ titelte Spiegel Online einen Bericht über die Studie des Kriminologen Christian Pfeiffer zum Zu­sammenhang von Religiösität und Gewaltneigung. Der Süddeutschen fiel zur gleichen Untersuchung die Zeile ein: „Die Faust zum Gebet“.
Ein paar andere Schlagzeilen:
blick (Schweiz): „Macht Islam aggresiv? Jung, brutal — Muslim”, Tagess­piegel: “Allah macht hart”, Financial Times Deutschland: “Studie zu jungen Muslimen — Je gläubiger, desto gewalttätiger”, Welt.de: “Studie — Gläubige Muslime sind deutlich gewaltbereiter”, Welt: “Muslime — Mehr Religiosität = mehr Gewaltbereitschaft”, Bild.de: “Junge Muslime: je gläubiger desto brutaler”, Hamburger Abendblatt: “Junge Muslime: Je gläubiger, desto bru­taler”.
Das ist die Ausbeute der Schlagzeilen, und sie ist nicht einmal vollständig. In Wahrheit steht in der Studie allerdings, dass es nur einen moderaten An­stieg der Gewaltbereitschaft bei jenen jugendlichen Muslimen gibt, die sich als „sehr religiös“ bezeichnen. (Einzig der Tagesspiegel weist darauf hin und konterkariert so die reißerische Überschrift.) Und die Studie führt auch aus, dass für diesen Anstieg der Gewaltbereitschaft hauptsächlich au­ßerreligiöse Gründe verantwortlich sind – eine Machokultur, die Zahl straf­fälliger Freunde oder der Konsum von gewaltverherrlichenden Medien zum Beispiel. Es gibt laut der Studie „keinen signifikanten Zusammenhang“ zwischen Religiosität und Gewalt. Ich zitiere:
„Das Modell III belegt ferner, dass diese erhöhte Gewaltbereitschaft wei­testgehend auf andere Belastungsfaktoren zurückzuführen ist, wobei die vier bereits bekannten Faktoren einbezogen werden. Dies führt dazu, dass von der Zugehörigkeit zu einer Konfessionsgruppe kein Effekt mehr auf das Gewaltverhalten zu beobachten ist. (KFN-Studie, Seite 116)
(…) Mit stärkerer religiöser Bindung steigt die Gewaltbereitschaft tendenziell an. Da dieser Zusammenhang aber als nicht signifikant ausgewiesen wird, ist bei islamischen Jugendlichen von keinem unmittelbaren Zusammenhang (und damit auch nicht von einem Gewalt reduzierenden Zusammenhang) zwischen der Religiosität und der Gewaltdelinquenz auszugehen. (KFN-Studie, S. 118)
(…) Mit den hier dargestellten Forschungsergebnissen ist noch nicht ausreichend belegt, dass der Islam für die dargestellte Problematik direkt verantwortlich gemacht werden kann. Zur Klärung bedarf es tiefergehende Analysen (…). (KFN-Studie, S. 129)

Halten wir fest: Kein Effekt, nicht signifikant ausgewiesen, kein unmittelba­rer Zusammenhang, nicht ausreichend belegt – so lautet die Schlußfolge­rung der Studie über den Zusammenhang von Religiosität und Gewalt bei Muslimen.
Und dennoch kam es zu den zitierten Schlagzeilen. In dem Bericht bei Spie­gel Online heißt es: „Eine neue Studie hat eine besorgniserregende Entwick­lung unter jungen Muslimen festgestellt: Demnach wächst ihre Gewalttätig­keit mit zunehmender Bindung an den Islam. Zudem nehme mit der Reli­giosität auch die Akzeptanz von Machokulturen und die Nutzung gewal­thaltiger Medien zu.“
Hier wird die Kausalität geradezu umgekehrt: Während die Studie sagt, dass zu einer starken religiösen Bindung noch andere Faktoren hinzukom­men müssen, um zu erklären, warum junge Männer gewaltbereit werden, sagt der Bericht, die Religion mache Machokultur und den Konsum gewal­thaltiger Medien wahrscheinlicher. Das ist wahrlich „besorgniserregend“.
Es ist ein journalistisches Desaster. Dass Muslime angesichts einer solchen Praxis von Islamophobie sprechen, kann ich verstehen.
Wie in diesem Fall aus einer Studie, die vorsichtig formuliert, eine Alarm­meldung über brutale junge Muslime gemacht wurde – im vollen Bewusst­sein des Herrn Professor Pfeiffer übrigens, dem es offenbar lieber ist, falsch zitiert zu werden als gar nicht – das ist ein Lehrstück darüber, wie es nicht geht.
