Rinder, die heilig sind. Affen, die angebetet werden. Und eine Katze als Göttin. Das mag sich seltsam anhören – aber in vielen Kulturen werden Tiere verehrt
Von Alexandra Frank
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In Indien haben Kühe Vorfahrt
Autos hupen, Fahrradfahrer und Fußgänger drängeln, und mittendrin versucht ein Polizist, das Chaos zu bändigen. Vergebens! Denn mitten auf der Straße in der Altstadt von Delhi in Indien stehen zwei Kühe – und die haben hier Vorfahrt! Kühe sind nämlich in Indien heilige Tiere. Einer Kuh Gewalt anzutun oder sie zu essen ist undenkbar für einen gläubigen Hindu. So heißen die Anhänger der Religion Hinduismus. Etwa 900 Millionen Menschen gehören ihr an, viele leben in Indien. Hindus haben verschiedene Götter, und die Kuh ist in ihrem Glauben der Ursprung des Lebens. In einer alten Geschichte heißt es nämlich, dass Kühe dem Gott Krishna das Leben retteten. Seitdem werden sie verehrt.
Die heiligen Rinder sind in guter Gesellschaft. Denn mitten in vielen indischen Städten leben auch Hanuman-Languren – eine Affenart, die Hindus ebenfalls verehren. Auch dazu gibt es eine Legende: Der Affengott Hanuman half einmal dem Gott Rama, als ein Dämon Ramas Frau entführt hatte. Hanuman rettete sie und besiegte den Bösewicht. Da sich der Affengott bei der Rettungsaktion leicht verbrannte und sich mit Ruß beschmutzte, gelten Languren-Affen als seine Nachfahren: Die Hände, das Gesicht und die Füße dieser Affen sind nämlich mit schwarzem Fell bedeckt. Das sieht aus, als ob sie sich mit Ruß beschmiert hätten. Noch heute dürfen diese Affen nicht geärgert werden.
Ein Tier, das in Deutschland oft verjagt und bekämpft wird, hat in dem indischen Dorf Deshnok sogar einen eigenen Tempel: die Ratte. In dem Gebäude wimmelt es nur so von den Nagern. Pilger reisen von weit her an und bringen den Tieren Nahrung. Sie glauben, dass es Glück bringt, wenn ihnen eine Ratte über die Füße huscht. Und dabei darf man den Tempel nur barfuß betreten! Vielleicht besuchen Reisende aus anderen Ländern auch deshalb lieber Stätten, die dem Gott Ganesha gewidmet sind. Er trägt den Kopf eines Elefanten und gilt als liebenswertes Schleckermaul. Man bittet ihn um Beistand, wenn man etwas Neues beginnt. In Thailand werden lebendige Elefanten verehrt – aber nur die weißen Tiere. Sie stehen für königliche Macht. Wer früher einen solchen Dickhäuter besaß, durfte ihn nicht als Arbeitstier einsetzen. Deshalb konnten sich nur reiche Leute einen weißen Elefanten leisten – etwa der König. Bis heute werden die Tiere hoch geachtet.
Auch Naturvölker verehrten und verehren Tiere. Einige Indianer in Nordamerika etwa und die Ureinwohner Australiens – die Aborigines – glauben an persönliche Schutzgeister, sogenannte Totems. Diese treten oft in Gestalt eines Tieres auf, etwa als Adler, Wal oder Wolf. Einige Indianer glaubten zudem, dass auch Tiere einen Schutzgeist besäßen, den man nicht verärgern durfte.
Schon vor rund 5000 Jahren, bei den alten Ägyptern, kamen Götter in Tiergestalt daher. Die Menschen übertrugen damals Eigenschaften der Tiere auf ihre Götter: Für Stärke und Kampfgeschick des Krokodils stand etwa der Krokodilgott Sobek. Eine andere Göttin sah aus wie eine Katze. Sie hieß Bastet und war die Herrin der Fruchtbarkeit und Liebe.
In vielen Kulturen wurde die Schlange verehrt: Einige Naturvölker glaubten, dass sie die Seelen der Toten in sich trügen. Für die Maya in Mittelamerika stand die Schlange für Weisheit. Und die Aborigines in Australien erzählen sich noch heute, dass eine Schlange die Sprache auf die Erde brachte und den Menschen zeigte, wie sie ihre Felder bestellen müssten. Doch die Menschen vergaßen mit der Zeit, woher ihr Wissen kam, so die Legende. Das habe die Schlange so verärgert, dass sie von da an die Menschen biss.