Wir Menschen brauchen viel Strom und suchen immer neue Wege, ihn zu erzeugen. Dabei haben wir sogar von Kühen gelernt
Von Karsten Wiedemann
© Clemens Bilan/ddp
Kühe geben Milch, klar! Aber Kühe erzeugen auch Strom. Zumindest können sie dazu beitragen. Doch eins nach dem anderen. Stellen wir uns eine Kuh vor und nennen wir sie Else. Else steht am liebsten den ganzen Tag auf der Weide herum und grast. Sonst tut sie nicht viel – in ihrem Inneren ist dagegen eine Menge los. Das Gras, das Else frisst, muss durch sieben Mägen hindurch, bevor es als dunkler Kuhfladen an ihrem anderen Ende wieder rauskommt. Im Kuhmagen ist es immer schön warm, deswegen leben hier viele Millionen Bakterien. Sie machen sich über das Grünzeug her und zersetzen es. Dabei entsteht unter anderem ein Gas, das Methan heißt. Weil Else mit dem Methan nicht viel anfangen kann, lässt sie es wieder heraus. Da unterscheidet sie sich kaum vom Menschen. Else pupst allerdings viel mehr. In Flüssigkeit umgerechnet, bis zu 300 Liter Methan am Tag. Damit könnte man 30 Eimer füllen!
Methan entsteht übrigens nicht nur in Kuhmägen. Es bildet sich in der Natur immer dort, wo etwas verfault oder vergärt, also zum Beispiel im Komposthaufen. Deswegen nennt man es auch Faulgas oder Biogas. Methan lässt sich gut verbrennen, so wie Treibstoff in einem Motor. Das Biogas ist umweltfreundlich, weil beim Verbrennen nicht so viel Dreck entsteht wie zum Beispiel bei Kohle oder Öl.
Doch wie könnte das Gas aus Elses Magen in einen Motor kommen? Die Kuh müsste dafür an eine Leitung angeschlossen werden. Das ist aber schwierig, weil Else sich nun einmal gern bewegt. Einige Bauern haben deshalb den Verdauungsprozess von Else nachgebaut – in einer Biogasanlage. Diese Anlagen sehen ein bisschen aus wie riesige Kochtöpfe mit Deckel und stehen oft in der Nähe von Bauernhöfen.
Eine Biogasanlage funktioniert so ähnlich wie Else: Pflanzenreste, wie zum Beispiel die Blätter von Mais- oder Rübenpflanzen, aber auch Obst und Gemüseschalen werden hineingefüllt. Solche Pflanzenreste nennt man auch Biomasse. Auf Bauernhöfen gibt es sie reichlich. Meistens landen die Reste sogar ungenutzt auf dem Kompost. In der Anlage wird das Grünzeug in einen großen Behälter gefüllt, der Gärtank oder Fermenter heißt.
Damit Gas entstehen kann, muss die Pflanzenmasse nun wie in Elses Magen vergären. Dafür sind, wie im Kuhmagen, Bakterien nötig. Und jetzt kommt doch noch einmal Else ins Spiel. Denn die Bakterien stammen aus Elses Kuhfladen! (Mit Schweinemist funktioniert das übrigens auch.)
Diese Mischung wird luftdicht verschlossen, und nach und nach machen sich nun die vielen Bakterien über das Grünzeug her und zersetzen es. Weil die Bakterien am besten arbeiten, wenn sie es schön warm haben, wird der Gärtank auf Badewannentemperatur geheizt. Das sind etwa 30 bis 35 Grad Celsius. Ein großer Rührstab bewegt den Inhalt ständig hin und her, damit die Bakterien auch das letzte Blatt kleinkriegen können.
Nach einigen Tagen hat die Biogasanlage die Pflanzen »verdaut«. Und im Gärtank hat sich eine ganze Menge Gas gesammelt. Anders als bei Else gelangt das aber nicht einfach an die Luft, sondern wird über Rohre abgeleitet, gereinigt und in einem Speicher gelagert. Von dort strömt es in einen Motor und wird verbrannt. Der Motor treibt einen Generator an, und der erzeugt Strom.
Mit so einer Biogasanlage lässt sich zwar keine ganze Stadt, aber schon ein Dorf versorgen, zum Beispiel Jühnde in Niedersachsen. Dort leben 700 Menschen. Die Dorfbewohner haben Geld gesammelt und gemeinsam eine Biogasanlage gebaut. Dort entsteht so viel Strom, dass die Jühnder sogar etwas davon verkaufen können.
Denn eine Kuh wie Else lässt pro Tag fast 20 Kilogramm Kuhfladen ab. Daraus kann Biogas für sechs Kilowattstunden Strom hergestellt werden. Das reicht für sechs Waschmaschinenladungen. Insgesamt leben in Deutschland rund zwölf Millionen Kühe. Würde deren gesamter Mist in Biogas umgewandelt, könnte man daraus so viel Energie gewinnen, wie man benötigt, um drei Millionen Haushalte ein Jahr lang zu beheizen.
Übrigens: Auch die Biogasanlage produziert eine Art Kuhfladen. Es bleibt nämlich immer noch eine schlammige Masse im Gärtank übrig. Die kann der Bauer gut als Dünger benutzen – etwa für eine Wiese, auf der Else grast.