Warum ich den Begriff Islamophobie dennoch nicht für geeignet halte zu beschreiben, was sich in unserer Öffentlichkeit abspielt, werde ich später beschreiben.
Pfeiffers Ergebnisse wurden ungebührlich aufgeblasen, um daraus antimuslimische Ressentiments zu bedienen.
Muslime und Medien. Das ist heute ein zentrales Feld der Gesellschaftspolitik.
Das ist in den vergangenen Jahren wohl auch dem letzten klar geworden. Als ich vor etwa 10 Jahren anfing, in der ZEIT regelmäßig darüber zu schreiben, war das noch nicht so. Mein Bericht zum Beispiel über eine erregte Kontroverse in der Islamwissenschaft landete im Feuilleton. Ein Chef hatte Bedenken, als ich mich wochenlang in Streitigkeiten über die Übersetzbarkeit bestimmter Passagen des Korans einwühlte. „Sie fehlen mir zu lange für die Hauptthemen“, war die Begründung seiner Sorge.
Nun ist aber der Islam zweifellos eines der Hauptthemen unserer Profession geworden. Und die Chefs haben auch umgedacht.
Es gibt dafür zwei Gründe, über die wir hier nicht viel Worte verlieren müs­sen: Terrorismus und Einwanderung – anders gesagt: radikale, religiös mo­tivierte politische Bewegungen einerseits und Immigration und demogra­phischer Wandel andererseits. Ein außenpolitisches Motiv also, und ein in­nenpolitisches.
Allerdings sprengt das Themenfeld „Islam“ diese fein säuberliche Auftei­lung der journalistischen Welt in „Innen“ und „Außen“, auf die wir so viel Wert legen in meinem Beruf.
Nehmen wir mal die Affäre um das Boot, das aus der Türkei nach Gaza auf­gebrochen war, um dort die israelische Blockade zu brechen – die Mavi Marmara. Eine türkisch-islamische Hilfsorganisation namens IHH steckte hinter dem Unternehmen. Aber auch deutsche Abgeordnete der Linkspar­tei waren mit an Bord. Neun Menschen starben bei dem Versuch der israeli­schen Armee, das Boot zu stürmen.

Nun ist das für Deutschland ganz klar erst einmal eine außenpolitische An­gelegenheit. Aber nicht mehr ausschließlich: Wenn die deutsche Regierung sich hier positioniert, hat das auch Auswirkungen in der Innenpolitik: Wie nimmt der Teil des Publikums, der selber türkische Wurzeln hat, die Einlas­sungen der deutschen Bundeskanzlerin oder des Außenministers wahr? Es kann sein, dass sich in einem solchen Konflikt die deutsche Kanzlerin im Wettbewerb befindet – im Wettbewerb mit dem türkischen Ministerpräsi­denten um die öffentliche Meinung der Deutschtürken zum Thema Israel, Gaza, Blockade. Und wenn bei einer solche Aktion neun türkische Staats­bürger sterben, dann ist das für ein Land wie Deutschland mit einer großen türkischen Minderheit ein Faktum von Bedeutung.
In der deutschen Politik – und in den deutschen Medien – wird aber über den aktuellen israelisch-türkischen Konflikt immer noch geredet und ge­schrieben, als ginge uns diese Sache nur etwas an im Lichte unseres außen­politischen Credos, die Existenz Israels sei „Teil der deutschen Staatsräson“. Ich glaube, dass hier in langer Sicht die innenpolitische Lage die außenpolitische Perspektive verändern wird. Das heißt: Deutschland wird seine außenpolitischen Festlegungen anders (einem anderen Teilpu­blikum) erklären müssen.
Man kann Vorboten dieser Situation erkennen in der Debatte um den Film “Tal der Wölfe – Palästina“, der die Ereignisse um die Mavi Marmara zum Anlass nimmt für eine weitere Folge der erfolgreichen türkischen Actionfil­m-Serie. Man wird sich intensiv mit der Perspektive auseinander setzen müssen, aus der dieser Film auf den Nahostkonflikt blickt. Antisemitische Elemente der Filmerzählung müssen offen und ohne Scheu adressiert wer­den. Es müsste deutlich gemacht werden, dass die Kritik daran nichts mit einer Tabuisierung der Kritik an Israel zu tun hat. Ja im Gegenteil: dass eine glaubwürdige Kritik an israelischer Politik nur möglich ist, wenn sie sich von antisemitischen Stereotypen fern hält.
