Wir brauchen (doch) keine Einwanderer

Mitblogger jmb schreibt zu meinem Sarrazin-Leiter:

Ich kenne die Situation in den Berliner Jobcentern. Es gibt dort auch genug türkisch-, arabisch-, oder russischstämmige Akademiker unter den Langzeitarbeitslosen. Oft ist die Qualifikation gut, Studium an deutschen Hochschulen, etc.- aber das Deutsch hat “Erkan und Stefan”- Niveau. Auf den bestimmten Artikel wird gerne verzichtet, wie es in Berlin im alltäglichen Umgang im Migrantenumfeld schon fast üblich geworden ist. Natürlich haben sie auf dem Arbeitsmarkt schlechtere Chancen. Wie sind sie durch ein Studium in Deutschland gekommen? Wie haben sie Hausarbeiten, Prüfungen und Referate geschrieben? Da haben die Prüfer ein Auge zugedrückt. Aber die eigentliche Frage ist doch: Wäre es uns denn lieber, wenn die muslimischen Migranten erfolgreicher wären? Ich als z. zt. arbeitsloser deutscher Ingenieur muß sagen: Nicht wirklich. Im Einzelfall freue ich mich natürlich für jeden, der einen Job bekommt, es waren durchweg nette Menschen, allein schon deswegen, weil sie meist – im Gegensatz zu den Deutschen – über eine großen Familienzusammenhang verfügen, so daß die Arbeitslosigkeit einen geringeren Stellenwert in ihrem Leben einnimmt, sie sind dadurch lockerer und selbstbewußter. Besser als in den Herkunftsländern ihrer Eltern geht es ihnen hier allemal. Aber gesamtgesellschaftlich: Was ist gewonnen, wenn wir die wenigen in Deutschland vorhandenen qualifizierten Arbeitsplätze an mehr Zugewanderte vergeben? Ich glaube nicht an das Märchen, daß die Einwandererkinder “unsere Rente bezahlen”, wie uns immer eingeredet wird. Der zunehmend kleine Kuchen “Arbeit” kann eben nicht auf beliebig viele Menschen verteilt werden.

 

Sorgen eines Wechselwählers (3): Links wählen?

Meine wöchentliche Kolumne zur Wahl aus der ZEIT von morgen, Nr. 37, S.5:

Sie haben das Plakat direkt vor mein Fenster gehängt: Raus aus Afghanistan. Die Linke. Als wüßten sie, dass hier jemand wohnt, den manchmal Zweifel am Afghanistan-Einsatz plagen. Raus müssen wir irgendwann. Aber von jetzt auf gleich abziehen? Ich frage mich, was links daran sein soll, Afghanistan umstandlos den Taliban zurückzugeben. Wenn Kaltschnäuzigkeit links ist, will ich lieber kein Linker sein.

Das wäre immerhin geklärt. Leider führt es nicht sehr weit. Ich bin nämlich Wechselwähler. Ich wache an manchen Tagen voll konservativ-liberalem Tatgeist auf und denke, dass sich Leistung wieder lohnen müsse und das deutsche Gymnasium zum Kulturerbe der Menschheit gehört. Dann wieder liege ich nachts wach und wälze mich von rechts nach links, weil die Gesellschaft auseinanderdriftet und wir trotz aller Warnungen munter den Planeten verfrühstücken, im fluoreszierenden Schein der Energiesparlampen.

Das sind Momente, in denen ich mir vorstellen kann, ein Linker zu sein und links zu wählen. Und nun muss ich mir wohl eine Meinung zu Bodo Ramelow bilden, dem Sieger von Thüringen, mit Oskar Lafontaine maßgeblicher Schöpfer der Linkspartei. Lafontaine interessiert micht nicht so. Sein Kampf mit der SPD hat etwas Privates, Obsessives. Leute wie Ramelow aber werden noch länger mitbestimmen, was es heißt, in Deutschland links zu sein.

Wer wie ich schon Rot und Grün gewählt hat und sich diese Optionen offenhalten möchte, braucht jetzt eine Haltung zur Linkspartei, auch wenn die SPD-Lautsprecher abwiegeln. Zu verkünden, dass die »Welle Lafontaine gebrochen« sei, wie es der große Dadaist der Sozis, Franz Müntefering, ausgerechnet nach Lafos historischem Wahlsieg tat, ist einfach nur albern, zumal die SPD auf eben dieser Welle reiten will. Rotrotgrün wird irgendwann, irgendwo kommen, vielleicht schneller als gedacht. Die Wiedervereinigung der Linken steht auf dem Programm. Fragt sich nur, wer dabei das Sagen hat.

Als Wechselwahl-Hallodri bin ich zumVollzeitlinken nicht geeignet. Aber ich habe ein Interesse an einer starken Sozialdemokratie. Ich möchte eine verantwortliche Linke, die sich damit abgefunden hat, dass der Staat die »Reparaturwerkstatt des Kapitalismus« ist, statt dieses Faktum zu skandalisieren. Doch die Linkspartei behauptet immer noch, den Kapitalismus zugunsten einer Staatswirtschaft überwinden zu wollen. Das ist so gestrig wie der Glaube der FDP, Kapitalismus werde ohne Staat erst schön.
Merkwürdige Parallele: Die Linkspartei hat wie die neoliberale FDP in der Krise kein neues Verhältnis zum Staat gefunden. Vielleicht müßten beide mal richtig regieren, denke ich, damit ihnen die populistischen Flausen ausgehen.
Bevor es dazu kommt, würde ich die Linkspartei gerne von den Sozialdemokraten gezähmt sehen ­ so lange deren Kraft dazu noch reicht. Aber hier lauert ein Dilemma: Eine starke Sozialdemokratie setzt eine wiedervereinigte Linke voraus. Die SPD wird darum eines Tages mit den Dunkelroten und den Grünen ihre einzig verbliebene Machtoption auch realisieren müssen.

Mir leuchtet das ein. Aber ich sehe es auch mit Grausen. Denn mir schwant schon, dass ich diese Linksbündnis-SPD nicht wählen werde, wenn sie erst den Preis für die »Machtperspektive« gezahlt hat, die man ihr linkerseits so maliziös anbietet. Reform-Rollback, Rentengarantie, Einheitsschule, Mindestlohn ­ das werden ja so die Themen sein. Vielleicht sehe ich es zu pessimistisch. In Berlin hat die Partei die Reformen des Wowereit-Sarrazin-Senats tapfer mitgetragen, brutale Einschnitte im öffentlichen Dienst, die die Berliner CDU feige gemieden hatte.
Wie stehe ich nun zu Bodo Ramelow? Er ist mir einfach zu laut. Thüringer Kollegen wollen beobachtet haben, dass er sich Reissnägel ins Müsli streut, um seine Stimme rauh zu halten. Ich halte das für plumpe antikommunistische Propaganda. Die hat übrigens keine Chance: Ramelow ist mit einer attraktiven italienischen Kommunistin namens Germana Alberti vom Hofe verheiratet, Tochter von Barrikadenkämpfern aus Parma. An deren Bolschewik-Chic prallt nachgeholter Antikommunismus einfach ab.
Ich möchte übrigens bitte, bitte, keinen Kaltekriegswahlkampf erleben, in dem sich die Lager, die wir Wechselwähler am letzten Sonntag so schön in Klump gehauen haben, wie Zombies wieder aufrichten. Dann könnte es passieren, dass ich vom Wechsel- zum Nichtwähler werde.