Gespräch mit einem zionistischen Siedlungskritiker

Am Rande der Tagung in Budapest über „Liberalism after Neoliberalism“ hatte ich Gelegenheit, Zeev Sternhell kennenzulernen, den bekannten israelischen Faschismusforscher.

Ich hatte seinerzeit darüber berichtet, dass er in seinem Haus in Tel Aviv beinahe einem Bombenattentat – vermutlich von radikalen Siedlern – zum Opfer gefallen wäre.

Er sagte, es gehe ihm gut. Er werde sich auch weiter nicht einschüchtern lassen, gleichwohl gebe es ihm zu denken, dass die Polizei nicht in der Lage sei, die Täter zu finden.

Ich fragte Sternhell nach seiner Meinung zu Obamas Versuch, die Israelis zu einem Stopp der Siedlungsprojekte zu drängen.

(Foto: Daniel Bar On, © Hebrew University of Jerusalem)

Er sagte, er hoffe auf Obamas Unnachgiebigkeit: „Wir können es einfach nicht mehr aus eigener Kraft schaffen.“ Nicht nur Israel sei in dieser Lage, auch die Palästinenser. Beide brauchen eine von außen aufgedrängte Lösung, weil die innere Kohärenz der politischen Führung es nicht mehr zulässt, die Probleme zu lösen.

Sternhell argumentiert seit Jahren für den Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten, um das ursprüngliche Versprechen des Zionismus zu retten – eine Heimstätte für die Juden, einen Nationalstaat mit verteidigbaren Grenzen, in dem auch künftige Generationen im Frieden mit den Nachbarn leben können.

Ich fragte ihn, was denn eigentlich die andere Seite für eine Vision habe – diejenigen, die durch den Siedlungsbau das Land westlich des Jordans in Besitz nehmen und Israelis dadurch zu Kolonialherren machen. Wollen Sie Israel zur Kolonialmacht erheben – wo doch die Kolonialepoche eigentlich zur gleichen Zeit zuende ging als Israel gegründet wurde?

Sternhell sagte, diese Leute – die Siedler und ihre Politiker – glaubten, die Welt werde sich daran gewöhnen, dass es einfach eine weiteren miserablen unlösbaren Konflikt gebe, in dem immer wieder Blut fliesst und die eine Seite im Elend lebt. Die Palästinenser würden schon eines Tages resignieren oder verschwinden – das sei die Logik dieser Politik. Er lehne sie ab – aus Liebe zu Israel.

Hier sein Bekennntnis aus einem früheren Post auf dieser Seite:

Ich bin nicht nach Israel gekommen, um in einem binationalen Staat zu leben. Hätte ich als Minderheit leben wollen, hätte ich andere Orte wählen können, an denen das Leben als Minderheit sowohl angenehmer als auch sicherer ist. Aber ich bin auch nicht nach Israel gekommen, um ein Kolonialherr zu sein. In meinen Augen ist ein Nationalismus, der nicht universal ist, der nicht die nationalen Rechte anderer achtet, ein gefährlicher Nationalismus. Daher glaube ich, dass die Zeit drängt. Wir haben keine Zeit. …

Meine Generation, die erste Generation der Staatsgründung, für die die Existenz des Staates ein Wunder ist, verlässt nach und nach die Bühne. Und für uns ist es eine Tragödie, dies zu sehen. Für mich ist das wirklich das Ende der Welt. Denn  der Mensch will die Zukunft seiner Kinder und seiner Enkel gesichert wissen. Als Bürger will ich die Zukunft der Gesellschaft gesichert wissen, in der ich lebe. Und als Mensch strebe ich danach, etwas zu hinterlassen, Fingerabdrücke. Und ich will wissen, dass, wenn ich den Löffel abgebe, meine Töchter und Enkelinnen hier weiter ein normales Leben führen werden. Ein normales Leben, das ist, was wir wollten.

 

Attentat auf Faschismusforscher in Israel

In Israel ist ein Attentat auf einen der berühmtesten Faschismusforscher der Gegenwart verübt worden – Professor Zeev Sternhell von der Hebräischen Universität Jerusalem. Eine Rohrbombe erwartete ihn vor seinem Haus. Sternhell überlebte leicht verletzt. In der Umgebung seines Hauses wurden Flugblätter gefunden, auf denen gegen Friedensaktivisten von Peace Nowgehetzt wird. Es wird darum davon ausgegangen, daß das Attentat dem rechten Rand der Siedlerbewegung zuzuschreiben ist.