Man kann an diesem Bespiel sehen, wie ein außenpolitischer Wandel – die Abkühlung der türkisch-israelischen Beziehungen – unmittelbare Auswir­kungen auf die deutsche Innenpolitik haben kann: Über die Frage ei­nes möglichen Verbots des Films „Tal der Wölfe – Palästina“ wird dieser Konflikt in Deutschland ausgetragen – sogar in der Kulturpolitik.

Vergegenwärtigen wir uns einige der Hauptthemen des letzten Jahres, die mit Muslimen und dem Islam zu tun hatten:
Frankreich debattiert und beschießt ein Burka-Verbot; Deutschland be­kommt eine erste muslimische Landesminsterin mit Aygül Özkan, deren Eid mit Gottesbezug sofort zu heftigen Reaktionen führt; bei der Deutschen Islamkonferenz wird der Islamrat ausgeschlossen, der Zentralrat der Mus­lime boykottiert die Sitzungen; Geert Wilders wird in den Niederlanden de facto zum Mitregierenden, das seine Partei die rechtsliberale Koalition dul­det; ein geplantes islamisches Kulturzentrum mit Moschee entzündet in New York eine heftige Debatte („Ground Zero Moschee“); der Pastor einer marginalisierten evangelikalen Gemeinde in Florida, Terry Jones, kündigt die Verbrennung eines Korans an.
Im August erscheint Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“. Im Oktober sagt der Bundespräsident Christian Wulff bei seiner Rede zur Deutschen Einheit, Christentum und Judentum gehörten „zweifelsfrei“ zu Deutschland: „Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“ Vor allem in den beiden Debatten, die Sarrazin und Wulff auslösen, kristalli­siert sich die neue Lage heraus.
Wulffs Satz ist eigentlich eine Banalität. Wolfgang Schäuble hatte zu Beginn der Islamkonferenz 2006 schon das Gleiche gesagt und dafür unisono Zu­stimmung geerntet. „Der Islam ist Teil Deutschlands und Europas. Der Is­lam ist Teil unserer Gegenwart und unserer Zukunft.“ So hatte Schäuble zur ersten Sitzung der DIK gesprochen. Dem Bundespräsidenten jedoch, der vier Jahre später daran anschloss, wurde in einer derart scharfen Wei­se auch aus seinem eigenen politischen Lager entgegnet, dass man sich fra­gen muss: Was ist passiert in den vier Jahren seit Schäubles Versuch, die Muslime willkommen zu heißen? Die Bild-Zeitung ging so weit zu fragen: „Herr Bundespräsident, warum hofieren Sie den Islam?“ Ein Kollege in der FAZ schrieb über Wulff, er „kämpft für den Islam. Wie Erdogan.“ Da liegt ein panischer Ton in der Luft, als würde der Bundespräsident Deutschland verraten und ausverkaufen, indem er eine schlichte Tatsachenfeststellung macht: Der Islam gehört auch zu Deutschland. In der Folge distanzierten sich namhafte Unionspolitiker von Wulff, vor allem aus der CSU. Horst Seehofer schiebt eine These nach, Deutschland brauche keine Zuwanderer aus „fremden Kulturen“ mehr. Es ist nach der Debatte des Jahres klar, dass er damit nicht Inder oder Chinesen meint, die in Bayern hoch willkommen sind als Software-Ingenieure. „Fremde Kulturen“ – das heißt Türken, Araber, Muslime, wie jeder weiß. Es ist eine etwas verklemmte, codierte Art, das zu sagen, ohne sich direkt angreifbar zu machen.
Hans-Peter Friedrich, damals Landesgruppenchef, kann sich auch noch im Jahr 2011, als er längst Innenminister geworden ist – und damit zuständig für die Islamkonferenz – nicht mit Wulffs Feststellung anfreunden und be­hauptet, es gebe „auch historisch“ keine Belege für die Zugehörigkeit des Is­lams zu Deutschland. Auch hier ist es offensichtlich: die angebliche Islam­debatte ist eigentlich eine Identitätsdebatte der verschreckten Mehrheits­gesellschaft, in der es um uns geht: Wer sind wir? Muslime und Islam sind das Kontrastmittel, um unsere verwischende Identität deutlicher hervor­treten zu lassen („jedenfalls sind wir nicht wie die“…).
