Sie ist eine Riesenhamsterratte und rettet in Afrika viele Menschenleben
Von Andrea Böhm
Menschen mögen keine Ratten. Menschen denken, Ratten übertragen Krankheiten und fressen die Vorräte auf. Aber nicht Rosie. Rosie ist eine Riesenhamsterratte, fast so groß wie eine Katze, sauber, zutraulich, und für ihr Futter arbeitet sie hart. Rosie erschnüffelt Landminen, eine schreckliche Art von vergrabenen Bomben, damit man sie rechtzeitig entschärfen kann, bevor ein Mensch darauftritt und sterben muss. Das macht Rosie jeden Tag. Nur am Wochenende hat sie frei. Rosie ist in Tansania geboren. Das liegt im Südosten Afrikas. Dort gibt es eine Rattenschule, wo Rosie gelernt hat, wie man Landminen erschnüffelt. Inzwischen hat sie ihre Prüfung zur »Landminen-Suchratte« bestanden und kann überall eingesetzt werden.
Auch in Mosambik. Dort herrschte 15 Jahre lang Krieg, und während des Krieges wurden Tausende von Landminen gelegt, an Stellen, wo niemand sie sehen kann. Tritt ein Mensch drauf, explodiert die Mine. Nun ist der Krieg in Mosambik schon seit 1992 vorbei. Aber die Landminen sind immer noch da. Jedes Jahr sterben in Mosambik Menschen, auch Kinder, weil sie aus Versehen auf eine Mine getreten sind. Viele andere werden schwer verletzt, verlieren ein Bein, können sich für den Rest ihres Lebens nur noch auf Krücken bewegen. Solange die Menschen Angst vor Landminen haben müssen, können sie ihr zerstörtes Land nicht wieder aufbauen. Die Minen liegen in Feldern vergraben, an Flussufern, an Straßen, an Brücken und Eisenbahngleisen. Also überall dort, wo die Menschen arbeiten, wo sie Wasser holen, wo Kinder zur Schule gehen.
Nehmen wir zum Beispiel einen Spielplatz in einem Dorf in Mosambik. Die Dorfbewohner können sich noch erinnern, dass Soldaten im Krieg hier kampiert haben. Damit der Feind sie nicht überraschte, haben sie damals Landminen gelegt. Aber die Dorfbewohner wissen so viele Jahre später natürlich nicht mehr genau, wo. Nun kommen die Minenräumer, die mit einem Metalldetektor nach den Minen im Boden suchen. Diese Methode ist mühsam, denn die Minenräumer müssen sich im Schneckentempo voranarbeiten und dabei höllisch aufpassen, dass sie selbst nicht auf eine Mine treten. Wenn der Metalldetektor piepst, müssen sie an dieser Stelle ganz vorsichtig graben. Oft finden sie nach stundenlanger Arbeit nur ein Stück Blech. Denn der Metalldetektor kann zwischen einer Landmine und Schrott leider nicht unterscheiden.
Tja, und nun kommt Rosie! Der passiert so etwas nicht. Rosie und die anderen Riesenhamsterratten haben einen feinen Geruchssinn. Und sie sind unglaublich schnell! Rosie läuft also an der langen Leine eines Minenräumers los und schnüffelt. Ihre Barthaare zittern. Wittert sie einen rostigen Nagel, rennt sie einfach weiter. Wittert sie aber Sprengstoff, scharrt sie wie eine Wilde mit den Vorderpfoten auf der Erde herum. Dann wissen die Minenräumer: Dort liegt eine Mine. Und Rosie weiß: Ich kriege jetzt zur Belohnung ein Stück Banane.
Deshalb sucht sie auch sofort nach der nächsten Mine. Das ist der Trick bei der Sache: Riesenhamsterratten sind unersättlich. Solange sie wissen, dass es nach jedem Erfolg eine Belohnung gibt, arbeiten sie weiter. Rosie schafft es, in einer halben Stunde hundert Quadratmeter nach Minen abzusuchen. Menschen brauchten dafür mehrere Tage.
Die große Frage ist nun: Was passiert, wenn Rosie direkt auf einer Mine sitzt und mit ihren Vorderpfoten herumkratzt? Gar nichts! Riesenhamsterratten sind zwar, wie der Name schon sagt, ziemlich groß. Sie werden 40 Zentimeter lang und wiegen bis zu 1,5 Kilogramm. Aber sie sind zu leicht, um eine Mine auszulösen. Hat Rosie eine gefunden, graben die Räumer das Teufelsding ganz vorsichtig aus und entschärfen es.
Die Idee mit der Rattenschule hatte ein Belgier namens Bart Weetjens. Er ist ein schrulliger Mann, der schon als kleiner Junge eine Vorliebe für Nagetiere hatte. Als er vor ein paar Jahren zum ersten Mal Afrika besuchte, hörte er von den Landminen, die in vielen Ländern immer noch vergraben sind. Weetjens sah sich die mühsame Arbeit der Minenräumer mit ihren Metalldetektoren an. Er begleitete Trupps, die mit Hunden nach den Minen suchten. Auch Hunde haben einen feinen Geruchssinn. Aber sie werden schnell müde, und sie werden in tropischen Ländern oft krank. Außerdem sind sie so schwer, dass sie manchmal selbst eine Minenexplosion auslösen und dabei getötet werden. Irgendwann ging Bart Weetjens ein Licht auf: »Ratten!« Und zwar solche Ratten, die in Afrika leben, das Klima dort gewohnt sind und nicht so schnell krank werden. Am besten, fand Weetjens heraus, eignet sich die »Gambia-Riesenhamsterratte«.
Über 100 Tiere haben er und die mosambikanischen Trainer schon ausgebildet. Sie nennen sie hero rats, das heißt auf Deutsch: Heldenratten. Da ist Rosie, dann sind da noch Henrietta, Ararat, Wanjiro und all die anderen. Und das ist erst der Anfang. Bart Weetjens kann sich inzwischen sogar vorstellen, Ratten bei Erdbeben einzusetzen, um unter den Trümmern nach Verschütteten zu suchen. Doch vorerst haben Rosie und die anderen genug Arbeit. Die meisten Staaten haben sich inzwischen zwar verpflichtet, keine neuen Landminen mehr zu bauen. Das ist ein großer Fortschritt. Aber auf der ganzen Welt liegen immer noch Millionen Minen aus früheren Kriegen herum. In Afghanistan, in Vietnam, Laos und Kambodscha, in Mosambik, Angola, Uganda, im Sudan. Da wird man ganze Armeen von Riesenhamsterratten brauchen. Da sind dann auch Rosies Kinder dabei. Die ist nämlich gerade trächtig und bringt in ein paar Wochen ihre Heldenratten-Babys zur Welt.
Hier findest Du mehr Informationen zum Thema:
http://www.herorat.org/en/herorats
Die Website der Organisation, die „Heldenratten“ trainiert – leider auf Englisch
http://www.landmine.de/
Eine deutsche Organisation, die zur internationalen Kampagne gegen Landminen gehört und derzeit für ein Verbot von Streubomben kämpft
http://www.medico.de/
Auch eine deutsche NGO und Mitbegründerin der internationalen Kampagne gegen Landminen