Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Streitgespräch mit einem Salafisten und einer liberalen Muslimin

 

Mit der Kollegin Özlem Topçu zusammen habe ich ein Gespräch zwischen einem Salafisten und einer liberalen Muslimin moderiert. Aus der ZEIT von heute, S. 4:

Lamya Kaddor, 35, ist Lehrerin für Islamkunde an einer Schule im niederrheinischen Dinslaken. Sie ist Mitbegründerin des Vereins Liberal-Islamischer Bund und Autorin von Büchern wie »Der Koran für Kinder und Erwachsene« und »Muslimisch, weiblich, deutsch«.
Abdurrahman Malik heißt eigentlich anders, ist Anfang 20, Student und bekennender Salafist. Seinen richtigen Namen möchte er aus Angst vor Morddrohungen aus der extremistischen Salafistenszene nicht nennen. Wir treffen die beiden in einem Duisburger Hotel zum Gespräch. Malik weigert sich, Lamya Kaddor mit Handschlag zu begrüßen.

 

DIE ZEIT: Herr Malik, Salafisten werden mit Intoleranz, Gewalt und Terror in Verbindung gebracht. Warum sind Sie Teil dieser Bewegung?

Abdurrahman Malik: Für mich ist das Wort »Salafist« kein Schimpfwort. Es geht auf die Muslime der ersten Stunde zurück, die im Islam großes Ansehen genießen. Salafisten orientieren sich stark an Koran, der Sunna, der Lebensweise des Propheten Mohammed und Religionsgelehrten, zumeist aus Saudi-Arabien. In der deutschen Debatte assoziiert man den Begriff mit gewalttätigem Extremismus. Diese Pauschalisierung lehne ich ab, genauso wie die radikal-militanten Salafisten und ihre Ideologie.

ZEIT: Warum haben Sie diese rückständigste Form des Islam gewählt?

Malik: Was heißt rückständig? Die Gesetze meiner Religion umzusetzen ist für mich kein Hardcore-Islam. Der Islam ist eine Gesetzesreligion, und ich befolge die Gesetze.

ZEIT: Frau Kaddor, die Salafisten dominieren im Moment das Islambild in Deutschland, sie verteilen Korane und demonstrieren gegen Islamkarikaturen – teilweise gewalttätig. Sie versuchen mit Ihrer Arbeit, ein liberales Islambild zu vermitteln. Stehlen Ihnen die Fundamentalisten die Show?

Lamya Kaddor: Sie machen mir meine Arbeit kaputt. Ich will den Islam weiterdenken und dabei auch zu neuen Schlüssen kommen. Das bedeutet: weniger Dogma und mehr Spiritualität. Die Salafisten machen das zunichte, weil sich dank ihrer Auftritte die Diskussion nun vor allem darum dreht, ob Muslime generell rückständig und gewaltbereit sind. Ich fühle mich um mindestens 20 Schritte zurückgeworfen.

Abdurrahman Malik* (Name geändert) und Lamya Kaddor                     Foto: Michael Dannemann für DIE ZEIT

ZEIT: Sind Salafisten nicht spirituell?

Kaddor: Jede unorthodoxe Form, Gott näherzukommen, sehen Salafisten als Ketzerei an. Sie sagen, es habe mit der »reinen Lehre« nichts zu tun. Das erschreckt mich. Sie tun so, als kennten sie allein die Wahrheit. Doch kein Mensch kann das für sich in Anspruch nehmen – nur Gott. Ich komme aus einem konservativen Elternhaus, aber es gab dort keinen Zwang. Meine Eltern haben meinen beiden Schwestern und mir das Kopftuch empfohlen, aber uns nicht unter Druck gesetzt. Ich kannte als Kind schon etliche Koranverse. Aber mir reichte das nicht, irgendwann kamen die Fragen: Warum machen wir das so? Wozu all diese Regeln? Es fehlten zeitgemäße Antworten. Für Salafisten sind bereits Fragen tabu, sie überlassen alles den Gelehrten. Was Scheich XY sagt, ist Gesetz.

ZEIT: Halten das nicht auch viele Mainstream-Muslime so?

Kaddor: Ja, aber das kritisiere ich eben: Warum soll jemand, der Tausende Kilometer weit entfernt ist, uns in Deutschland sagen, was wir zu tun haben? Die Fixierung auf einen Gelehrtenspruch verhindert, dass man seinen eigenen Verstand einschaltet.

Malik: Moment mal: Auch Salafisten können zu eigenen Schlüssen kommen. Ja, es gibt eine starke Abhängigkeit von den Religionsgelehrten. Das heißt aber nicht, dass wir nicht die Verhältnisse zum Beispiel in Saudi-Arabien kritisieren. Warum darf eine Frau dort nicht Auto fahren, wenn Aischa, die Ehefrau des Propheten, auf einem Kamel geritten ist? Für mich passt das nicht zusammen. Da unterscheiden Frau Kaddor und ich uns nicht wesentlich.