Ich glaube, die Unionspolitiker, die Wulff im Herbst angreifen (wie sie es noch nie mit einem Bundespräsidenten getan haben), sind durch den Erfolg Thilo Sarrazins nervös geworden. Sein Buch, zu dem ich gleich komme, ist einen Monat zuvor erschienen, und es ist zunächst einhellig verdammt worden von der deutschen Politik (Merkel: „nicht hilfreich“). Sarrazin wird kurzerhand aus der Bundesbank gedrängt (unter Wulffs Beteiligung), und so wird einem Opfer-Mythos vorgearbeitet: Der Klarsprecher soll mundtot gemacht werden. Nicht zuletzt darum hat Sarrazins Buch einen durch­schlagenden Erfolg. Die in die Höhe schnellenden Verkaufszahlen und die tausenden Leserbriefe führen zu einer allmählichen Revision. Man bleibt bei der Verdammung Sarrazins, übernimmt aber teilweise dessen Argu­mente oder versucht auch ein bißchen, dem Affen Zucker zu geben. Seehofers Rede von den „fremden Kulturen“ gehört daher. Auch der Kom­mentar der Kanzlerin, „Multikulti ist gescheitert“, spricht für die Verängs­tigung der Politik angesichts des Publikumszuspruchs für Sarrazin. Man kann die Angst der Politik förmlich riechen in den Wochen nach der Veröf­fentlichung des Buchs – die Angst, dass sich in der Debatte eine allgemeine Wut gegen die Politik Bahn bricht. Eine Wut, wie sie schon in anderen euro­päischen Ländern zum Erfolg der rechtspopulistischen Antipolitiker beige­tragen hat.

Der Islam ist ein hoch politisches Thema geworden, seit sich die Lesart durchgesetzt hat, dass erstens die Muslime nicht wieder weggehen, die durch die Migration hierhergekommen sind. Und zweitens, seit auch dem letzten klar geworden ist, dass diese Muslime ihren Islam nicht irgend­wann abstreifen werden. Der Islam als Religion eines wesentlichen Teils der Bevölkerung muss Teil der staatverfassungsrechtlichen Wirklichkeit werden.
Und mehr als das, denn damit ist ja nur die institutionelle Seite benannt. Man kann von einer „Einbürgerung des Islams“ sprechen, weil es auch um das Vertrautwerden miteinander geht, das sich aufeinander Einlassen in ei­nem viel umfassenderen Sinn. An unseren Debatten über Kruzifixe in Klas­senzimmern, Amtseide mit Gottesformel, Moscheebauten in deutschen In­nenstädten und „genetisch dümmere“ Muslime können wir ablesen, wie viel da noch zu tun – und zu schreiben – bleibt.
Der Islam in Europa ist eines der wichtigsten gesellschaftspolitischen The­men. Er ist von einem so genannten „weichen“ zu einem so genannten „har­ten“ Thema geworden, weil zwei Gruppen ihn in unseren Gesellschaften für ihre Zwecke zu kapern versuchen: Eine kleine Gruppe radikaler Islamisten auf der einen Seite und radikale Rechtspopulisten auf der anderen. Beide leben gut voneinander, beide fördern und stabilisieren ihre jeweiligen La­ger. Beide sind Feinde des europäischen Modells der Moderne als einer offe­nen – auch für andere Religionen offenen – Gesellschaftsordnung.
Für jede Redaktion wird es in Zukunft unabdingbar sein, Experten zu ha­ben, die sprech- und lesefähig sind in Fragen, die den Islam betreffen.
Mehr Sachlichkeit, mehr Objektivität wären natürlich wünschenswert. Aber einfach wird das nicht, denn: Die mediale Debatte über den Islam ist ein leidenschaftlicher Diskurs, in dem es um Selbst- und Fremdbilder geht. Zwei extreme Grundannahmen auf beiden Seiten markieren die Grenzen:
„Ihr wollt uns nicht. Darum reduziert ihr den Islam so gerne auf Zwangsehen, Gewalt legitimierende Koranverse, strikte Scharia-Normen, Ehrenmorde, Macho- Gehabe und so weiter.“ So denken mittlerweile viele meiner türkischstämmigen Bekannten.
Die andere Grundannahme lautet: „Ihr wollt uns am Ende doch islamisie­ren. Ihr akzeptiert unsere liberale Verfassung und unsere offene Gesell­schaft nur so lange, wie sie Euch als Minderheit schützt, um uns dann ir­gendwann doch eure rigiden Vorstellungen von Moral und Anstand, indivi­dueller Freiheit und öffentlichem Glauben aufzunötigen, wie wir sie in den islamischen Ländern sehen.“
Es ist diese unterschwellige Logik des Verdachts, die unsere Debatten strukturiert. Eine faire Berichterstattung wird sich immer gegen diese bei­den Extreme abstoßen müssen. Und dabei besteht eine besondere Schwie­rigkeit darin, dass die Ängste beider Seiten manchmal durchaus berechtigt sind:
Denn es gibt zweifellos Teilnehmer der Debatte, die den Islam hier um kei­nen Preis akzeptieren wollen, und es gibt ebenso jene, die tatsächlich von einer „Islamisierung“ träumen. Weder kann es verboten sein, Islamfeind­lichkeit zu benennen, noch kann es tabu sein, muslimische Feinde der Frei­heit auch als solche zu beschreiben.