Sternhell ist als Kritiker der Siedlerbewegung und der Besatzung des Westjordanlands bekannt. Erst in diesem Jahr wurde er mit dem renommierten Israel-Preis ausgezeichnet. In folgendem Text begründet er seinen säkularen Zionismus. Es ist ein bewegndes Zeugnis. Wenn Menschen wie Sternhell – Überlebende, die sich für Israel und für das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat einsetzen – zu Feinden werden, dann steht Israel am Rande einer großen inneren Krise. Darum haben auch viele namhafte Politiker den Anschlag verurteilt.

Ich entnehme die deutsche Übersetzung von Sternhells Interview dem Newsletter der israelischen Botschaft vom 11. März 2008. Ich möchte Sie besonders den hier gelegentlich herein schauenden Muslimen ans Herz legen, die Israel gerne kritisieren. (Man halte sich vor Augen: Die Botschaft Israels verbreitet einen solchen Text! Welch ein großartiges Land.)

„Der israelische Ideenhistoriker Zeev Sternhell erhält dieses Jahr als weltweit renommierter Faschismusforscher und einer der führenden Intellektuellen seines Landes den Israel-Preis für politische Wissenschaften. In einem Interview mit Ari Shavit hat er sich nun ausführlich zu seinem Verhältnis zu Israel und dem Zionismus geäußert.


(Foto: Daniel Bar On, © Hebrew University of Jerusalem)

Für Sternhell, der 1935 in Galizien geboren wurde, den Holocaust im besetzten Polen überlebte und 1951 von Frankreich aus nach Israel einwanderte, stellt Israel vor dem Hintergrund der Erfahrungen seiner Jugend nicht primär eine politische Angelegenheit, sondern eine „Rückkehr zur Menschlichkeit“ dar: „Eine Rückkehr zum Leben als Menschen. Denn dort, im Ghetto, hat man die menschliche Grundlage in sich verloren. Die menschliche Identität. Man hörte überhaupt auf, menschlich zu sein. Man war kein Mensch.“

„Als Jugendlicher in Avignon habe ich drei Zeitungen am Tag gelesen und durch die die Entwicklungen in Palästina verfolgt. Dann kam die Erklärung zur Gründung des Staates, im Mai 1948. Ihre Generation kann nicht die Aufregung verstehen, die uns erfasste. Es war nur vier Jahre, nachdem die Rote Armee uns befreit hatte, sechs Jahre, nachdem die Nazis das Ghetto ausgelöscht hatten. Und der Übergang von diesem Schrecken, dieser Hilflosigkeit, zu einem jüdischen Staat, der einen Krieg gewinnt.

Als 13jähriger Junge fürchtete ich sehr, dass die Araber die Juden abschlachten würden. Es sah aus, als gäbe es nur 60 000 Juden und um sie herum Millionen von Arabern. Und dann die Tatsache, dass die Armee der Juden kämpfte und siegte und der Staat entstand – das war für mich etwas jenseits aller Vorstellungen. Die reine Tatsache, dass diese Juden, die in die Ghettos gingen, die man durch die Straßen jagte, die man tötete und schlachtete, nun aufstehen und sich einen Staat errichten. Ich betrachtete dies wirklich als ein Wunder. Dies war ein historisches Ereignis von beinahe metaphysischer Dimension. Und plötzlich gibt es Juden, die Minister sind, Juden, die Offiziere sind, und einen Pass, Uniformen, eine Flagge. Und jetzt haben die Juden, was die Goyim haben. Sie sind nicht mehr von den Goyim abhängig. Sie können auf sich selbst aufpassen. Die Gründung des Staates war für mich wie die Schöpfung der Welt. In meinem ganzen Leben gab es keinen aufregenderen Moment. Er versetzte mich in eine Art Rauschzustand.“

„Ich bin nicht nur Zionist, ich bin Super-Zionist. Für mich war und bleibt der Zionismus  das Recht der Juden, selbst über ihr Schicksal und ihre Zukunft zu bestimmen. Das Recht von Menschen, Herren ihrer selbst zu sein, ist in meinen Augen ein Naturrecht. Ein Recht, das die Geschichte den Juden verweigert hatte und vom Zionismus zurückgeholt wurde. Das ist seine tiefere Bedeutung. Damit stellt er eine mächtige Revolution dar, die das Leben von jedem einzelnen von uns berührt. Ich habe diese Revolution gefühlt, als ich im Gymnasiastenalter allein nach Israel einwanderte. Erst da, als ich im Hafen von Haifa das Schiff „Artza“ verließ, hörte ich auf, das Objekt des Handelns anderer zu sein und wurde zu einem Subjekt. Erst dann wurde ich zu einem Menschen, der über sich selbst bestimmt und nicht von anderen abhängig ist.“

„Ich bin ein alter zionistischer Linker, sowohl im nationalen als auch im sozialen Sinne. Wenn man so will, bin ich ein National-Israeli. Es wird zweifellos Freunde von mir auf der Welt geben, die dies nicht positiv betrachten, aber ich habe noch nie darum gebeten, positiv betrachtet zu werden. Wer den Zweiten Weltkrieg überstanden und die Gründung des Staates erlebt hat und allein mit noch nicht einmal 16 Jahren eingewandert ist, ist allein daher hierher gekommen, um in einem jüdischen Nationalstaat zu leben.