Kaddor: Doch! Weil ihr euch solche Fragen überhaupt noch im Ernst stellt. Der Einfluss dieses engherzigen Verständnisses von Religion macht mir Angst. Warum beispielsweise dürfen Frauen Ihrer Meinung nach nicht vorbeten?

Malik: Die Gelehrten haben so geurteilt – diskutabel ist es aber.

Kaddor: Da sind meine Schüler weiter. Ich habe im Unterricht mal gefragt, ob jemand Probleme hätte, wenn ich ein gemeinsames Gebet leiten würde. Die Jungs meinten: Kein Problem.

Malik: Wenn Sie es theologisch begründen können – o.k. Ich bin auch nicht für eine Geschlechter-Apartheid. Mann und Frau können ganz normal miteinander umgehen, sich beim Gespräch in die Augen sehen. Die Grenze ist die Berührung.

Kaddor: Sie sind ja richtig gemäßigt! Ein strenger Salafist würde eine Frau nicht mal ansehen.

Malik: Ich nenne es reformatorisch-konservativ.

ZEIT: Das müssen Sie unseren Lesern erklären.

Malik: Reformatorisch-konservativ bedeutet: Wir richten uns nach dem Koran und der Sunna, aber wir wählen nicht, anders als die Hardcore-Salafisten, die strengste Variante der Auslegung, sondern versuchen, liberalere Standpunkte zu vertreten, ohne die Rechtsquellen zu ignorieren oder zu um-gehen, was wir Liberalen wie Ihnen vorwerfen.

Kaddor: Sie haben aber einen massiven Missionsanspruch.

Malik: Missionsanspruch, ja, aber zieht das Gewalt nach sich? Die salafistische Szene hat sich kollektiv – mit Ausnahme der Radikal-Militanten – gegen die jüngsten Ereignisse in NRW aus-gesprochen.

ZEIT: Sicherheitsbehörden sehen aber eine besondere Nähe der Salafisten zu Gewalt und Terror. Alle Dschihadisten, die sich von Deutschland aus aufgemacht oder in Deutschland zugeschlagen haben, hatten Kontakt zu salafistischen Netzwerken. Sie selbst werden von Glaubensbrüdern bedroht.

Malik: In der salafistischen Szene gibt es einen klaren ideologischen Bruch zwischen Moderaten und Radikal-Militanten, die Ge-walt gegen Muslime wie Nichtmuslime legitimieren und mit Al-Kaida sympathisieren. Wenn sich moderate Salafisten dagegen-stel-len, werden sie im schlimmsten Fall mit dem Tod bedroht – was auch mir passiert ist. Und wenn ich in letzter Zeit Zorn verspürte, dann nicht wegen liberalen Muslimen oder Nichtmuslimen, sondern wegen der Radikal-Militanten, die mei-ne Religion in den Dreck ziehen. Mit diesen »Brüdern« verbindet mich gar nichts.

ZEIT: Dennoch haben Gewalttäter geistige Führer, die sie anstiften. Ist jemand wie Frau Kaddor in Ihren Augen eine richtige Muslima?

Malik: Es gibt liberale Muslime in Frau Kaddors Verein, die ich aus meinem theolo-gischen Verständnis heraus zu Nichtmuslimen erklären müsste, da sie in einigen Punkten fundamental von der Glaubenslehre abweichen.

Kaddor: Woher nehmen Sie sich das Recht, darüber zu urteilen? Das kann nur der Allmächtige.

Malik: Wenn Positionen vertreten werden, die mit dem islamischen Recht nicht kompatibel sind, ist die Sache klar. Beispielsweise wenn homosexueller Geschlechtsverkehr legitimiert wird, ohne jede theologische Begründung.

ZEIT: In der deutschen Gesellschaft sind gleichgeschlechtliche Beziehungen heterosexuellen gleich-gestellt. Wie lebt man mit der öffentlichen Toleranz der »Sünde« als deutscher Salafist?

Malik: Wir müssen es tolerieren und einen vernünftigen Umgang mit diesen Menschen finden. Zum einen hat die Scharia hier keine staatliche Rechtsgültigkeit, und zum anderen kommen auch die Rechtsschulen des Islam
zu verschiedenen Urteilen, von der Ermahnung bis hin zur Todesstrafe. Der Salafistenprediger Pierre Vogel hat sich in dieser Frage klar zur Ermahnung bekannt. Ich selbst sehe das anders.

ZEIT: Sie plädieren für körperliche Strafe?

Malik: Nach islamischem Recht, ja.