Was darf man denn in Deutschland noch sagen – wenn es um den Islam und die muslimischen Einwanderer geht? Die erregteste Debatte zu diesem Thema hat Thilo Sarrazin angestoßen.
Auch die Reaktionen des Publikums sind hoch interessant. Vielleicht sind sie eigentlich das Interessanteste an dem Buch.
In vielen Hundert Beiträgen, die uns in Mails, Briefen und Onlinekommen­taren erreichen, schält sich ein Deutungsmuster heraus, das sich immer weiter vom Ursprung der Debatte löst.
Es lautet etwa so: Einer sagt, was schiefläuft im Land mit den »Türken und Arabern« – und wird dafür bestraft. Man kann einem Mythos beim Entste­hen zuschauen: Thilo Sarrazin, einsamer Kämpfer gegen Rede- und Denk­verbote.
Ich muss sagen, dass viele dieser Beiträge der Leser mich erschreckt ha­ben.
Es kommen in den Leserbriefen und den Onlinedebatten Annahmen über den Stand der Integration, über die »wahren Ursachen« der Probleme des Einwanderungslandes, über die deutsche Identität und über die Haltung der Migranten zutage, die noch weit über Sarrazins Zuspitzungen hinaus­gehen. Eine unterdrückte Wut macht sich Luft.
Viele Beiträge sind von einem Gefühl der Befreiung getragen. Endlich kann man mal sagen, was man schon lange über die Einwanderer denkt, aber sich nicht zu sagen getraut hat.
Mit der alten völkisch-rechten Fremdenangst hat dieses Phänomen herz­lich wenig zu tun. Der politisch-emotionale Druckausgleich findet diesmal eher auf der liberal-progressiven Seite der Gesellschaft statt. Nicht schon die Andersheit des anderen sei das Anstößige, sondern sein Zurückbleiben im Modernisierungsprozess, wie es sich in religiösen Symbolen, traditions­verhafteten Familiensitten und Machismo äußere. Entsprechend geriert man sich wohlig als Bannerträger der Freiheit. Eine manchmal schwer er­trägliche Aura biederer Selbstgerechtigkeit gegenüber den Modernisie­rungsversagern prägt viele Äußerungen, die zuweilen an einen fortschritt­lichen Rassismus grenzen.
Das Gefühl der Befreiung wird interessanterweise dadurch befördert, dass hier nicht etwa ein Mann vom rechten Rand behauptet hat, dass die Mehr­zahl der Türken und Araber »keine produktive Funktion« hätten und die Türken Deutschland mit ihrer Geburtenrate eroberten, »genauso wie die Kosovaren das Kosovo« (Sarrazin) – sondern ein SPD-Mann.
Viele Leser geben sich vollkommen sicher, dass die Integration scheitern müsse, weil »die« (Einwanderer) einfach nicht wollten. Woraus folge, dass es infrage stehe, wie einer triumphierend schreibt, dass wir »überhaupt eine Einwanderungspolitik« brauchten. Und es dauert nicht lange, da kommt derselbe Leser mit seiner Erklärung dafür, dass »Menschen eines völlig an­deren Kulturkreises« nicht integriert werden könnten: Es folgen aus dem Internet kopierte saftige Koranzitate über die »Ungläubigen«. Wieder ein an­derer Leser ist zwar nicht per se gegen Einwanderung, aber wenn schon, dann »nur aus katholischen Ländern«. (Vom schlechten Schulerfolg der ita­lienischen Einwandererkinder hat er offenbar noch nicht gehört.)
Das ist nicht abzutun als das übliche Maß an Ressentiment am Rand der Gesellschaft. Die paar handfesten Neonazis in den Debattenforen und Le­serbriefspalten sind kaum der Rede wert.
Es ist vielmehr die wutschäumende Mitte, über die man sich Gedanken ma­chen muss.
Zum Glaubenssatz hat sich bei diesen Lesern verfestigt, der Islam sei das Problem, und Muslime seien nun einmal nicht integrierbar.