Es liegen hier zwei Dimensionen vor. In der einen Dimension glaube ich nicht, dass man hier die Existenz sichern kann ohne Nationalstaat. Ich mache mir nichts vor. Ich glaube, wenn die Araber uns vernichten könnten, würden sie dies mit Freude tun. Wenn die Palästinenser und die Ägypter, und all jene, die mit uns Abkommen unterzeichnet haben, etwas tun könnten, damit wir nicht hier wären, wären sie glücklich. Daher droht uns noch immer eine existentielle Gefahr. Und Stärke ist noch immer die Versicherungspolice für unsere Fortexistenz. Und obwohl ich gegen die Besatzung bin, und obwohl ich will, dass die Palästinenser die gleichen Rechte haben wie ich, glaube ich, dass ich den nationalstaatlichen Rahmen brauche, um mich selbst zu verteidigen.

Aber es gibt auch die andere Dimension. Ich habe keine Religion. Ich habe nicht die Sicherheit und nicht die Stütze der Religion. Daher bin ich ohne den nationalstaatlichen Rahmen ein entwurzelter Mensch. Ein unvollständiger Mensch.  Es ist ein Paradox. Heute sprechen die Religiösen im Namen des Nationalismus, den ich nicht akzeptiere, da er den anderen, den palästinensischen Nationalismus nicht achtet. Aber die Wahrheit ist, dass wir, die Säkularen, des nationalstaatlichen Rahmens sehr viel mehr bedürfen als die Religiösen. Wenn man mir Israel nimmt, bleibe ich mit nichts, gar nichts zurück. Ich bin nackt und bloß. Daher ist Israel so wichtig für mich. Und ich kann es nicht wie eine vollendete, gewöhnliche und normale Tatsache behandeln. Ich behandle es wie etwas, das man die ganze Zeit schützen muss. Etwas, bei dem man darauf achten muss, dass es einem nicht zwischen den Fingern zerrinnt. Denn Dinge zerrinnen leicht, das haben wir schon gelernt. Und manchmal schnell, von einem Tag auf den anderen.“

„Ich bin nicht nach Israel gekommen, um in einem binationalen Staat zu leben. Hätte ich als Minderheit leben wollen, hätte ich andere Orte wählen können, an denen das Leben als Minderheit sowohl angenehmer als auch sicherer ist. Aber ich bin auch nicht nach Israel gekommen, um ein Kolonialherr zu sein. In meinen Augen ist ein Nationalismus, der nicht universal ist, der nicht die nationalen Rechte anderer achtet, ein gefährlicher Nationalismus. Daher glaube ich, dass die Zeit drängt. Wir haben keine Zeit. Und was mich besorgt macht, ist, dass das gute Leben hier, das Geld und die Börse und die Wohnungen in der Preislage Manhattans die Leute in einer schrecklichen Illusion leben lassen. Aber es kann nicht noch hundert Jahre so weiter gehen. Ich bin nicht sicher, dass es noch zehn Jahre so weiter gehen kann.

Meine Generation, die erste Generation der Staatsgründung, für die die Existenz des Staates ein Wunder ist, verlässt nach und nach die Bühne. Und für uns ist es eine Tragödie, dies zu sehen. Für mich ist das wirklich das Ende der Welt. Denn  der Mensch will die Zukunft seiner Kinder und seiner Enkel gesichert wissen. Als Bürger will ich die Zukunft der Gesellschaft gesichert wissen, in der ich lebe. Und als Mensch strebe ich danach, etwas zu hinterlassen, Fingerabdrücke. Und ich will wissen, dass, wenn ich den Löffel abgebe, meine Töchter und Enkelinnen hier weiter ein normales Leben führen werden. Ein normales Leben, das ist, was wir wollten. Aber heute erscheint dieses normale Leben nicht gesichert. Die Zukunft meiner Töchter und Enkelinnen erscheint mir nicht gesichert. Und das verfolgt mich wirklich. Es verfolgt mich, dass das, was heute ist, morgen auseinander fallen kann.“

Zeev Sternhell ist em. Professor für politische Wissenschaften an der Hebräischen Universität Jerusalem.