Kaddor: Dafür gibt es im Koran keine Regelung. Es steht noch nicht einmal eindeutig irgendwo geschrieben, dass man als Schwuler in die Hölle kommt. Gott erwähnt auch an keiner Stelle, was mit Frauen passiert, die kein Kopftuch tragen – woher also diese ständige Strafandrohung?

ZEIT: Das ist aber doch das Merkmal des Salafismus hierzulande. Wer kein Muslim wird, kommt in die Hölle.

Malik: Nach der islamischen Glaubenslehre werden Nichtmuslime das Seelenheil nicht -erreichen. Von Teilen der Salafisten wird dies aber als systematische Angstpädagogik verwendet.

Kaddor: Beispielsweise gegen Juden und Christen – für Sie doch Ungläubige, die in Hölle kommen.

Malik: Für mich sind Juden wie auch andere Nichtmuslime Ungläubige.

Kaddor: Warum? Mit welcher Begründung?

Malik: Der Islam erhebt wie jede andere Religion einen Wahrheitsanspruch, der von Andersgläubigen nicht anerkannt wird. Diese Einstellung ist nicht speziell salafistisch.

ZEIT: Wegen solcher Ansichten wirft der Bundesverfassungsschutz Salafisten vor, einen Gottesstaat errichten zu wollen, in dem Grundrechte unserer Verfassung nicht gelten.

Malik: Es sind religiöse Überzeugungen, die un-sere persönliche Meinung darstellen und aus -unserer Sicht besser für die Gesellschaft sind.

ZEIT: Muss nicht jeder Salafist einen islamischen Staat anstreben?

Malik: Nach meinem Verständnis sollte ein Mus-lim das tun, ja. Es beginnt mit der einfachen Arbeit in der Gesellschaft, wie die Muslimbruderschaft es auch getan hat. Wir müssen an der Basis anfangen. Wir können es nicht von oben mit Gewalt durchsetzen. Übrigens ist ein islamischer Staat und die Anwendung der Scharia kein Patentrezept dafür, dass alles besser wird. Siehe Iran.

Kaddor: Da gehen bei mir alle Lampen an, wenn ich so etwas höre.

Malik: Es ist eine Utopie, in Deutschland zumindest.

Kaddor: Utopie? Schauen Sie sich doch die sogenannten islamischen Staaten an – wo bitte fördern die »islamische Werte«? Nicht islamische Staa-ten, die die Menschenrechte achten, sind für mich »islamischer« als die angeblich schariakonformen Staaten, die sie mit Füßen treten.

ZEIT: Herr Malik, müssten Sie mit Ihrem Wunsch nach einem Schariastaat nicht nach Saudi-Arabien auswandern?

Malik: Ja, da ist etwas dran. Aber die Gelehrten sagen: Wenn ihr in einem nicht muslimischen Staat eure Religion frei ausleben könnt, dann müsst ihr nicht zurückkehren. Deswegen wehre ich mich immer dagegen, wenn gesagt wird, in Deutschland gebe es eine Islamhetze. Die Muslime können ihre Religion frei ausleben, wir können hier unsere Moscheen bauen, Frauen können Kopf-tücher tragen, auch wenn es gewisse Repres-sionen im Alltag gibt. Aber wir können hier -wesentlich besser und freier leben als in vielen muslimischen Staaten.

ZEIT: Wäre es dann nicht besser, Ihre Glaubensgenossen würden statt des Korans mal das Grundgesetz verteilen?

Kaddor: … einige Muslime machen das ja schon.

Malik: Ich habe nichts dagegen, denn man muss sich an die Gesetze des Landes halten. Das schreibt die Scharia klar vor.

Kaddor: Das ist ja die Ironie: Nach der Scharia muss er zwar die Demokratie achten – aber nur, weil er hier lebt.

ZEIT: Aber unser Grundgesetz schreibt ja auch vor, dass niemand wegen seiner Rasse, seines Geschlechts, seines Glaubens oder seiner Sexualität diskriminiert werden darf.

Malik: Dementsprechend haben wir uns auch daran zu halten.

Kaddor: Finden Sie nicht, dass wir Muslime Besseres zu tun haben, als über Kopftücher zu diskutieren? Es kann doch nicht bloß darum gehen, die Jugend durch Verbote und Strafen zu besonders frommen Muslimen zu erziehen!

Malik: Es fehlt an Bildung, da stimme ich zu. Aber auch an religiöser Bildung.

Kaddor: Ja, eben. Und da sollten wir uns zu-sammentun. Wir leben in einer modernen Gesellschaft, die Globalisierung schreitet voran – und wir träumen uns eine kleine, muslimische Welt zusammen, die es so gar nicht gibt und nie gegeben hat.

Malik: Dem kann ich mich klar anschließen.

 

Die Fragen stellten Jörg Lau und Özlem Topçu