Mich hat diese Welle der Wut schockiert, weil sie quer zu meinem Bild von der deutschen Debatte der letzten Jahre steht:
Wir sind längst weiter, dachte ich. Wir haben in Deutschland die Scheinal­ternative von Harmoniesoße oder kaum verhohlener Verachtung hinter uns gelassen, die frühere Debatten über die »Gastarbeiter« kennzeichnete. Die Konservativen haben sich von der infantilen Sehnsucht nach dem Sta­tus quo ante verabschiedet und akzeptiert, dass die Arbeitsmigration nicht rückabgewickelt werden kann und mit ihren Folgen politisch umgegangen werden muss. So wie die Rechte akzeptiert hat, dass wir ein Einwande­rungsland sind, hat die Linke sich stillschweigend von der naiven Idee ver­abschiedet, Einwanderung sei automatisch eine Bereicherung und Multi­kulturalismus ein Selbstläufer. Zwei kostspielige Formen der Wirk­lichkeitsverleugnung sind vor aller Augen gescheitert, und die Politik hat begonnen, mit einer neuen Integrationspolitik darauf zu reagieren.
Wie sollen wir diese Geisteslage, die sich in der Sarrazin-Debatte äußert, begreifen?
Islamophobie? Ich mag das Konzept nicht, obwohl es offensichtlich eine hohe Islamfeindlichkeit in vielen Meinungsumfragen gibt. Deutschland, darauf beharre ich, ist nicht islamophob. Ein Land mit über 2000 Mo­scheen und Gebetsräumen, die über wenige Jahrzehnte entstanden sind, kann nicht islamophob sein. Mit dem Konzept Islamophobie werden ohne Unterschied irrationale und ratio­nale Ängste im Bezug auf den Islam zu Symptomen einer Art psychischen Krankheit erklärt.
Der Phobiker verhält sich zwanghaft. Er kann anderen zur Gefahr werden und wird zugleich als Opfer einer Krankheit betrachtet, statt als Subjekt mit Überzeugungen und Meinungen, wie fragwürdig diese auch immer sein mögen.
Wollen wir wirklich in solchen Begriffen von der öffentlichen Debatte um den Islam reden, wie sie sich bei uns in den letzten Jahren entfaltet hat? Ich halte das nicht für sinnvoll. Ich kann sehr wohl verstehen, warum sich bei manchen Muslimen der Eindruck einer generellen Islamfeindlichkeit festgesetzt hat. Dies auf eine sich immer weiter verbreitende Islamophobie zurückzuführen, hielte ich dennoch für falsch.
Denn dadurch werden bestimmte Redeweisen und Einstellungen von vorn­herein in den Bereich der krankhaften Angst gerückt und somit psychologi­siert. Man rückt sie damit aus dem Bereich des Verstehbaren und Widerleg­baren heraus. Mit einem Phobiker kann man nicht debattieren. So einfach können wir es uns aber nicht machen.
Schauen wir uns kurz den ersten Versuch an, Islamophobie zu definieren. Dann wird das Problematische dieses Begriffs deutlich werden.
Der Begriff wurde durch eine Studie des britischen Runnymede Trust 1997 in die Debatte eingeführt. Runnymede Trust ist eine unabhägige Lobby­gruppe für eine multi-ethnische, multireligiöse und multikulturelle Gesellschaft.
Eine islamophobe Einstellung kommt nach einer Definition des Trust in fol­genden Meinungen zum Ausdruck:
– Der Islam sei ein allein stehender monolithischer Block, statisch und für Veränderung unempfänglich.
– Der Islam sei gesondert und fremd, er habe keine gemeinsamen Ziele und Werte mit anderen Kulturen; weder sei er von ihnen beeinflusst noch beein­flusse er sie.
– Der Islam sei dem Westen unterlegen, barbarisch, irrational, primitiv und sexistisch.
– Der Islam sei gewalttätig, aggressiv, bedrohlich, den Terrorismus unter­stützend und in einen Kulturkampf verstrickt.
– Der Islam sei eine politische Ideologie, die für politische oder militärische Vorteile genutzt werde.
Islamophobie und Rassismus werden oft synonym gebraucht. Das ist pro­blematisch: Denn ich kann sehr wohl feindliche Gefühle gegenber dem Is­lam als Religion hegen, ohne Muslime dabei rassistisch abzulehnen. Sonst wäre Islamkritik und Islamfeindlichkeit vonseiten geborener Muslime ja nicht möglich. Auch dies ist ein Versuch, jede Kritik am Islam von vornher­ein als rassistisch zu diskreditieren.
Ausserdem bin ich der Meinung, dass alle die vermeintlich islamophoben Ideen, die der Runnymede Trust hier auf den Index gesetzt hat, prinzipiell unter dem Schutz der Meinungsfreiheit stehen.
