Vor dem Hintergrund der aktuellen Razzien bei deutschen Stiftungen in Russland ist dieser aktuelle Text aus der ZEIT von heute vielleicht von Interesse. Ich habe beim Auswärtigen Amt nachgehakt, wie man dort über die Äußerungen von Alexander Rahr über die deutsche Russlandpolitik denkt.
Offenbar hat in der Regierung das Nachdenken über den deutschen Kurs gegenüber Russland begonnen. Das Auswärtige Amt geht in Reaktion auf einen kritischen Bericht der ZEIT (Nr. 12/13) auf Distanz zum einflussreichen Kreml-Experten Alexander Rahr. Rahr hatte, wie berichtet, in einem Interview mit einer russischen Zeitung die deutsche Russlandpolitik kritisiert: Gegenüber Putin auf Rechtsstaat und Demokratie zu setzen komme einem aggressiven Werteexport gleich, »wie vor 100 Jahren von der Sowjetunion propagiert«. Deutschland sei Amerika und Israel verfallen und wolle unter dem Vorwand des Eintretens für Menschenrechte Russland mit liberalen Werten unterwandern.
Im Außenministerium heißt es nun, man teile Rahrs »bekannt gewordene Äußerungen zur westlichen Wertepolitik nicht. Es ist jetzt an Herrn Rahr, für Klarheit zu sorgen hinsichtlich der Umstände und Inhalte des in der Komsomolskaja Prawda veröffentlichten Textes. Natürlich ist Herr Rahr auf sein Interview angesprochen worden.«
Ein Sprecher des Ministeriums bekräftigt: »Auch gegenüber Russland verfolgen wir unsere Interessen und treten für unsere Werte ein. Dies ist Ausdruck unserer interessengeleiteten und werteorientierten Außenpolitik.« Die Bundesregierung setze »sich für die weitere Vertiefung der strategischen Partnerschaft mit Russland ein, in deren Rahmen in umfassender Weise die politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Beziehungen gefördert und auch Fragen im Zusammenhang mit Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten nicht ausgespart werden«.
Rahr aber legt nach: Von Spiegel Online auf den ZEIT-Bericht über sein Interview angesprochen, verteidigt er abermals Putins autoritäre Herrschaft. Sie sei nun mal »authentischer« als das demokratische Chaos unter Boris Jelzin: »Die Mehrheit der Russen denkt anders. Stabilität und die Orientierung an einer starken Hand sind ihnen wichtiger als Demokratie.« Das habe für die deutsche Politik einen entlastenden Effekt, wirbt Rahr sarkastisch: Sie brauche dann nicht weiter »erfolglos zu versuchen, Russland zur Demokratie zu zwingen«. Das Beharren auf Menschenrechten ist für Alexander Rahr also gleichbedeutend mit »Zwang« zur Demokratie.
Das wirft die Frage auf, wie dieser Experte seine Aufgaben in den beiden wichtigsten quasioffiziellen Foren der Russlanddiplomatie versteht. Rahr ist seit November Forschungsdirektor des Deutsch-Russischen Forums (DRF), das hauptsächlich von der an Russland interessierten deutschen Industrie finanziert wird. Und auch beim Petersburger Dialog, dem von Wladimir Putin und Gerhard Schröder initiierten und von Angela Merkel fortgeführten jährlichen Treffen zwischen deutschen und russischen Eliten aus Politik und Wirtschaft, sitzt Rahr im Lenkungsausschuss.
Das Außenministerium betont, beide Institutionen seien »vom Auswärtigen Amt unabhängig«. Das ist richtig, doch erst die enge Kooperation der Regierung mit den beiden Vereinen macht die Gremien für die russische Seite interessant und damit im Gegenzug auch zu potenziell besonders wertvollen Instrumenten der deutschen Russlandpolitik.
Dass Alexander Rahr als intellektueller Kopf des Deutsch-Russischen Forums firmiert – ein Mann, der jegliche Kritik an Putins Autoritarismus als »Hysterie« abtut und Menschenrechtler als »Kreuzritter« diffamiert –, gibt der Sache eine merkwürdige Schlagseite. Auf der Website des DRF wird seine Aufgabe so beschrieben: »Zu den weiteren Aufgaben des Forschungsdirektors werden die Organisation und Moderation der inzwischen etablierten Kamingespräche beim russischen Botschafter und diverser Energiefrühstücke zählen.« Rahr ist in den vergangenen Jahren gegenüber der russischen Seite immer wieder in quasioffizieller Funktion als Vermittler für Dialogprojekte aufgetreten. Im Ministerium gilt er als »ausgewiesener Russlandkenner mit vorzüglichen Kontakten«. Rahr fungiert als Ratgeber des Auswärtigen Amtes unter anderem beim Thema Rechtszusammenarbeit mit Russland.
Anscheinend wird nun infrage gestellt, ob dies wirklich eine glückliche Kombination ist. Aus dem Außenministerium heißt es, die Kooperation »mit dem privaten Verein DRF macht sich nicht an einer bestimmten Person fest«.