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Wie wir mit Breivik fertig werden

 

Das Osloer Urteil ist der bewundernswerte Sieg einer modernen Gesellschaft über den Hass, der in ihrer Mitte entsteht.

Wie die norwegische Gesellschaft angesichts des Grauens kühlen Kopf und liberale Werte bewahrt, zeigt an diesem Freitag die Urteilsverkündung im Osloer Gerichtssaal 250.

Richterin Wenche Arntzen nimmt in bestimmter, manchmal gar harscher Weise das erste psychiatrische Gutachten auseinander, in dem Breivik als nicht schuldfähig qualifiziert wurde. Breivik ist schuldfähig, führt Antzen aus. Er wird zu 21 Jahren Haft verurteilt, die er nicht in der Psychiatrie, sondern in isolierter Sicherheitsverwahrung verbringen wird. Voraussichtlich wird er nie wieder die Freiheit sehen, denn im Anschluss an seine Haft wird Breivik, der nie Reue gezeigt hat, weggeschlossen bleiben.

Breivik ist also nach Ansicht des Gerichts nicht geistesgestört. Hat er demnach das Urteil bekommen, das er wollte? Insofern ja, als er sich vehement gegen das psychiatrische Gutachten verwehrt hatte, das nun auch die Richterin verwirft. Aber es zeichnet das Gericht aus, dass es sich von diesen Umständen nicht hat beeindrucken lassen. Selbst wenn Breivik es so gewollt hat, darf das keine Rolle für die Urteilsfindung spielen.

Breivik sieht sich hier einer Justiz gegenüber, die ihn nicht als Irren abtut, sondern seine Gedankenwelt und seinen Hass auf „Multikulturalismus“ ernst nimmt – und seine daraus resultierenden Verbrechen klar und kühl verurteilt. Das ist richtig so. Das geistige Konstrukt, das ihn zu seinen Taten motivierte, ist schließlich nicht irgendeine Fieberphantasie. Er hat lediglich Bestandteile zusammengeführt, die in der digital vernetzten Szene der Islamhasser seit Jahren frei herumflottieren. Die Botschaft der Richterin Arntzen ist: Wir werden mit Dir fertig. Wir wissen, wie Du tickst und was Dich zu Deinen Taten getrieben hat. Wir sind stark genug, auch wenn es schwerfällt, Dir ins Auge zu schauen und Dir zu sagen, dass Du ein erbärmlicher Verbrecher bist. Deine Anmaßung beeindruckt uns nicht. Wir lassen uns von Dir nicht verrückt machen. Deine Taten sind monströs, aber Du bist kein Monster. Und wir müssen Dich nicht zu einem Freak erklären, um mit Dir leben zu können. Die Auseinandersetzung mit dem Ungeist, für den Du stehst, wird eine politische sein, keine psychiatrische.

Die Richterin lässt nichts übrig von dem Versuch, den Angeklagten zu einem Freak zu erklären. Sie gesteht zu, dass er Persönlichkeitsstörungen habe, dass er eine narzisstische Person sei. Aber sie lässt sich nicht beeindrucken von den Passagen seines Manifests über „Tempelritter“, die den Psychiatern als Indiz für mangelnde Schuldfähigkeit galten.

Sie verurteilt ihn infolgedessen als einen persönlichkeitsgestörten, politischen Verbrecher, der seine Taten sehr wohl verstehen kann – so wie er sie auch kaltblütig und professionell planen konnte. Und wie recht sie damit hat, zeigt sich am Ende des Prozesses, als Breivik sagt, er erkenne das Gericht nicht an, weil es von „Multikulturalisten“ seinen Auftrag erhalten habe. Als er dann die „militanten Nationalisten“ in Europa adressieren will, dreht die Richterin ihm das Mikrofon ab.

Der ganze Auftritt von Wenche Arntzen strahlt das Selbstbewusstsein einer erwachsenen Gesellschaft aus, die dem politisch Bösen furchtlos Auge in Auge gegenübertritt. Für die Gerichtspsychiatrie allerdings ist dieser Tag ein herber Schlag. Sie hat sich als unfähig erwiesen, einen (politischen) Wahn und Hass zu erfassen, den leider auch viele teilen, die nicht (oder noch nicht) wie Breivik zur Bluttat bereit sind.

Deutschland hat allen Grund, diesen Prozess genau zu betrachten: Wir haben es nicht geschafft, die politischen Serienmörder des NSU vor Gericht zu stellen. In der Auseinandersetzung mit ihrem politischen Wahnsystem hätten sich uns ähnliche Fragen gestellt wie den Norwegern durch Anders Breivik. Was hätten wir mit Böhnhardt und Mundlos gemacht, die keine Manifeste geschrieben haben, deren Handeln aber nicht weniger „irre“ ist als das des Norwegers?
In Oslo ist an diesem Freitag ein Sieg der Zivilisation und der modernen Gesellschaft über den Hass, der in ihrer Mitte entsteht und sich gegen sie selbst richtet, zu beobachten. Dieser Hass kann viele Formen annehmen: Faschismus, Antisemitismus, Linksterrorismus. Heute ist eine seiner virulentesten Formen der Hass auf den neuen Anderen, den Einwanderer, den Moslem.

Nein, Breivik wird nicht bekommen, was er gewollt hat. Nun droht ihm ein Leben in drei isolierten Hafträumen, mit Fitnessgeräten, Büchern und einem Computer – aber ohne Internetzugang. Vor allem Letzteres ist für ihn ein wesentlicher Teil der Strafe, denn sein Hass speist sich aus den Ideen, die er über das Internet gefunden und aus denen er sein Manifest zusammengesampelt hat. Im Internet wollte er sich nun auch seiner Taten rühmen, sich als Tempelritter gegen den Multikulturalismus inszenieren. Das ist einer der bisher vernachlässigten Aspekte dieses Terrorismus: Er wäre ohne den Echoraum der Islamhasser-Foren nicht denkbar gewesen. Weil diese Foren weiter höchst aktiv sind, wird uns Breiviks Erbe, auch wenn er hinter hohen Mauern verschwunden ist, weiter beschäftigen müssen.