Der Islam wird von manchen Muslimen als politische Ideologie verstanden. Das bestreiten am allerwenigsten jene Muslime, die sich dagegen verweh­ren. Ja, der Islam hat – auch – ein gewaltätiges, aggressives und bedrohli­ches Gesicht. Terrorismus und Kulturkampf sind ihm nicht fremd. Die meisten der Opfer des radikalen politischen Islams sind selber Muslime. Es vergeht keine Woche in Pakistan ohne einen traurigen Beweis für diese These.

Ist der Islam dem Westen unterlegen? Ist er sexistisch? Ist er barbarisch? Letzteres würde ich nicht sagen, aber Barbaren im Namen eines bestimm­ten Islam gibt es zweifelsohne. Sie bringen mit Vorliebe andere Muslime um, wie wir mit Schrecken im Irak, in Pakistan, in Afghanistan sehen kön­nen. Sexismus? Wer möchte aufstehen und sagen, dies sei ein völlig absur­der Vorwurf? Dass der Islam dem Westen unterlegen sei, ist die große Angst und der Antrieb vieler muslimischer Reformdenker der letzten 200 Jahre. Die Geschichte der modernen Türkei und ihres Laizimus/Kemalis­mus läßt sich ohne diese Angst überhaupt nicht verstehen. Warum sollten wir diese Aussage also tabuisieren? Nur weil es nicht in Ordnung ist, wenn Nichtmuslime sagen, was Muslime seit 200 Jahren sagen? Genauso verhält es sich mit der Aussage, der Islam sei ein allein stehender monolithischer Block, statisch und für Veränderung unempfänglich.
Es ist Unsinn, diese Aussage als Indiz für Islamophobie anzusehen. Manche Muslime sehen des Islam genau so, manche Muslime kämpfen wiederum gegen jene, weil sie Veränderungen wollen. Eine Aussage, die Gegenstand eines innermuslimischen Streits ist, zum Symptom für Islamophobie zu er­klären, wenn sie aus dem Mund von Nichtmuslimen zu hören ist – das geht einfach nicht.
Der Islamophobie-Begriff, wenn er sich durchsetzen sollte in der Breite, in der ich ihn hier skizziert habe, hätte fürchterliche Folgen für unsere libera­le Öffentlichkeit. Er wäre ein Instrument, um jede missliebige Debatte zu ersticken. Diejenigen muslimischen Gruppen, die ihn in Großbritannien propagieren, sind durch die Salman-Rushdie-Affäre entstanden. Ich halte das nicht für einen Zufall. Die Verwendung des Islamophobie-Begriffs sei­tens dieser Gruppen ist ein Versuch, den in der Rushdie-Affäre gewonne­nen Boden zu verteidigen und zu vergrößern.
Wer aber die Wahrnehmung der Menschen verändern will, ist schlecht be­rufen, mit Verboten, Tabus und Sprachregelungen zu arbeiten. Besser wäre es, der Öffentlichkeit ein anderes Image des Islam zu präsentieren. Aller­dings darf das nicht bloß eine Art beschönigende Gegenpropaganda sein. Es muss ein authentisches Gegenbild sein, dass die problematischen Dinge nicht ausblendet und von echter Auseinandersetzung mit ihnen zeugt.
Viele Muslime hierzulande sehen sich als eine Minderheit, die nicht genü­gend offen und herzlich angenommen wird. Für Journalisten ist es wichtig, so etwas zu wissen. Aber am Ende darf es die Berichterstattung nicht ent­scheidend beeinflussen. Sonst wird der Journalismus (noch mehr) Teil der Identitätspolitik, indem er versucht, das „richtige Bild des Islam“ zu for­men.
Ein Journalist darf sich so etwas nicht vornehmen, sonst wird er zum Iden­titätspolitiker. Er soll – das ist eine Banalität – sein jeweiliges Thema fair und unvoreingenommen angehen.
Das journalistische Ethos läßt sich in einem kleinen Satz zusammenfassen: „Dies alles gibt es also.“ Am Anfang soll das Staunen stehen und der Wunsch, die Leser ins Erstaunen zu versetzen über eine Wirklichkeit, die fast immer ein bisschen anders ist, als man denkt. Pathetischer kann ich es nicht sagen.
