Halt! Hat sich da etwas bewegt? Was lauert hinter der nächsten Ecke? Ein Spaziergang durch Keller und Speicher des Hamburger Völkerkundemuseums
Von Ulrich Baron
Nein, Dinosaurier haben wir nicht«, sagt Museumsdirektor Wulf Köpke ein wenig bedauernd: Dabei klingt der Lärm der gewaltigen Trommel, der durch das Hamburger Völkerkundemuseum dröhnt, als trampele eine Herde dieser Urtiere direkt durchs Gebäude. Doch statt riesiger Echsen taucht mit lautem Kriegsgeschrei eine Schar kleiner Indianer auf. Die haben es zum Glück nicht auf unsere Skalpe abgesehen, sondern auf die Frikadellen mit Kartoffelsalat, die in der Cafeteria auf sie warten: Geburtstagsfeier im Museum!
Der Fotograf Jens Haukenfrers und ich hingegen bekommen noch nichts zu essen. Wir haben einen aufregenden Weg vor uns. Er soll uns über enge Hinter- und steile Holztreppen bis zu den Dachböden hinauf führen – und durch Dutzende von schweren Eisentüren bis in die Gewölbe des Kellers hinab. Wir wollen erkunden, was man sonst nie zu Gesicht bekommt: Wie sieht es eigentlich hinter den Kulissen eines Museums aus, da, wo normalerweise niemand hinkommt?
Unser Führer heißt Thomas Krause und ist seit 22 Jahren beim Völkerkundemuseum beschäftigt. Als »Leiter der Objektarchive« sorgt er dafür, dass einige Hunderttausend Sammlungsstücke sicher verwahrt sind – und jederzeit zu finden, wenn die anderen Museumsmitarbeiter sie brauchen. Thomas Krause kann sich keinen schöneren Arbeitsplatz vorstellen. Rund 12000 Quadratmeter hat sein Museum – und dazu zwei Außenlager, denn nur ein Teil der Schätze findet in den Ausstellungsräumen Platz.
Vor mehr als hundert Jahren hat man mit dem Bau des gewaltigen Hauses an der Hamburger Rothenbaumchaussee 64 begonnen. Hinter der eindrucksvollen Fassade weitet es sich zu einem seltsam geformten Gebäude, das von oben gesehen einer flach gedrückten Riesenbrezel gleicht. Das gesamte Obergeschoss steht voll hoher Vitrinen, darin finden sich die geheimnisvollsten Dinge.
Manchmal kündet der Laternenschein einer Lichtfalle vom endlosen Krieg, den die Museumsleute gegen die gefräßigen Motten führen. Schließlich wollen sie ja keinen Pelzmantel einpacken und ihn als Lederjacke wiederfinden. Wenn Motten in den Fallen auftauchen – sie fliegen gern ins Licht –, werden die gefährdeten Stücke eingefroren. Ein paar Tage bei minus 20 Grad übersteht selbst die hartnäckigste Motte nicht, sagt Thomas Krause. Er zeigt uns einen Teppich, den er gerade in der Kühltruhe in Sicherheit gebracht hat.
Von den Mottenschäden abgesehen, haben die Mitarbeiter aber nichts dagegen, wenn man sehen kann, dass die Sachen, die sie den Besuchern zeigen, auch wirklich benutzt wurden. Schließlich sollen sie ja vom Leben ihrer Schöpfer und ihrer Besitzer berichten. Es gehe dem Museum darum, »die Dinge zum Sprechen zu bringen«, hat uns Direktor Köpke am Anfang unseres Besuches gesagt. Ob Tanzspeer oder Schamanentrommel – alle sollen von den Menschen erzählen, die sie einst geschaffen, damit Musik gemacht oder gekämpft haben.
In der Tischlerei des Museums riecht es nach Holzstaub. Hier werden schrankgroße Kisten gebaut, in denen Teile der Sammlungen auf Reisen gehen können – denn manchmal leiht das Völkerkundemuseum seine Schätze an andere Museen aus. Eine seit frühen Museumstagen vergessene Kiste, in der vielleicht eine große Überraschung lauert, hat Thomas Krause leider nicht in Verwahrung. Bis unter die Decke seines großen Arbeitszimmers reichen aber die Stapel alter Karteikästen: Auf Massen von Karteikarten wird seit mehr als 100 Jahren notiert, welche Ausstellungsstücke das Museum gekauft oder geschenkt bekommen hat.
Wo so viel zu tun ist und wo es immer wieder Neues zu entdecken gibt, arbeitet man gerne auch einmal länger, manchmal bis in die Nacht. Und wenn man dann allein im Museum ist, ist man auch mit dem Museum allein – in einem riesigen Gebäude, in dem Hunderte von Wohnungen Platz hätten. »Wenn ich allein im Haus bin, dann höre ich Geräusche, die kann sich niemand vorstellen«, sagt Thomas Krause. Manchmal ist es der Wind. Manchmal etwas anderes?
Selbst am Tag und zu dritt haben wir zuweilen einen seltsamen Eindruck in dieser Dämmerung, wenn das Schlagen der Türen hinter uns verhallt. Dann reden wir aus Nervosität lauter als nötig. Ist es wirklich nur der Nachhall unserer eigenen Schritte, der die Stille durchbricht?
Während Jens im Halbdunkel Fotos macht, irrt mein Blick zwischen den Gegenständen in den Vitrinen und Spiegelungen in deren Glasscheiben umher. Blickt da etwas zurück? Ist das ein Topf oder ein Kopf? Ist jene seltsame Maske da drüben wirklich nur eine Maske? Was verbirgt sich dahinter?
Auf jeden Fall steckt hinter jedem Stück dieser Sammlungen geduldige Arbeit. Nicht nur die Arbeit der Menschen, die ursprünglich diesen Brotkorb oder jenen Federschmuck angefertigt haben, sondern auch die Arbeit der Wissenschaftler, die all diese Dinge seit dem vorletzten Jahrhundert gesammelt haben. Anders als die Archäologie, die es oft mit uralten Fundstücken zu tun hat, können die Völkerkundler die Menschen in Neuguinea noch fragen, wie sie eine Steinaxt machen, sagt Direktor Köpke: »Wir sind ein Museum für die Begegnung von Menschen verschiedener Kulturen.«
Als wir uns von unseren Gastgebern verabschiedet haben, treffen wir noch einmal die kleinen Indianer, deren Geheul uns in alle Winkel des großen Hauses verfolgt hat. Draußen, im Licht des Sommertags, haben sie sich in die Gäste einer Kinderparty zurückverwandelt. Doch Reste der Kriegsbemalung deuten an, dass sie von nun an auch immer ein wenig Indianer bleiben könnten. So etwas passiert, im Museum.
Erinnere Dich! Aus dem Völkerkundemuseum – Suche die Paare der Inka-Schätze