Und das bedeutet für das Thema Islam: Wir müssen gleichzeitig auf- und ab­rüsten. Die Aufmerksamkeit für viele Phänomene, die heute noch am Ran­de unserer Wahrnehmung liegen, muss aufgebohrt werden. Und der Gestus des kulturellen Endkampfes, mit dem wir über islambezogene Themen re­den, muss entschieden heruntergedreht werden. Dabei will ich nicht be­streiten, dass wir Zeugen einer dramatischen Entwicklung sind: Von einem Land mit einem Dutzend Moscheen sind wir in weniger als 50 Jahren zu ei­nem Land der zweitausend Moscheen geworden – eine großartige Leistung für ein Land, das sich noch vor wenigen Jahrzehnten nicht nur schwer ge­tan hat mit Fremden, sondern sie vernichtet hat. Womit wir wieder bei der von Benz angestoßenen Debatte wären.

Was also sollen wir Journalisten tun?
Wir sollen weiter – und mehr als vorher – über den Islam berichten, aber ohne das Leben der muslimischen Migranten und ihrer Kinder hier darauf zu reduzieren.
Der Islam ist die Lösung, lautet die Parole der Islamisten. Und die „Islam­kritiker“ stimmen ihnen zu, nur ins Negative gewendet: Der Islam ist das Problem.
Eine reduktionistische Berichterstattung kommt diesen beiden Gruppen gerade recht. Dagegen sollte der Pluralismus des islamischen Lebens hier sichtbar werden. Es gibt viele Weisen, Muslim zu sein in Deutschland – fromm, konservativ, liberal, skeptisch, desinteressiert, ja sogar auf eine spezifisch muslimische Weise ungläubig, so paradox es klingen mag.
Insofern stimme ich überein mit den Autoren einer großen Studie über das „Islambild bei ARD und ZDF“, Kai Hafez und Carola Richter. Sie fanden vor einigen Jahren, „dass das Hauptproblem der Islamberichterstattung von ARD/ZDF nicht so sehr die Darstellung von Konflikten an sich ist, sondern die extrem hohe Konzentration auf dieses Themenspektrum. Nicht die Dar­stellung des Negativen ist das Problem, sondern die Ausblendung des Nor­malen, des Alltäglichen und des Positiven. Es entsteht der Eindruck, als lie­ßen sich ARD/ZDF ungeachtet vieler offizieller Bekundungen des Gegenteils von einem simplifizierten Bild des ‘Kampfes der Kulturen’ zwischen dem Is­lam und dem Westen leiten, das ungeachtet seiner großen Popularität fast keine Unterstützer in der Wissenschaft findet. (…)
Es bedarf keiner an vorgefertigten Kulturmodellen orientierten Nachrichtenroutine, sondern eines lebendigen und dynamischen Journalismus, der nicht mehr über den Islam berichtet, sondern die vorhandenen medialen Räume so pluralistisch konzipiert, dass alle Bereiche des muslimischen Lebens eingeschlossen werden.“
Ein Beispiel dafür, wie man’s nicht macht: Ein Vertreter der DITIB hat mir erzählt, dass er vor wenigen Jahren einmal zu einer der großen Talksen­dungen im deutschen Fernsehen eingeladen werden sollte. Es fand ein Vor­gespräch statt, das angenehm verlief. Dann wurde er kurz vor der Sendung doch noch ausgeladen. Begründung: Man hätte sich etwas schärfere Kom­mentare von ihm erhofft. In der Sendung bei Sabine Christiansen saß dann der Leipziger Salafist Hassan Dabagh mit seinem malerischen Rauschebart. Er wirkte toll im Fernsehen. Er wirkte wie fürs Fernsehen geschaffen.
Eine Veralltäglichung der Islamberichterstattung, wie von Hafez und Rich­ter gefordert, wäre zweifellos wünschenswert. Aber ich habe Probleme mit der Scheu vor Konflikten. Ich bin nämlich nicht der Meinung der Autoren, dass die Berichterstattung über Konflikte im Zusammenhang mit dem Is­lam integrationshemmend wirkt. Ganz im Gegenteil glaube ich, dass Inte­gration sich immer im Modus des Konflikts vollzieht.
Zu einer pluraleren Gesellschaft gehört ganz zentral auch das Aushalten von Konflikten. Die schöne Idee, dass man in einer pluralistischeren Gesell­schaft rücksichtsvoller zu sein habe, kann nicht von oben her durchgesetzt werden.
Sie wird sich nur aus durchlebten Konflikten ergeben, in denen man einan­der kennen – und die Sensibilität des anderen respektieren – lernt. Dass es am Ende in einer „bunten Republik Deutschland“ , wie der neue Bundesprä­sident sagt, netter und höflicher zugeht, darauf würde ich also nicht wet­ten. Alle Seiten müssen wohl lernen, mit immer mehr Zumutungen zu le­ben.